1989, mit 20 Jahren, beginnt der Münchner Jonas Kaufmann ein Musikstudium in seiner Heimatstadt. 1999 debütiert er bei den Salzburger Festspielen in Busonis "Doktor Faust". Kaufmann wird Ensemblemitglied in Zürich und feiert 2006 an der New Yorker Met mit dem Alfredo in Verdis "Traviata" ein sensationelles Debüt. Nikolaus Bachler holt Kaufmann 2009 an die Bayerische Staatsoper, verpflichtet ihn als Lohengrin und bindet ihn fest ans Haus. Es ist der Beginn einer Weltkarriere. Am 10. Juli feierte Kaufmann seinen 50. Geburtstag. Und von der Staatsoper gab's dazu noch ein besonderes Geschenk.
Bildquelle: © Gregor Hohenberg / Sony Classical
Das Geburtstagsporträt zum Anhören
Der Mann hat Mut: Mitten in Neapel, in einem der berühmtesten Opernhäuser Italiens, dem Teatro San Carlo, präsentiert Jonas Kaufmann seine neue CD mit neapolitanischen Schlagern– in der "Höhle des Löwen", wie er sagt. Als Deutscher! Doch die Einheimischen sind hingerissen und feiern ihn: "Er wirkt nicht wie ein Deutscher, er ist so warmherzig, er wirkt eher wie ein Neapolitaner." So eine Besucherin des Teatro. Das ist vermutlich Jonas Kaufmanns Geheimnis: Er ist und macht nicht immer das, was andere für naheliegend halten: "Mir ist es so ergangen, dass man von einem deutschen Tenor erwartet hat, zu klingen wie ein junger deutscher Tenor: sehr hell und leicht und kopfig", erzählt er. "Und ich habe nun mal keine solche Stimme."
Am Opernhaus Zürich hat er zu Beginn seiner Karriere alles ausprobieren können. Um zu schauen, was seiner Stimme gut tut. Diesem lyrischen Tenor mit Lust auf mehr. Dunkel getönt, baritonal abgefedert – und mit dieser organisch eingebunden, scheinbar mühelos sich öffnenden glänzenden Höhe. Jonas Kaufmann lernt schnell. Und er hat genaue Vorstellungen davon, was er wann singen möchte. Erst mit Ende 40 wagt er sich an seinen ersten Otello – diese auch für Verdi einzigartige Partie: "Es ist dieser unglaubliche Druck, den dieser Dampftopf permanent hat, der mal in großen Explosionen und mal im Piano entweicht. Ab er es ist eben kein zartes, weiches, liebevolles Piano, sondern immer eines durch die Zähne", erklärt Kaufmann diese Partie. "Immer verbissen, immer ironisch, immer höhnisch."
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Verdi's Otello - Act II finale (Jonas Kaufmann and Marco Vratogna, The Royal Opera)
Und dies ist ein anderes Geheimnis von Jonas Kaufmann: seine analytischen Fähigkeiten, die intellektuelle Durchdringung seiner Rollen. Ohne verblasenes Geschwurbel, immer nachvollziehbar. Er stellt Menschen auf die Bühne. Einen vom Krieg traumatisierten Otello. Einen vom Vater psychisch vernichteten Don Carlo. Einen Lohengrin ohne Superhelden-Status: "Das ist ein fast gebrochener Held, der sich eingestehen muss, dass er hier versagt und sich leider emotional zu weit aus dem Fenster gelehnt hat, daher die Konsequenzen ziehen und gehen muss." Und so nimmt Kaufmann die erste Strophe in der Gralserzählung im Pianissimo.
In Bizets "Carmen" wehrt er sich gegen ein triumphal herausgeschleudertes hohes B am Schluss der Blumenarie des Don José: "Letztlich tut er das, was ein Mann gar nicht gerne tut: Er redet über seine Gefühle. Er kehrt sein Innerstes nach außen und macht sich verletzlich. In dieser Arie erklärt er alles: durch welche Phasen er gegangen ist, wie er gelitten hat und was er alles versucht hat, um davon loszukommen. Und die Quintessenz ist: Ich liebe dich! Endlich, nach fünf Minuten Arie, sagt er das. Wie kann man das plötzlich laut machen?" Kaufmann hinterfragt seine Rollen, will wissen, warum seine Figuren handeln, wie sie handeln. Zum Beispiel der Don José: "Man muss versuchen, von Anbeginn der Oper nicht nur den Schwiegermutter-Traum zu spielen, sondern auch diese Unberechenbarkeit aufblitzen zu lassen. Wenn man ihn als braven Schönling darstellt, der keiner Fliege was zuleide tut, kommt man der Sache nicht nahe genug. Der Mann hat ein Problem, auch mit überschäumenden Emotionen. Und das zeigt sich auch am Schluss."
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Carmen "La fleur" 2015 Jonas Kaufmann Kate Aldrich Chorégies d'Orange
Damit kämen wir zu einem weiteren Geheimnis dieses Jonas Kaufmann: Eist ein fulminanter Darsteller. Beängstigend intensiv, ohne überflüssige Geste, immer psychologisch "richtig". Und wer ihn in Bizets "Carmen" erlebt, fürchtet um Leib und Leben der Hauptdarstellerin schon lange, bevor sie ihren letzten Ton gesungen hat.
Ich bin ein großer Fan von alten Aufnahmen. Trotzdem muss es jeder so machen, wie er es empfindet und wie er es kann.
Mit Franco Corelli und Mario del Monaco hat man Kaufmann immer wieder verglichen. Als er gefragt wird, wie er seinen Otello anlegen möchte – eher wie die "alten Helden" (die er alle in- und auswendig kennt) oder wie Domingo, kommt eine typische Antwort: "Ich bin dann immer versucht zu sagen: Ich mach’s wie Kaufmann. Ich bin ein großer Fan von alten Aufnahmen. Ramon Vinay, Mario del Monaco, Jon Vickers sind natürlich große Vorbilder. Trotzdem muss es jeder so machen, wie er es empfindet und wie er es kann."
Jonas Kaufmann | Bildquelle: © Gregor Hohenberg - Sony Classical Jonas Kaufmann steht jetzt seit fast 15 Jahren im internationalen Rampenlicht. Aber er schmückt sich nie mit sich selber. Er ist ein Teamplayer, ist neugierig, lässt sich auf Regieexperimente ein – und schätzt Wagner-Dirigenten wie Kirill Petrenko, die die Sänger nicht im Orchesterschwall ertrinken lassen: "Kirill Petrenko ist immer ein Garant dafür, dass Sänger zu ihrem Recht kommen, das heißt, dass sie nicht überfahren und nicht zugedeckt werden. Das ist wichtig, denn nur ein Dirigent, der Rücksicht auf ein paar Stimmbänder nimmt, die gegen ein 100-Mann-Orchester ankämpfen müssen, ist für mich auch ein guter Operndirigent."
Und vor allem – ein letztes Geheimnis – lässt Jonas Kaufmann sich nicht eingrenzen: Er singt in Opernhäusern und Open Air, er liebt Wagner und Puccini, singt beide Partien in Mahlers "Lied von der Erde" – und wenn man meint, er habe sein Repertoire jetzt weitgehend abgeschritten, bringt er eine Operetten-CD heraus. Oder eben neapolitanische Ohrwürmer.
Zwei Tage nach seinem Geburtstag gab’s auch ein Geschenk von der Bayerischen Staatsoper, dem Haus, dem Kaufmann seit zehn Jahren eng verbunden ist. „Du hast uns soviel geschenkt in den Jahren. Und das schönste ist: bei deiner unglaublichen Weltkarriere ist das immer deine Heimat geblieben“, mit diesen Worten ehrte Intendant Nikolaus Bachler den Tenor nach einer Aufführung von Verdis Otello und überreichte ihm die Meistersinger-Medaille. „Wenn wir das Maß nehmen von deinem Kollegen Placido Domingo, hast du mindestens noch 30 Jahre, die du hier singen kannst.“ Diese Auszeichnung vergibt die Bayerische Staatsoper seit 1999, gestiftete wird sie von den Freunden des Nationaltheaters. Bislang ging diese Auszeichnung an Künstler wie Edita Gruberova und Dietrich Fischer-Dieskau.
Du hast uns soviel geschenkt in den Jahren.
Sendung: "Allegro" am 10. Juli 2019 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Dienstag, 16.Juli, 18:48 Uhr
Messerer Konrad
J. Kaufmann
....Von dem Anspruch mit (s)einer gegebenen Stimme jedes Genre singen zu können, sofern der Hörer nur lange genug zuhört, habe ich nie viel gehalten. Was mich allein interessiert, ist die Stimme. Und die gefällt mir nicht ausreichend. Wenn ich Shakespeare Otello hören will, gehe ich in die Kammerspiele oder ins Staatsschauspiel. Für die stimmliche Darstellung eines Otello fehlt Herrn Kaufmann nichts, nur die Stimme.Das gilt auch für den scheinbar geplanten Tristan. Seine großen Vorbilder - Corelli hat die Rolle nicht gesungen- erreicht er ohnehin nicht. Die Stimme sitzt nicht, die hohe Mittellage ist unausgeglichen, muss oft überdeckt werden. Sei es drum, J. Kaufmann versucht es mit seinen Mitteln. Er ist weder ein Caruso, noch sonst irgendein Nachfolger von irgendeinem Vorgänger. Das macht die Ergebnisse seiner Darstellungen für viele dennoch zum Hörgenuss. Ich respektiere das, gleichwohl gefällt mir die Stimme nicht. Alles Gute zum Geburtstag!
Donnerstag, 11.Juli, 17:58 Uhr
Anconelli Kampa
Jonas Kaufmann
Sehr schönes und treffendes Bericht !!!