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Gustav Mahler "Lieder eines fahrenden Gesellen"

Es sind die Werke eines jungen Mannes am Anfang einer großen Karriere, und sie weisen uns eindrucksvoll darauf hin, was später kommen wird. Gustav Mahlers "Lieder eines fahrenden Gesellen" sind in der Tat "Starke Stücke" - nicht nur in ihrer musikalischen Machart, sondern auch in der für Gustav Mahler so typischen Wechselbeziehung zwischen Leben und Schaffensprozess. Markus Vanhoefer hat mit dem Sänger Thomas Hampson über diese Lieder gesprochen und zeigt, was ein emotionaler Notstand bei einem liebeskranken Komponisten bewirken kann.

Bildquelle: IMAGNO/Österr. Theatermuseum/Süddeutsche Zeitung Photo

Das Starke Stück zum Anhören

Gustav Mahlers "Gesellenlieder" - gäbe es diese Musik ohne "sie"? Sie, die Angebetete, Rätselhafte und Unnahbare, die Auslösende für Herzschmerz, für Hoffen und Bangen, der Grund für ein quälendes, seelisches Wechselbad bittersüßer Gefühle. "Ich möchte jeden Blutstropfen für sie hingeben", schrieb Mahler in einem Brief. "Aber ich weiß doch, dass ich fort muss. Ich habe alles dafür getan, aber noch immer zeigt sich mir kein Ausweg." Die "anonyme Geliebte" seiner Briefe, "sie" - das ist Johanna Richter, Sopranistin am Kassler Hoftheater. Mahler, der zu ihr in Liebe entbrannte, ist der Zweite Kapellmeister des Hauses, damals gerade 24 Jahre alt. Die beiden haben den Silvesterabend 1884 miteinander verbracht. Alleine. Es ist ein neurotisches Tête-à-Tête, in dem Emotionen unterdrückt und Bedürfnisse verschwiegen werden, in dem nicht zusammenfindet, was sich danach sehnt, zusammen zu gehören.

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Komponieren als Verdrängungsprozess

"Wir erwarteten beide stumm die Ankunft des Neuen Jahres" erinnerte sich Mahler später. "Ihre Gedanken weilten nicht bei dem Gegenwärtigen, und als die Glocken schlugen und die Tränen aus ihren Augen stürzten, da kam es so furchtbar über mich. Dass ich sie nicht trocknen durfte." Gustav Mahler bringt es nicht über die Lippen, Johanna seine Zuneigung zu erklären. Stattdessen hatte er begonnen, seinen "unnennbaren Schmerzen" in Klänge zu fassen. Wie so oft in seinem Leben wird Kreativität zum Ventil für Konflikte und Seelenpein. Das Ergebnis des "Komponierens als Verdrängungsprozess" wird ein Liederzyklus, der insgeheim ihr gewidmet ist. "Sie kennt die Lieder nicht, was können sie ihr anderes sagen, als was sie weiß", schreibt Mahler. "Die Lieder sind so zusammengedacht, als ob ein fahrender Geselle, der ein Schicksal gehabt hat, nun in die Welt hinauszieht, und so vor sich hin wandert."

Man nähert sich der Welt und der Persönlichkeit Mahlers.
Thomas Hampson über die Gesellenlieder

Mahlers "naive, schlichte Art"

"Es kommt etwas Biografisches vor", sagt Thomas Hampson über die "Gesellenlieder". "Immer wieder eröffnen sich Blicke in seine Persönlichkeit, in die Weltbetrachtung von Gustav Mahler selbst. Es ist nicht nur eine beliebige Sammlung von Liedern, die er geschrieben hat. Man nähert sich der Welt und der Persönlichkeit Mahlers." Die "Lieder eines fahrenden Gesellen" seien ein Werk mit besonderen "persönlichen Eigenarten", wird Gustav Mahler später schreiben. Das liegt nicht nur an den Entstehungsumständen. Der literarische Ausgangspunkt des Zyklus sind sechs volksliedhafte Texte, die Mahler selbst verfasst hat - "in naiver, schlichter Art", wie er sagt.

Ich hab' ein glühend Messer/ Ein Messer in meiner Brust, / O weh! O weh!/ Das schneid't so tief ! In jede Freud' und jede Lust.
Zeilen aus Mahlers Liedern eines fahrenden Gesellen

Mahler vertont die Welt

Bariton Thomas Hampson | Bildquelle: Kirstin Hoebermann Thomas Hampson | Bildquelle: Kirstin Hoebermann Vier dieser sechs, von der Gedichtsammlung "Des Knaben Wunderhorn" beeinflussten Texte vertont der junge Gustav Mahler für Singstimme und Klavier und gibt ihnen den Titel "Lieder eines fahrenden Gesellen". Etwa zehn Jahre nach ihrer Entstehung nimmt sich Mahler, der inzwischen erster Kapellmeister in Hamburg ist, seine "Gesänge" noch einmal vor und orchestriert sie. In dieser Fassung erklingt der Zyklus zum ersten Mal am 16. März 1896 in einem Konzert der Berliner Philharmoniker mit dem holländischen Bariton Anton Sistermans. Im Folgejahr erscheint das Werk im Druck. Die "Lieder eines fahrenden Gesellen" werden zum Erfolg, auch weil sie bereits die Qualität besitzen, die der Komponist Luciano Berio "Mahlers musikalischen Pluralismus" nennt. Thomas Hampson, der sich in seiner langen Sänger-Karriere intensiv mit Mahler beschäftigt hat, unterstreicht dies: "Wenn ich versuche, jemandem die Musik Mahlers zu beschreiben, dann so: Mahler hat alles, was er wahrgenommen hat in seinem Leben, in seine Musik hineingebracht. Das heißt, ein Blatt das zu Boden fiel, oder Wasser, das vorbeirauscht, oder zu laute Klänge auf der Straße, Kinder, die spielten, eine Fliege, eine blöde Bemerkung von jemanden. Egal, was in sein Bewusstsein kam, ist in Töne verwandelt. Er nahm das alles und verwandelte es in ein musikalisches Momentereignis."

Offenbarung seelischer Zustände

Die "Lieder eines fahrenden Gesellen" sind "künstlerische Bewältigung" im psychoanalytischen Sinn, die Sublimation einer unglücklichen Liebesbeziehung. Die Klänge, die uns Mahler hören lässt, sind äußerst privat, eine Offenbarung seelischer Zustände. Aber sind sie deshalb zwangsläufig delikat? Ein Bruch der Intimsphäre? Diese Fragestellung ist der Grund, warum der 36-jährige Komponist mit gemischten Gefühlen von der "fahrenden Gesellen" -Episode seines Lebens sprechen wird - einer produktiven Phase, der wir auch die Erste Symphonie verdanken: "Die Liebesaffaire ging im Empfindungsleben des Schaffenden voran", erinnert sich Mahler." Aber das äußere Erlebnis wurde zum Anlass und nicht zum Inhalt des Werkes. Ich weiß für mich, dass ich, solange ich mein Erlebnis in Worte zusammenfassen kann, gewiss keine Musik hierüber machen würde." Dass manches in seiner Musik sehr autobiografisch ist, lenkt nicht ab von der allgemeinen menschlichen Betrachtung, was er damit meint, oder erleuchten möchte", führt Thomas Hampson aus. "Er möchte vielleicht sagen: Ich selbst bin ein Beispiel dafür, was wir alle selbst alle erfahren. In seinen Liedern ist das ein sehr wichtiger Standpunkt."

Musik-Info

Gustav Mahler: "Lieder eines fahrenden Gesellen"

Thomas Hampson (Bariton)
David Lutz (Klavier)

Label: Teldec

Thomas Hampson (Bariton)
Wiener Philharmoniker
Leitung: Leonard Bernstein

Label: Deutsche Grammophon

Sendung: "Das starke Stück" am 24. Oktober 2017, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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