Natürlich ist Meeses Mutti auch in Wien mit von der Partie. Ohne die gehe ja grundsätzlich gar nix, sagt der Künstler in praktisch jedem Interview. Diesmal ist die Mama als eierkopf-förmiges Riesenfoto auf der rechten Bühnenseite zu sehen. Darunter steht "Siehste". Und tatsächlich ist das ein passendes Motto für den gesamten, vierstündigen Abend.
Bildquelle: © Jan Bauer
Jonathan Meese wirft eine gewaltige, manchmal auch gewalttätige Assoziationsmaschine an, die sich vorwiegend aus popkulturellen Trashsujets speist. Simpler gesagt: Man begegnet Figuren aus Star Trek, weltrettenden Groschenhefthelden, abstrusen Science-Fiction-Kaspern. Urteufelin Kundry erscheint erst als Richard Wagner-Double mit hübschem Barrett, später - unter anderem - als Barbarella, ja, das ist dieses blonde Biest, im gleichnamigen Kultfilm verkörpert von Jane Fonda.
Der gütige Gurnemanz entsteigt in "Mondparsifal Alpha 1-8" anfangs einem großen Kühlschrank, er trägt Meeses alten Jogginganzug auf und auch die Frisur sitzt: eine lange und wirre Haarmasse. Parsifal stolpert und hetzt erst in roter Unterwäsche, später ganz in Gold durch die Szenerie, Countertenor Daniel Gloger leistet körperlich und vokal Sensationelles, manches tönt absichtlich ohrenbetäubend.
"Mondparsifal" - die Premiere in Bildern.
Szenenbild "Mondparsifal Alpha 1-8" von Jonathan Meese und Bernhard Lang bei den Wiener Festwochen 2017 | Bildquelle: © Jan Bauer Während auf der Bühne mal eine Eiswüste, mal ein Baumhaus, mal ein "Raumsiff" vorüberzieht, Mangamädels ihre knappen Höschen zur Schau stellen, der böse Zauberer Klingsor sich zu kastrieren anschickt und hernach ein Stofftier möglicherweise tötet, weil er es anschließend wiederzubeleben versucht, oder Kundry mit einer Wassermelone balanciert, greift Meese mittels Live-Painting, genauer, Live-Kritzeleien, zweimal ins Geschehen ein.
Und Meese steuert ununterbrochen sehr eigene Übertitel bei. Da steht dann "Sonnentanz" oder "Leitmotiv Zukunft". Es könnte natürlich genauso gut "Mondschatten" oder "Erzmotiv Vergangenheit" heißen. Oder so. Oder auch irgendwie anders. "Erz" ist Meeses Lieblingsvokabel und seine zweite Freude ist ein hübsches Bayreuth- und Wagnerianer-Bashing. Im dritten Aufzug flimmert bühnenbreit Fritz Langs "Nibelungen"-Stummfilm. Manches macht durchaus Sinn, vieles wirklich Spaß, anderes nervt gewaltig. Doch insgesamt erlebt man eine wunderbar schräge, tabulose Durchlüftung dieser kunstreligiösen Kult-Oper.
Freilich wäre Meeses Chaos-Kosmos bei einer regulären Parsifal-Aufführung ziemlich deplatziert, doch zum Glück gibt es den Komponisten Bernhard Lang, der Wagner in einem Loopgewitter und virtuosen Übermalungen aufgehen lässt. Da fühlt man sich oft wie auf einer Tenne und will das Tanzbein schwingen, so locker-jazzig klingt das. Einzelne Momente, Motive bricht Lang heraus und wiederholt sie, klebt sie dann mit weiteren Elementen ziemlich unvermittelt zusammen. Synthesizer kommen zum Einsatz, oft wirkt das Ganze wie eine festhängende Schallplatte.
Bildquelle: © Jan Bauer Das Klangforum Wien leistet unter Simone Young Phänomenales, auch das Sängerensemble um Magdalena Anna Hofmanns vokal virtuose Kundry oder Wolfgang Bankls wild grummelnden Gurnemanz macht seine Sache perfekt. Einer der schönsten Momente entsteht am Ende des ersten Aufzugs, da spielt nur der brillante Kontrabassist Uli Fussenegger und der Arnold Schoenberg Chor singt ein paar ironische Erlösungskantilenen - auf Altgriechisch.
Den Wiener Festwochen ist mit dem "Mondparsifal" ein Coup gelungen, der ideal ins heuer ausufernde Programm mit all seinen politischen Projekten und Gender-Reflexionen und verrückten Performances passt. Tolle Pointe zum Schluss: Meeses auch hier wieder sehr lautstarkes Diktum vom Diktat der Kunst, der absoluten Freiheit von Ideologien und Zwängen ist natürlich nur möglich, wenn eben der Staat mit heftigen Subventionen solch einen Zauberkasten ermöglicht. Erzlogisch, oder?
Oper von Bernhard Lang nach Richard Wagners "Parsifal"
Regie/Bühne und Kostüme: Jonathan Meese
Musikalische Leitung: Simone Young
bei den Wiener Festwochen
Premiere:
Sonntag, 4. Juni 2017
Weitere Termine:
Dienstag, 6. Juni, 18.00 Uhr
Donnerstag, 8. Juni, 19.00 Uhr
Sendung: "Leporello" am 6. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK.
Kommentare (2)
Donnerstag, 08.Juni, 14:08 Uhr
Römö
Wo bleiben die Sänger?
Sie scheinen nur Mittel zum Zweck zu sein. Umfassende, fachlich kompetente Sängerkritiken lese ich immer weniger. Die Regie scheint die Oper auszumachen. Ich dachte immer, es sei der Gesang! Ob Jonathan Meese - den ich künstlerisch anziehend und abstoßend zu gleich finde - nun ein Theaterstück oder eine Oper inszeniert bleibt sich medial gleich. Die Sänger tragen und verkörpern die Oper und geraten doch immer mehr in den Hintergrund. Auch wenn Sie hier lobend erwähnt wurden, so bekommen sie in der Infospalte unten am Ende des Artikels keinen Raum. Mich würde interessieren, wer in der Inszenierung grundsätzlich besetzt ist. Ich möchte Sänger hören, wenn ich in die Oper gehe. Richard Wagner hat den Begriff des Geamtkunstwerkes geprägt. Wort, Szene Gesang, Orchestermusik, Ausstattung alles ist wichtig und das eine wirkt ohne das andere nicht. Bitte, liebe br-Kulturjournalisten, unterstützen Sie durch unausgewogene Artikel diese umsichgreifende Schieflage nicht auch noch.
Mittwoch, 07.Juni, 18:46 Uhr
Lucy
Nicht die Mama
Also in der 2. Aufführung, in der ich war, bildete das eingangs zitierte "eierkopfförmige Riesenfoto" am rechten Bühnenrand meines Erachtens eindeutig den Komponisten Bernhard Lang ab und nicht Meeses Mutter.