Heute ein Konzert in Japan, morgen eines in Amerika, übermorgen eines in Europa: Das Leben vieler Musiker besteht aus Flugreisen – nicht gerade besonders klimafreundlich. Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja überdenkt deswegen nun ihr Reiseverhalten. Sie sagt: Wenn man verstanden habe, dass der Klimawandel eine Tatsache ist, "dann brennt das Feuer unter den Füßen."
Bildquelle: Marco Borggreve
BR-KLASSIK: Wir leben in Zeiten, in denen man viel über Umwelt nachdenkt – zum Beispiel, ob man fliegt oder doch besser Bahn fährt. Wie gehen Sie damit um?
Patricia Kopatchinskaja: Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen. Natürlich reise ich sehr, sehr viel mit dem Flugzeug. Und in letzter Zeit überlege ich schon, was ich anders machen kann: Mit dem Zug kann man zum Beispiel schon ziemlich viele Städte bereisen. Man muss aber völlig anders planen - eigentlich das ganze Leben überdenken, von Anfang an ganz anders handeln. Ich denke, dass das Reisen mit Zug immer größere Rolle in unserer Planung spielen wird. Wir Musiker sollten auch langsam anfangen, geografisch zu denken – also nicht einfach irgendwohin fahren, nur weil der Veranstalter uns eingeladen hat. Sondern mit den Veranstaltern zusammenarbeiten, sie aktiv darauf ansprechen, etwa so: „Hören Sie mal, ich bin in dieser Zeit in Süddeutschland, lassen Sie uns zusammen überlegen, wie wir eine Tournee so planen können, dass ein ganzes Ensemble nicht im Zickzack rund um den Globus fliegen muss.“ Stellen sich vor, es gibt Musiker – darunter auch ich – die an einem Tag in Japan spielen, am nächsten Tag in Amerika, und dann müssen sie gleich danach wieder in Europa sein.
BR-KLASSIK: Es ist ja eigentlich für einen Musiker sehr schön, viele Konzerte auf der ganzen Welt zu spielen.
Kopatchinskaja: Das ist auch eine Sache der Gewichtung: Was ist wirklich wichtig? Und wo geht es nur ums Prestige? So etwas sollte wirklich nicht mehr im Vordergrund stehen. Die Hauptsache ist doch, dass wir unseren Planeten nicht weiter verletzen, dass wir damit sofort aufhören. Aber ich hoffe, die Flüge werden bald ohnehin so teuer, dass man sich das Fliegen nur noch als Luxus leisten wird. Und ganz abgesehen davon: Der Ort, an dem man wohnt, ist doch so schön! Wenn man einmal im Urlaub als Tourist mal die eigene Stadt erkundet, dann ist es doch so viel gesünder, als z. B. nach Barcelona zu fliegen, oder ans Meer, wo es sowieso viel zu heiß ist.
Ich hoffe, dass man sich das Fliegen nur noch als Luxus leisten wird.
BR-KLASSIK: Bei sich zuhause kann man ja auch viel entdecken.
Bildquelle: Marco Borggreve Kopatchinskaja: Ja, absolut! In unseren europäischen Ländern haben wir zum Glück noch erträgliche Temperaturen. Wir müssen unbedingt Druck auf die Politik ausüben, denn so geht es nicht weiter – das sollte uns doch allen absolut klar sein. Es gibt einen wissenschaftlichen Konsens zur Klimakrise. Das sind Tatsachen, das ist keine Geschichten, die man so oder so sehen kann. Es sind nun mal Tatsachen. Und wenn man das einmal verstanden hat, dann brennt das Feuer unter den Füßen.
BR-KLASSIK: Machen Sie das auch aktiv? Verändern Sie Ihre Tourneen und besprechen das mit Ihren Agenturen und mit dem Veranstalter?
Kopatchinskaja: Unbedingt! Zum Beispiel gehe ich jetzt nicht einfach so nach China, sondern sage auch Nein. Ich gehe nicht zweimal pro Jahr nach China. Ich fliege einmal über den Ozean und bin auf einem Kontinent vielleicht einen Monat lang. Da muss man die Veranstalter erst einmal überzeugen, dass sie auch miteinander kooperieren. Aber: Jeder ist jetzt gefragt. Jedes Gewissen spielt eine Rolle. Das wird einfach nicht anders gehen. Das ist jetzt ein großes Umdenken, auch bei jedem ganz persönlich, auch im Haushalt und der Lebensplanung. Wir Musiker können etwa Projekte entwickeln, die die Zuhörer dazu auffordern, sich Gedanken um den Klimawandel zu machen. Ich habe zum Beispiel unlängst ein Projekt mit den Musikern von der Staatskapelle Berlin gemacht, im E-Werk in Berlin. Sie machen ja jedes Jahr ein Klimakonzert. Wir haben "Dies Irae" von Galina Ustwolskaja gespielt. Mit dem Ziel: Das Publikum soll nach dem Konzert konsterniert nach Hause kommen und ins Überlegen kommen.
Jeder ist jetzt gefragt. Jedes Gewissen spielt eine Rolle.
BR-KLASSIK: Damit ist der Anfang getan, wenn man denkt: So kann es nicht weitergehen.
Kopatchinskaja: Es wird kein Ende geben, weil die Klimaerwärmung weitergeht. Wir müssen anpacken, sonst wird es eine unglaubliche Katastrophe, überall. Und dem zuzusehen, das ist suizidal. Ich habe eine Tochter, die ist 13, und ich möchte gerne, dass sie auch noch Kinder hat. Sie hat zu mir gesagt, sie möchte keine Kinder haben, weil unser Planet die Überbevölkerung nicht erträgt. Da wird es mir schon sehr traurig. Dass uns das die Kinder sagen, dass wir uns das selbst nicht vorher überlegt haben. Dass es immer um die Vergrößerung und mehr haben geht. Darum mehr Geld, mehr Dinge zu besitzen. Und alles wegzuwerfen, dass nur ein bisschen kaputt ist. Es fängt alles beim Kleinen an.