Mozarts Reisen quer durch Europa waren nicht nur Konzerttourneen eines Wunderkinds, sie waren ebenso Studienreisen eines Komponisten: Stile, Gattungen und der ortsübliche musikalische Geschmack wurden von Mozart gründlich unter die Lupe genommen. Und wie ein Schwamm sog er die neuen musikalischen Eindrücke auf – so auch in den drei Divertimenti KV 136-138, die er nach einer Italienreise komponierte. Julia Schölzel stellt diese Starken Stücke zusammen mit Petra Müllejans, der Konzertmeisterin des Freiburger Barockorchesters, vor.
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Das starke Stück zum Anhören
Es waren die strategischen Berechnungen des Vaters Leopold gewesen, die geradezu perfekt aufgingen: Auch die zweite Reise nach Italien des "Noch"-Wunderknaben Wolfgang Amadeus Mozart wurde ein musikalischer Erfolg. Kaum war der üppige Applaus für Mozarts Auftragsoper "Mitridate" erklungen, vollendete er – noch immer in Mailand – die Vermählungsoper "Ascanio in Alba", wieder ein Auftragswerk, diesmal von der Kaiserin Maria Theresia für die Hochzeit des Erzherzogs Ferdinand in Wien. Kurzum: eine grandiose Zeit für den 15-Jährigen.
Mich erinnert das sehr an die Oper.
Der musikalische Wandel vom Wunderknaben zum ernstzunehmenden, wenn auch jungen Komponisten schien nahtlos geglückt. Mailand hatte sich schon für die nächste Saison mit einem weiteren Opernauftrag angemeldet, da drehte Mozart noch nach der Rückkehr ins heimische Salzburg ein paar Kurven mehr auf diesem italienischen Höhenflug. Drei Divertimenti flossen ihm aus der Feder, von Mozart eigenhändig datiert mit: "Salisburgo 1772.di Wolfgango Amadeo Mozart."
Petra Müllejans, Konzertmeisterin und künstlerische Leiterin des Freiburger Barockorchesters entdeckt in den drei Divertimenti gleich mehrere "italienische" Indizien: "Vor allem die Gesanglichkeit. Mich erinnert das sehr an die Oper; man kann sich sehr gut eine Szenerie dabei vorstellen. Und es gibt auch das Element der Virtuosität, wie wir das ja auch von Vivaldi kennen. Das verbinden wir, glaube ich, sehr mit Italien. Diese Leichtlebigkeit – gutes Essen, guten Wein, gutes Wetter und viel Sonne, die auch in der Musik spürbar wird. Es ist im Wesentlichen eine heitere Musik."
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Klassische Unterhaltungsmusik sozusagen. Obwohl Mozart diese frühen Kompositionen immerhin mit dem Titel Divertimenti versehen hat, ist er in der Instrumentation weniger eindeutig. Die Besetzung lautet: "Violine, Viole, Basso" und hat durch nur einen irritierenden Buchstaben eine musikwissenschaftliche Diskussion ausgelöst. Ist das Plural "e" bei "viole" Zufall, womöglich ein Schreibfehler, plante Mozart folglich die Aufführung mit lediglich einer Viola, einer Bratsche? Und verbergen sich hinter den drei Divertimenti gar drei Streichquartette?
Freiburger Baroclorchester | Bildquelle: FBO / barockorchester.de Mozart hatte sich davor erst einmal mit der noch relativ jungen Gattung des Streichquartetts beschäftigt, gleich mehrere Kompositionen für diese Besetzung wären also zweifellos von musikhistorischem Interesse. Oder deutet die italienische Bezeichnung "viole" exakt daraufhin, dass ein Streichorchester von Mozart gewünscht wurde? Fragen, die in der Praxis ganz anders aussehen: "Diejenigen, die gerade da waren, haben gespielt", führt Petra Müllejans aus. "Wenn vier Geigen anwesend waren, haben die eben gespielt; wenn es aber nur einen Cellisten gab, dann hat eben auch nur ein Cello gespielt. Ich glaube manchmal, dass wir uns heute darüber viel zu viele Gedanken machen, um so etwas sehr genau zu rekonstruieren. Es war damals, glaube ich, einfach üblich, das zu nehmen, was gerade möglich war."
Mozart schuf sich mit den drei Divertimenti handliche musikalische Visitenkarten, die er höchst variabel zu gegebenen Anlässen praktisch verteilen konnte. Dabei ist die Aufteilung der Stimmen gut zu überblicken: Die Violinen führen, allen voran die erste Geige, die unteren Stimmen Bratschen und Celli treten in Begleitfunktion und ergänzen vorwiegend die harmonische Architektur bis auf wenige thematische Einsätze. Auffällig an diesen frühen Werken ist, dass sie – anders wie damals in italienischen Serenaden üblich – auf das Menuett als vierten Satz verzichten.
Nichtsdestoweniger hat jedes der drei Divertimenti seine eigenen Stärken. Das erste in D-dur sprüht vor Lebenslust, während viel Bodenhaftung und bisweilen höfische Gespreiztheit das letzte Divertimento ausmachen. Die Folge der Sätze gliedert sich in schnell – langsam – schnell, bis auf das Divertimento Nr. 2 in B-Dur, das vom ersten Ton an anders ist: "Hier zum Beispiel könnte man sich gut eine Opernszene vorstellen", sagt Petra Müllejans. "So etwas kennen wir auch aus Mozarts frühen Streichquartetten: einen Andante-Satz zu Beginn, dann einen schnellen Satz nach Sturm-und-Drang-Manier mit Gewitter und allem, und schließlich einen eher beschwingten, heiter-virtuosen dritten Satz."
Man ist auch in diesen Divertimenti vor Überraschungen nicht gefeit. Gewiss sind es keine großen musikalischen Tableaux, die Mozart da entworfen hat. Mit Sicherheit dienten sie ihm als Studien für bedeutendere Werke, wie etwa seine Symphonien. Doch bei genauem Hinhören findet sich mehr musikalisches Raffinement als erwartet, weil Mozart die Konvention auch in diesen Gelegenheitswerken unter gepuderter Perücke ab und zu gegen den Strich bürstet. Zum Beispiel kurze Fugato-Passagen in den Durchführungen oder kecke Themenwiederholungen dort, wo sie normalerweise nichts zu suchen haben. Der "Mozart" steckt also augenzwinkernd im Detail.
Wolfgang Amadeus Mozart:
Divertimenti für Streicher KV 136-138, "Quartett-Divertimenti"
Freiburger Barockorchester
Leitung: Petra Müllejans
Label: Harmonia Mundi France
Sendung: "Das starke Stück" am 22. November 2022, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK