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Johannes Brahms "Alt-Rhapsodie"

Im November 1777 startet Johann Wolfgang von Goethe seine erste Harzreise, die ihn unter anderem auf den Brocken führt. Künstlerische Frucht des Ausflugs ist die "Harzreise im Winter" - ein Hymnus, in freiem Rhythmus geschrieben. Für Goethe war die Besteigung des Brocken bedeutungsvoll. Nur was sie ihm genau bedeutete, hat die Forschung bis heute nicht entschlüsselt. Bei Johannes Brahms hingegen, der Worte aus der "Harzreise" im Jahr 1869 in seiner "Alt-Rhapsodie" vertonte, ist der persönliche Hintergrund zu dieser Komposition bekannt.

Bildquelle: Christiane Jacobsen (Hrsg.): "Johannes Brahms: Leben und Werk", Hamburg 1983

Das Starke Stück zum Anhören

Einspruch, Widerspruch ist es, der sich mit dem Wort "Aber" ankündigt. Wer einen Satz so beginnt, der hat etwas dagegen. Ein unbedingtes "Aber" ist das erste Wort, das Johannes Brahms in seiner Altrhapsodie in den Raum stellt. Es ist zudem ein einsames. Denn die Stimmung, in die die Musik uns bringt, ist ungewiss. Vage. Zugleich lastend schwer. Die ersten Takte reichen dem Komponisten, um uns aller vermeintlichen Sicherheiten zu berauben: Denn die tiefen Streicher setzten mit den Fagotten ein, und sofort grätschen die hohen Streichern mit den Hörnern dazwischen. Ihr Widerspruch ist deutlich. Und die Verwirrung da. Die abwärtsgleitende Bewegung, die nach diesen ersten Tönen einsetzt, ist haltlos. Die Wiederholung macht es nicht besser. Das einsetzende Wandern hat kein erkennbares Ziel - ein instrumentales Vorspiel der Haltlosigkeit, der Orientierungslosigkeit, bis dann die Stimme der Altistin einsetzt. Die Altistin Lioba Braun sagt dazu: "Wenn ich die Alt-Rhapsodie singe und diese Orchestereinleitung höre, habe ich immer ein Bild einer weiten Landschaft und auch einer gewissen Verlorenheit im Kopf. In der Tat heißt ja der erste Satz auch 'Aber abseits, wer ist's'. Ich finde diesen Anfang sehr gelungen."

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Menschliche Stimme in kalter Landschaft

Aus Johann Wolfgang von Goethes "Harzreise im Winter" hat Johannes Brahms drei Strophen entnommen, um auf diese seine "Rhapsodie für eine Altstimme, Männerchor und Orchester" zu komponieren. Er vertraut entweder darauf, dass die Hörer Goethes "Harzreise" und die Fragmente daraus kennen. Oder es ist ihm nicht wichtig, weil schon die Musik in eisige, schneidend scharfe Regionen führt. Das vermittelt sich jedenfalls schon, bevor die Worte einsetzen. Und wenn die Altistin zu singen beginnt, steht auf einmal eine menschliche Stimme isoliert in der kalten Landschaft. "Das habe ich immer als etwas sehr Transparentes empfunden", erläutert Lioba Braun. "Das kann man nicht mit der vollen Stimme singen, sondern man muss immer wieder die 'piano'-Kultur suchen. Das Ganze kulminiert dann am Schluss, wenn es heißt 'Die Öde verschlingt ihn'. Und das Wort 'Öde' steht auf einem sehr langen Ton, sodass man wirklich mit der Stimme die Öde zeichnet."

Liebe verkehrt sich ins Gegenteil

Mezzosopranistin Lioba Braun | Bildquelle: © Susie Knoll Lioba Braun | Bildquelle: © Susie Knoll Ein erster Höhepunkt ist also mit der "Öde" erreicht. Der abseits Stehende, fern von aller Gemeinschaft, Wärme, Vertrautheit und Nähe wird von der Öde verschlungen, so der Text. Nur noch die tiefen Streicher skizzieren in leisem Pianissimo so etwas wie einen Boden, in dem die Stimme abtaucht. Diese Musik markiert den Abschluss des ersten von drei Teilen. Denn die "Alt-Rhapsodie" von Brahms ist ähnlich einer barocken dreiteiligen Kantate aufgebaut. Fast rezitativisch der harsche Einstieg, darauf folgt als Teil zwei die Solo-Arie. Lioba Braun: "Dieser Mittelteil steht in c-Moll. 'Ach wer heilet die Schmerzen des, dem Balsam zu Gift ward' - das deutet darauf hin, dass die Liebe, der Balsam, den Brahms der Tochter von Clara Schumann entgegengebrachte, sich dann ins Gegenteil verkehrt hat. Und was sängerisch eine Herausforderung darstellt: Brahms hat diese Fülle in einer Dezime ausgedrückt. Man muss also von ganz unten nach ganz oben gehen. Ich finde, das drückt wunderbar aus, was er damit gemeint hat."

Ein ziemlich gehässiges Brautgeschenk
Lioba Braun über die Alt-Rhapsodie

Menschenhass ist das Wort, das Brahms die Solistin in diesem Zusammenhang mehrfach wiederholen lässt. Die Einsamkeit des Liebesenttäuschten schlägt um in Verachtung allen anderen gegenüber. "Hier habe ich ein Brautlied geschrieben für die Schumann'sche Gräfin", lässt Johannes Brahms seinen Verleger über das Werk wissen, "aber mit Ingrimm schreibe ich derlei - mit Zorn". Darum also geht es hintergründig in dieser "Alt-Rhapsodie": Johannes Brahms war verliebt, aber Julie Schumann, Tochter von Robert und Clara Schumann, hatte sich anderweitig verlobt. Von Fassungslosigkeit zum grimmigem Weltschmerz. "Ein ziemlich gehässiges Brautgeschenk", kommentiert Lioba Braun, "weil er davon spricht, dass der Menschenhass sich aus der Fülle der Liebe nährt."

Gemeinschaft wird spürbar

Der dritte und letzte Teil dieser "Alt-Rhapsodie" bringt einen neuen, berührenden Ton. Nachdem die Solo-Stimme zunächst immer alleine zu hören war, tritt nun der Männerchor dazu. Gemeinschaft wird spürbar. Die Solo-Stimme ist darin aufgehoben. Der Kontrast zu dem oft dissonanten Beginn ist stark und wirkungsvoll. Brahms hat hier die Tonart von Moll zu C-Dur verändert. Die Altrhapsodie endet mit einem sanft pulsierendem, anrührend schönem Choralgesang.

Musik-Info

Johannes Brahms:
Rhapsodie für eine Altstimme, Männerchor und Orchester, op. 53


Lioba Braun (Alt)
Gächinger Kantorei Stuttgart
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Leitung: Helmuth Rilling

Label: Hänssler Classic

Sendung: "Das starke Stück" am 05. Juni 2018, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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