Mal so richtig nach Herzenslust falsch singen, das durfte Joyce DiDonato in der neuen Doku "Die Florence Foster Jenkins Story". In einem von zwei neuen Filmen über die unmusikalische Möchtegern-Diva spielt DiDonato die Hauptrolle. Mit BR-KLASSIK spricht sie über schiefe Töne und verrät, was sie an dieser Rolle so reizt.
Bildquelle: Salzgeber/Philipp Babender Erde
BR-KLASSIK: Joyce DiDonato, Sie sind Opernsängerin, sind es gewöhnt, auf den Bühnen zu agieren, zu spielen, Personen darzustellen und gleichzeitig natürlich zu singen. Jetzt ein kleiner Fachwechsel hinein in die Schauspielerei. Wie haben Sie reagiert, als Ralf Pleger erstmals auf Sie zukam, und Sie bat, die Darstellerin von Florence Foster Jenkins zu sein?
Ich dachte, das ist das Ende meiner Karriere.
Joyce DiDonato: Ich habe gedacht, er ist wahnsinnig! Und fragte ihn: "Bist Du irr?" Und dann ging mir durch den Kopf: Das ist das Ende meiner Karriere... (lacht) Aber dann sagte er mir, er wolle sich in Florence Foster Jenkins versetzen, um den Versuch zu wagen, wie sie sich selbst gehört haben mag, wie sie gesehen werden wollte. Und DAS hat mich total interessiert. Ich hätte keine Lust gehabt, eine Karikatur dieser extravaganten Frau nur zu spielen, um den Menschen einen weiteren Grund zu geben, über sie und ihren wilden, furchtbaren Gesang zu lachen. Pleger geht den Weg, der Selbsttäuschung auf die Spur zu kommen, der wir alle ein wenig erliegen. Wir sehen uns alle auf die eine Weise, aber die Leute sehen uns auf eine sehr unterschiedliche Weise. Das fand ich wirklich faszinierend und deshalb sagte ich: "Wenn Du meinst, dass ich das kann, lass es uns machen!"
BR-KLASSIK: Wie sind Sie an die Person der Florence Foster Jenkins herangegangen? Wie haben sie sich ihr genähert?
Joyce DiDonato in der Rolle der Florence Foster Jenkins | Bildquelle: Salzgeber & Co Medien GmbH Joyce DiDonato: Wir haben uns zwischen zwei Welten begeben. Die eine ist die Welt, wie sie sich vorstellte zu klingen - nämlich ganz wundervoll. Und die andere Welt ist die Realität: wie die Welt sie hörte und bewertete. Es war für mich dabei nicht so schwierig, falsche Töne zu singen - das passiert mir manchmal auch in Vorstellungen… (lacht) - aber defacto war sie total unmusikalisch. Sie konnte kein legato, sie konnte überhaupt nicht phrasieren, sie hatte niemals ein einheitliches Tempo. Das musikalisch zu trainieren, hat richtig Zeit gekostet. Und das Knifflige war, dass alles im Film am Set live gesungen werden musste. Sie war geradezu notorisch in der Art, sich als eine echte Primadonna zu präsentieren - so wie eine Leontyne Price etwa an der MET in "Aida". All das ging mir durch den Kopf, als ich mich dieser Rolle unterworfen habe: falsch zu singen, mit kratziger Stimme und das alles in der Manier, die größte Sängerin weltweit zu sein. Das war für mich eine echte schauspielerische Herausforderung! (lacht)
Die Perfektion auszublenden, brachte mir viel Freiheit.
BR-KLASSIK: Wo war bei Ihnen die Schmerzgrenze erreicht?
Joyce DiDonato: Das war überraschend für mich, es war genau das Gegenteil. Die Erwartung an einen Opernsänger ist, Perfektion zu liefern. Mein Leben ist der Perfektion gewidmet. Ich erreiche sie nie, aber mein Job ist es, daran zu arbeiten. So war es am Anfang ein bisschen unkoordiniert, ihre Stimme zu finden. Ich wollte sie nicht imitieren, aber wir wollten den Menschen eine Idee von der Klangvorstellung geben, die sie selbst von sich hatte. Und ziemlich schnell fand ich das sehr befreiend. Die Perfektion, die du sonst brauchst, auszublenden, brachte mir viel mehr Freiheit. Und ich stelle mir vor, dass sie von ihrem Klang total berauscht war. Sie dachte schließlich, sie arbeite hart. Und sie wusste, sie war klasse und so "voilá!, ha ha ha ha, hier bin ich. Ist das nicht schön? Ich habe eine gute Zeit hier, wie Sie doch auch!" - Ich denke, dass sie einfach überzeugt war, sie sei großartig und drehte auf. Und das hören Sie auch ein bisschen in ihrem Gesang. Sie war so glücklich.
Bilder zum neuen Film "Die Florence Foster Jenkins Story" finden Sie hier.
BR-KLASSIK: Sie hatte großen Erfolg - zweifelsohne. Und alles, was sie tat, tat sie mit großer Ernsthaftigkeit. Sie war eine unabhängige Frau und sie hat alles erreicht, was sie erreichen wollte - in ihrer Unbekümmertheit ihren Traum zu leben. Glauben Sie, dass eine solche Karriere, wie die von Florence Foster Jenkins, die ein bisschen auch ein "american dream" ist, heute noch möglich wäre?
Joyce DiDonato | Bildquelle: BR/ Alexander Hellbrügge Joyce DiDonato: Darüber hab ich auch nachgedacht. Ich glaube nicht. Heute ist der amerikanische Traum durch Sex, Reality TV und durch Nichtstun berühmt zu werden. Und ich glaube nicht, dass das ihre Welt war. Sie konnte zunächst nicht berühmt werden, da es keine Schallplatten gab. Und was auch zu Missverständnissen führte: wir haben ihre Auftritte nie gesehen. Wir haben einige Fotos und wir haben ihre Stimme. Aber wenn wir ihr jemals in die Augen hätten sehen können bei ihren Auftritten, würden wir sie vielleicht viel besser verstehen. So können wir es nur erahnen. Ich glaube, dass es wirklich nur diesen einzigen Moment in der Geschichte gab, um so ein Phänomen hervorzubringen. Aber: Wir sprechen noch 80 Jahre später über sie! Es gibt jetzt drei Filme, die alle völlig unabhängig voneinander entstanden sind. Das Publikum schenkt ihr immer mehr Aufmerksamkeit. Sie wird noch einmal berühmt!
BR-KLASSIK: Am 15. Dezember werden Sie selber in der Carnegie Hall in New York singen und Ihr neues Album vorstellen: "In War and Peace", eine CD mit barocken Arien. Nachdem sie sich jetzt mit der Person Florence Foster Jenkins so intensiv beschäftigt haben: Gehen Sie nun mit einer anderen Haltung auf die Bühne der Carnegie Hall?
Joyce DiDonato: Oh, das ist interessant. Da hab ich noch gar nicht darüber nachgedacht. Wissen Sie, die Carnegie Hall ist eine dieser legendären Stätten, wo Sie den Geist all derer spüren, die vor Ihnen da waren - von Leontyne Price, Jessye Norman, von Pianisten wie Horowitz, eine Legende nach der anderen. Und die sind auf irgendeine Weise alle auf dieser Bühne versammelt. Über Florence habe ich da nie nachgedacht, obwohl ich wusste, dass sie dort gesungen hat. Aber nun habe ich das letzte Jahr mit ihr verbracht und wenn ich jetzt auf diese Bühne zurückkehre, muss ich an sie denken! Und vielleicht nehme ich sogar ein bisschen was von ihr mit auf die Bühne und vielleicht kann sie diesmal - ich hoffe natürlich, dass alles gut läuft - ein bisschen was von dem aufrichtigen Applaus erhalten und nicht nur Gelächter…
Das Gespräch führte Ursula Adamski-Störmer für BR-KLASSIK.
Dokumentation
Regie: Ralf Pleger
Dauer: 93 Minuten
Kinostart: 10. November 2016