Giacomo Puccini wollte unbedingt aus Ferenc Molnárs Theaterstück "Liliom" eine Oper machen. Doch er durfte nicht. Nun bringt die Komponistin Johanna Doderer den Stoff auf die Opernbühne. Ein Interview über den Vorteil, nicht alles mit Text sagen zu müssen und das Glück, die eigene Bestimmung gefunden zu haben.
BR-KLASSIK: "Liliom" ist eine abendfüllende Oper und, wenn man so will, auch ein jahrefüllendes Projekt. Wie viele Jahre haben Sie daran geschrieben - zwei, drei, vier?
Johanna Doderer: Drei Jahre habe ich daran gearbeitet, zwar nicht durchgehend, aber vor drei Jahren habe ich angefangen. Und ich bin immer noch nicht fertig.
BR-KLASSIK: Woran liegt's? Ringen Sie mit dem Stoff?
Bildquelle: © Maria Frodl Johanna Doderer: Nein, der Stoff ist wunderbar! Doch durch die szenische Umsetzung tauchen immer wieder neue Fragen auf und es gibt hier und da Änderungsbedarf. Wir wollen ein Gesamtwerk schaffen. Es ist eine besonders gute Zusammenarbeit am Gärtnerplatztheater. Man spürt, dass alle sehr dahinter sind, dass auch eine Freude und Bereitschaft da ist, das Werk umzusetzen. So kann wirklich Großes entstehen. Ich bin bei den Proben anwesend und im ständigen Austausch mit der Regie und den Musikern, um noch Änderungen vorzunehmen.
Puccini hätte 'Liliom' gerne selbst geschrieben, durfte aber nicht.
BR-KLASSIK: Ihre Oper ist die erste "Liliom"-Oper überhaupt. Schon Puccini fand den Stoff interessant und wollte daraus gerne eine Oper machen, aber Ferenc Molnár verweigerte ihm diesen Wunsch damals. Er wollte verhindern, dass "Liliom" als Puccini-Oper in die Annalen eingeht statt als Molnár-Stück. Sie mussten und konnten Puccini jetzt nicht fragen, sie konnten einfach loslegen.
Ferenc Molnár | Bildquelle: picture-alliance / Imagno Johanna Doderer: Das mit Puccini, das habe ich nicht von Anfang an gewusst, und als ich es dann erfahren habe, bin ich schon ziemlich nervös geworden. Ich meine, Puccini! Das ist ein ganz Großer! Und jetzt habe ich also die Rechte, dieses Werk zu schreiben. Na, wunderbar! Also, das ist schon eine sehr hohe Latte. Und das Werk selber: Die Sprache des Librettos eignet sich hervorragend für eine Vertonung. Außerdem, diese unglückliche Liebesgeschichte auf einem Rummelplatz anzusiedeln - also dort, wo eigentlich gelacht werden muss -, das ist schon eine sehr gelungene Idee. Dieses Zentrum der Freude, der Ausgelassenheit, aber auch des Geldes, das zugleich ein Zentrum der menschlichen Abgründe ist.
Liliom ist nicht fassbar. Er hat starke Gefühle. Er schlägt zu, er ist brutal und trotzdem sehr menschlich.
BR-KLASSIK: Liliom ist ja ein Rummelplatzprotz, er ist charmant, er ist leichtsinnig. Er hat viele Seiten. Welche Akzente setzen Sie bei Ihrem Liliom?
Johanna Doderer: Er ist nicht fassbar. Er hat starke Gefühle und gleichzeitig kann er seine Gefühle nicht artikulieren. Er schlägt zu, er ist brutal und trotzdem ist er sehr, sehr menschlich. Man kann diese Geschichte wirklich in drei Sätzen erzählen: Liliom trifft auf Julie. Sie erwartet ein Kind von ihm. Er hat kein Geld, plant deshalb einen Raubüberfall, der misslingt und das Ganze treibt ihn in den Selbstmord. Das verspricht in dem Fall aber keine Erlösung, denn das Böse an diesem Stoff ist ja, dass Liliom in den Himmel kommt, in den sogenannten, wo die Beamten in ihrer nüchternen Beamtenstube sitzen, wo er dann Rechenschaft ablegen muss. Nach 16 Jahren darf er zurück auf die Erde. Dort trifft er auf seine Tochter, aber er ist der alte Liliom geblieben:
Noch immer unfähig sich auszudrücken schlägt er seine Tochter. Doch das Mädchen sagt, dass es diesen Schlag nicht gespürt habe. Darin liegt eine besondere Dramatik: In der Frage, wo Schläge anfangen und wo sie aufhören.
BR-KLASSIK: Gewalt in Beziehungen ist ein tagesaktuelles Thema. Wie setzen Sie das in Ihrer Oper um?
Johanna Doderer: Dort wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an. Zum Glück habe ich diese Ebene der Musik. Natürlich ist es verlockend, dazu eine ganz raue, große, dissonante Musik zu schreiben. Ich glaube oder hoffe zumindest, dass ich nicht in diese Falle getappt bin, sondern dass es mir wirklich gelungen ist, Gefühle darzustellen, in einer klaren, starken Musik.
BR-KLASSIK: Im Theater kommt Molnárs Stück, so zeitlos der Stoff auch ist, oft ein wenig rührselig rüber und manchmal sogar kitschig. Spielt Kitsch auch in Ihrer Oper eine Rolle? Spielen Sie mit Kitsch als Element?
Johanna Doderers "Liliom" am Staatstheater am Gärtnerplatz | Bildquelle: © Thomas Dashuber Johanna Doderer: Das ist eine ganz schwierige Frage. Die Grenze zwischen Kitsch und wirklich großer Kunst ist hauchdünn. Wann hört der Kitsch auf und wann fängt die große Kunst an? Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Das Einzige, was ich in dieser Situation tun kann, ist mich total hinter das Werk zu stellen, mit meinem ganzen Können, mit meiner Kraft und mit meiner Begabung. Ich glaube, wenn ich eine Definition von Kitsch in der Musik habe, dann muss ich scheitern.
BR-KLASSIK: Sie haben nicht nur Komposition bei Beat Furrer studiert, sondern in Wien auch Film- und Medienkomposition. Und Sie sind bekannt für Ihre Offenheit, die man Ihren Werken auch anhört. Da kommt vieles zusammen: tonal und atonal, leicht Hörbares und Sperriges. Für diesen eklektizistischen, offenen Stil gibt es nicht nur Lob. Woran stören sich Ihre Kritiker genau?
Johanna Doderer: Ich glaube, das hat eine historische Ursache. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es einfach eine Zeit, wo einen riesiger Umbruch stattfand. Und der klingt noch in unserer heutigen Zeit hinein. Die Tabus, die wir heute noch erleben, sind eine Art Nachwehen. Es geht doch eigentlich einfach um gute Musik. Ich schreibe das, was ich hören möchte und ich höre auch nur das, was ich hören möchte. Und die Musik ist ja doch größer als der Intellekt. Wir können nicht in alle Bereiche vordringen mit unserem Wissen und unserer Intellektualität. Ich weiß, ich begebe mich auf dünnes Eis, aber mich kümmert das Ganze nicht. Ich versuche, für die Menschen zu schreiben. Ich schreibe für die Musiker, und die Musiker lieben meine Musik - natürlich nicht alle, aber die, die meine Musik interpretieren, spielen sie gerne und können das auch gut umsetzen.
Krampfhaft etwas Neues schaffen zu wollen funktioniert nicht. Es geht nur mit Hingabe an die Situation, an die Klänge unserer Zeit.
Ich schreibe für ein Publikum, und ich schreibe vor allem das, was ich heute in dieser Zeit empfinden kann. Indem ich ganz da bin, bin ich neu. Krampfhaft etwas Neues schaffen zu wollen funktioniert nicht. Es geht nur mit Hingabe an die Situation, an die Klänge unserer Zeit. Die Musik ist immer größer als man selbst.
BR-KLASSIK: Welche Musik hören Sie denn privat?
Johanna Doderer: Zum aktiven Musikhören komme ich sehr wenig, weil ich selber den Kopf so voll habe mit Musik. Es gibt jedoch momentan einen Komponisten, der mich sehr beeindruckt: Witold Lutosławski. Von den sogenannten zeitgenössischen Komponisten für mich der spannendste. Aber mein Spektrum geht bis zum Techno, also ich höre einfach alles, was mir gefällt, ich habe da keine Tabus. Ich gehe mit offenen Ohren durch die Welt und es passiert einfach wahnsinnig viel auf allen Ebenen, auch in der Filmmusik.
BR-KLASSIK: Filmmusik gibt es bislang von Ihnen nicht. Die Oper bildet einen besonderen Schwerpunkt in Ihrer Arbeit. Wollen Sie sich auch in Zukunft weiter darauf fokussieren?
Johanna Doderer: Auf jeden Fall. Die Oper ist nicht austauschbar. Es ist wunderbar, in der Oper arbeiten zu dürfen - und es gibt auch schon ein nächstes Opernprojekt. Ich darf inhaltlich noch nichts sagen, aber der Text wird von Peter Turrini geschrieben und sie wird wieder am Gärtnerplatztheater stattfinden. Wahrscheinlich wird sie im Jahr 2019/2020 rauskommen.
BR-KLASSIK: Also wieder drei, vier Jahre Zeit zum Komponieren… In Ihrer Vita auf Ihrer Webseite kann man lesen: "Für Johanna Doderer ist alles Musik." Inspiration begegnet Ihnen überall. Bei ihrer neuen Oper war es die Literatur. Wenn es nicht gerade die Literatur ist, was inspiriert Sie dann?
Die Muse küsst einen schon, aber dann heißt es: arbeiten. Sich zurückziehen und sich auf diese Arbeit einlassen.
Bildquelle: © Maria Frodl Johanna Doderer: Alles. Auch das Gespräch jetzt. Die Menschen, das Leben, alles inspiriert mich. Die Inspiration ist etwas ganz wichtiges, aber noch viel wichtiger oder mindestens genauso wichtig ist einfach die Arbeit selbst, also dass man konsequent dranbleibt. Die Muse küsst einen schon, aber dann heißt es: arbeiten, sich zurückziehen und sich auf dieses Arbeit einlassen, sich der Musik hinzugeben.
BR-KLASSIK: Ist das etwas, was Ihnen im Falle des Komponierens generell leichtfällt? Sie haben ja die Schule abgebrochen, hatten eine bewegte Jugend. War das Komponieren da so eine Art Rettung für Sie?
Johanna Doderer: Ja, das war es wirklich. Ich habe alles mögliche abgebrochen und mir dann irgendwann gedacht: Ok, ich mache jetzt das, was ich wirklich machen möchte. Ich bin dann trotzdem auf die Universität und habe das Studium abgeschlossen, aber im Prinzip war die Musik das, was immer da war. Es ist mir gewissermaßen leicht gefallen und es fällt mir auch immer noch leicht, aber das darf nicht verwechselt werden mit Leichtsinn. Das ist kein Weg, den man so nebenbei gehen kann, es verlangt schon sehr viel Disziplin und Arbeit und Konzentration und Mut.
Das Interview für BR-KLASSIK führte Kristin Amme.
1909 brachte der ungarische Dramatiker Ferenc Molnár das Schicksal Lilioms, eines nichtsnutzigen Kerls, dem durch nichts in der Welt zu helfen ist, in Budapest auf die Theaterbühne. Die österreichische Komponistin Johanna Doderer verwandelt Molnárs Welterfolg erstmalig in eine Oper, für das Staatstheater am Gärtnerplatztheater in München. Von Intendant Josef E. Köpplinger stammt das Libretto, er führt auch Regie.
BR-KLASSIK brachte einen Mitschnitt der Uraufführung am Samstag, 3.12.2016 um 19.05 Uhr in der Sendung "Opernabend".