Festspielzeit 2024
Der Musiksommer mit BR-KLASSIK
Leuchtende Drachen, Feuerwerfer, Wasserfontänen und eine gigantische chinesische Mauer gehören zur "Turandot" der Bregenzer Festspiele. Die Produktion aus dem vergangenen Jahr ist auch 2016 auf der Seebühne zu erleben. BR-KLASSIK-Kritiker Peter Jungblut sagt über das Spektakel: Große Effekte, aber ohne erkennbaren tieferen Sinn.
Bildquelle: Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Gleich zu Beginn stürzt die chinesische Mauer ein. Regisseur Marco Arturo Marelli hält sich bei seiner Inszenierung von "Turandot" also an die alte Weisheit seines Berufskollegen Billy Wilder: Beginne mit einem Erdbeben und steigere dich langsam. Tatsächlich geht es auf der Bregenzer Seebühne weiter mit Fahnenschwingern und Flammenwerfern, Messerschleifern und Kampfakrobaten, einer geheimnisvollen Barke, leuchtenden Drachen und Wasserfontänen.
Bildquelle: Bregenzer Festspiele / Karl Forster Der Schauwert der "Turandot" ist beachtlich, allerdings irritierte ein riesiges rundes Leuchtdisplay mitten im Bühnenbild. Wie ein magische Auge sollte es wohl zusätzlich Effekt machen, wirkte aber über weite Strecken nur überflüssig. Zu sehen waren merkwürdige Strahlenkränze, Schriftzeichen und Masken. Angeblich sollten sie das Innenleben der gefühlskalten Prinzessin Turandot illustrieren. Doch der ungeheure technische Aufwand wollte keinen rechten Sinn ergeben.
Vieles in Marellis Interpretation war zwar bildstark, blieb aber rätselhaft. So ließ er die Handlung im Schlafzimmer des Komponisten Giacomo Puccini beginnen. Offensichtlich befindet der sich in einer Schaffenskrise. Jedenfalls grübelt er vor sich hin. Bekanntlich ist Puccini über der Arbeit an der "Turandot" gestorben und hinterließ das Werk als Fragment. Warum er allerdings mit einer kleinen Spieldose auf dem ersten Takt die chinesische Mauer sprengt, wollte sich im weiteren Verlauf nicht erschließen. Zweifellos versteht Marelli mit den riesigen Dimensionen der Bregenzer Seebühne umzugehen. Wie üblich war er sein eigener Ausstatter und wuchtete ein kühn geschwungenes Stück Mauer in den Bodensee - eine Form, die an einen gekrümmten Drachen erinnern sollte. Zwei Wachtürme und ein Teehaus in schwindelnder Höhe rahmen die kreisrunde Spielfläche ein.
Bildquelle: Bregenzer Festspiele / Karl Forster Viele Dutzend Tonsoldaten, wie sie China-Touristen und nciht nur die, aus dem berühmten Kaisergrab kennen, stehen teils im Wasser, teils hoch gestaffelt in der Bühnenmitte. Die Szenerie ist eindrucksvoll und geschickt beleuchtet und 7.000 Zuschauer pro Vorstellung erwarten ja vor allem spektakuläre, nicht unbedingt logische Bilder. Gemessen an anderen "Turandot"-Monumentalproduktionen leistet sich Marelli sogar verhältnismäßig viele Kammerspielmomente, in denen die Personen ganz ohne äußeres Brimborium nur durch ihr Spiel Konturen gewinnen. Dazu gehört eine Szene in der Bibliothek der drei chinesischen Hofschranzen Ping, Pang und Pong, die nicht nur unterwürfige Gelehrte sind, sondern nebenbei auch abgeschlagene Köpfe fachgerecht entsorgen.
Überraschend einfühlsam und unpathetisch fiel das Dirigat von Paolo Carignani aus. Zwar war seine Körpersprache ausladend, aber das Klangbild keineswegs auftrumpfend oder gar dröhnend. Ganz im Gegenteil: Es schien, dass Carignani die pompösen Stellen absichtlich fahl und gedämpft zu Gehör brachte.
Bildquelle: Bregenzer Festspiele / Karl Forster Die Hauptrollen sind in Bregenz allesamt dreifach besetzt. Das Publikum bekommt also jeden Abend andere Sänger präsentiert - je nach Dienstplan. Tenor Michael Ryssov sang in der Premiere den Calaf, ohne dabei große Begeisterung auszulösen. Seine Arie "Nessun dorma" verklang ohne Beifall, was bei diesem längst bis zum Überdruss vermarkteten Ohrwurm schon bemerkenswert ist. Ebenfalls wenig mitreißend erwies sich Mlada Khudoley in der Titelrolle der Turandot. Womöglich waren beide durch die heftigen Regenschauer irritiert, die immer wieder niederprasselten. Insgesamt eine solide, bildgewaltige, aber nicht sonderlich anheimelnde Produktion auf der Bregenzer Seebühne. Da hat der Bodensee schon größere Gefühle ausgehalten.