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Interview mit Elīna Garanča Vom Bauernhof auf die Opernbühne

"Wirklich wichtig sind die Schuhe" - so heißt ein Buch der Opernsängerin Elīna Garanča aus dem Jahr 2013. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht die Mezzosopranistin darüber, warum sie keine Angst vor Offenheit hat, warum sie Männer am Bahnhof beobachtet und wie es dazu kam, dass sie Kollegin Anna Netrebko in den Po gekniffen hat.

Mezzosopranistin Elīna Garanča bei Klassik in den Alpen in Kitzbühl 2015 | Bildquelle: imago/Roland Mühlanger

Bildquelle: imago/Roland Mühlanger

BR-KLASSIK: Elīna Garanča, Ihr Buch trägt den Titel "Wirklich wichtig sind die Schuhe". Meinen Sie dabei die Alltagsschuhe oder die, die Sie auf der Bühne tragen?

Elīna Garanča: Ich meine eigentlich beide, denn ein guter Halt ist im privaten Leben genauso wichtig wie auf der Bühne. Besonders auf der Bühne muss man häufig Treppen oder sonstiges hoch- und runterlaufen, ein guter Schuh erleichtert da einiges. Besonders bei Schnee und Kälte will man die Füße warmhalten. Tatsächlich geht es mir aber um die Bodenständigkeit, die Verbindung zur Erde und den stabilen Halt im Leben.

BR-KLASSIK: Auf der Bühne übernehmen sie häufig Männerrollen. Wie empfinden Sie das?

Elīna Garanča: Sehr interessant, weil man viel über sich selbst oder die Männerwelt lachen kann. Es ist sehr interessant als Frau in zwei verschiedene Partien zu schlüpfen und besonders die Reaktionen darauf. Es entstehen hier und da auch lustige Situationen, wenn ich beispielsweise männliche Gestikulation nachahme oder mal ein Busserl verteile. Manchmal entstehen gar peinliche Situationen, das gehört zum Beruf.

Überhaupt bin ich ein Mensch, der sehr gerne beobachtet, und das was ich gesehen habe, benutzte ich dann auch auf der Bühne.
Elīna Garanča

BR-KLASSIK: Haben Sie die Männerwelt durch Beobachtungen studiert, damit Sie die Rollen authentisch darstellen können?

Elīna Garanča: Das schon aber inzwischen ist das für mich zur Routine geworden. Anfangs war ich auf Fußballplätzen oder am Flughafen und habe dort Männer, wie sie von Flugzeug zu Flugzeug gerannt sind, beobachtet. Für die Rolle als Orlofsky, der ein Alkoholproblem hat oder auch verwöhnt ist, habe ich mir manches von Männern, die ich am Bahnhof gesehen habe, abgeschaut. Überhaupt bin ich ein Mensch, der sehr gerne beobachtet, und das was ich gesehen habe, benutzte ich dann auch auf der Bühne.

BR-KLASSIK: Immer wieder stehen sie gemeinsam mit Anna Netrebko auf der Bühne und spielen ihren Liebhaber. Gibt das Raum für den ein oder anderen Scherz?

Elīna Garanča: Ja sicherlich. Ich erinnere mich, dass ich sie mal gekitzelt habe worauf sie mir in meinen Popo kniff. Ich glaube aber, dass die Männer, die das vom Zuschauerraum aus beobachten, viel mehr genießen würden.

BR-KLASSIK: War das keine Regieanweisung?

Elīna Garanča: Nein, es war einfach eine lustige Situation. Die Geschichte ist damals in London passiert, als wir die Liebesgeschichte von Romeo und Julia gespielt haben. Beim Schlussapplaus lagen wir auf dem Bett, das auf der Bühne stand, es wurde lange applaudiert und als wir so lachend dalagen, gab mir Anna einen Kneifer und ich gab ihr einen zurück. Das war so ein typischer Momente der Entspannung nach großer Anspannung.

Im Sommer war ich immer auf dem Bauernhof meiner Großeltern, habe dort Schweine gefüttert und Hühner gejagt.
Mezzosopranistin Elīna Garanča

BR-KLASSIK: Bekanntlich ist der Druck in der Opernwelt sehr groß, aber wie es mir scheint, haben Sie einen guten Weg gefunden, das mit Leichtigkeit zu sehen.

Elīna Garanča: Ich liebe meinen Beruf und ich bin einer der wenigen Glücklichen, die im Leben wirklich das machen können, was sie lieben. Viele arbeiten, um einfach nur Geld zu verdienen oder zählen ihren Job zu den harten Seiten des Lebens. Bei mir ist das anders. Ich liebe das Singen und auf der Bühne zu stehen, und das wird mir auch noch bezahlt. Natürlich gibt es Tage, an denen ich mal mit größerer, mal mit weniger Lust auf die Bühne gehe, aber das gehört dazu. Ich bin bodenständig, weil ich zwei verschiedenen Welten großgeworden bin.
In der Stadt Riga bin ich zur Schule gegangen und meine Eltern, die beide als Musiker tätig waren, zählten immer zu den Intellektuelleren der Gesellschaft. Im Sommer war ich aber immer auf dem Bauernhof meiner Großeltern, habe dort Schweine gefüttert und Hühner gejagt. Dadurch habe ich auf emotionaler Ebene ein unheimliches Spektrum des Lebens kennenlernen dürfen.

BR-KLASSIK: In Ihrem Buch beschreiben Sie auch, dass Sie vor lauter Angst vor dem Gewitter in den Stall gegangen sind und man Sie morgens im Futtertrog aufgefunden hat.

Elīna Garanča: Dort oben konnte ich den Himmel, wie er sich immer wieder verfärbte, durch einen kleine Spalte, beobachten. Bei Donner und Blitz hatte ich auch Angst ins Haus zu rennen und dann war mir wohl, die Tiere um mich herum zu haben. Ich dachte mir, wenn denen nichts passiert, dann passiert mir auch nichts.

Man kann nicht offen auf der Bühne sein, wenn man das im richtigen Leben auch nicht ist.
Elīna Garanča

BR-KLASSIK: In Ihrem Buch erzählen Sie auch viel Persönliches, denn Sie schreiben über Ihre Gefühle und Ängste. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen das Publikum dadurch zu nahe kommen kann?

Elīna Garanča: Darüber habe ich nie nachgedacht. Das Buch habe ich ehrlich und offen geschrieben, so wie ich bin. Ich wollte zeigen, wie ich, als Künstler, im Alltag ticke. Dabei wollte ich auch gewisse Klischees der bekanntlich glamourösen Welt brechen. Es ist nicht nur schön, sondern manchmal auch trügerisch. Man kann nicht offen auf der Bühne sein, wenn man das im richtigen Leben auch nicht ist. Immer nur die Diva spielen zu müssen und in irgendwelche Rollen zu schlüpfen ist für mich sehr anstrengend und langweilig. Immer wieder das Gleiche machen zu müssen, wäre nichts für mich.

Das Interview führte für BR-KLASSIK Uta Sailer.

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