Popkorn, Erdnuss-Flips, Dosenravioli und labbrige Salami-Sandwiches serviert der gewalttätige Frauenkonsument Don Giovanni seinen Nachbarn aus der klinisch sauberen amerikanischen Vorstadt-Idylle. Eins ist klar: Diese Party nimmt kein gutes Ende.
Bildquelle: Christian Schneider
Wiederaufnahme in Salzburg
Mozarts "Don Giovanni"
Wo alle Eigenheime in Pastelltönen gestrichen sind, wo fein säuberlich geschnittene Buchsbäume hinter blütenweißen Gartenzäunen Langeweile verbreiten und jedes Fenster mit blickdichten Gardinen ausgestattet ist - da ungefähr muss sich die Hölle auf Erden befinden, also genau in der Mitte der klinisch sauberen, aufgeräumten amerikanischen Vorstädte. Dorthin verlegte der Regisseur Jacopo Spirei seinen Salzburger "Don Giovanni", vielleicht auch deshalb, weil für einen Italiener wie ihn der Himmel garantiert nicht so puritanisch und wohl geordnet aussieht, wie sich das die Protestanten auf ihrer Rollrasen-Parzelle im braven Neuengland so vorstellen.
Don Giovanni, der asoziale, gewalttätige, aggressive Frauenkonsument, fackelt nicht lange und zerschlägt gleich zu Beginn lautstark den Schädel eines Wohlstandsbürgers auf den Stufen zu dessen Veranda. Damit ist schon mal klar: Sympathisch ist dieser sexsüchtige, getriebene Kerl nicht. Trotzdem wird die Einladung zu seiner Halloween-Party gern angenommen, die Nachbarn wollen halt mal was erleben, was ihnen aber schlecht bekommt. Don Giovanni erleichtert sie mit vorgehaltenem Revolver um ihren Schmuck und scheut am Ende nicht mal davor zurück, dem Leichnam seines Mordopfers die Armbanduhr vom Handgelenk zu reißen.
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Als der Tote dann wider Erwarten zum Abendessen erscheint, serviert Don Giovanni amerikanische Küche, aber so, wie sie Italienern in ihren Alpträumen erscheint: Popkorn, Erdnuss-Flips, Dosenravioli, Billigpizza und labbrige Salami-Sandwiches. Die Frauen, die diese letzte Party garnieren, hocken apathisch und offensichtlich drogen-betäubt in der Ecke. Das ist weder erotisch, noch appetitlich, und schon gar nicht stilgerecht oder irgendwie verführerisch: Der ungezogene Don Giovanni fläzt halbnackt vor dem Fernseher und lässt sich am Ende von seinem unheimlichen Gast aus dem Jenseits etwas verständnislos Richtung Hölle abführen, wo sich schon zahlreiche verworfene Seelen ihre blutbefleckten Hände reiben.
Insgesamt ging es Regisseur Jacopo Spirei also mehr um eine Gesellschaftssatire als um einen Geschlechterkampf oder die Psychoanalyse eines sozial auffälligen Sextäters. Nun sind Amerikas Puritaner, die ja gerade scharenweise Donald Trump hinterherlaufen, wirklich ein dankbares Ziel für jede Art von Spott, insofern ging das sehr routiniert umgesetzte Konzept sehr gut auf, war aber auch nicht sonderlich gewagt. Das Premierenpublikum applaudierte jedenfalls dankbar und sichtlich amüsiert.
Simon Schnorr war als Don Giovanni ein faszinierender Spielverderber - unfair, zynisch, skrupellos. Mit seiner verschmierten Clownsmaske und seiner oft absichtlich fahlen, eisigen Stimme war er die perfekte Horrorgestalt. Eine starke schauspielerische Leistung. Florian Plock als sein devoter Diener Leporello spielte zwar auch sehr überzeugend, füllte die Rolle stimmlich aber leider nicht aus. Der Litauer Raimundas Juzuitis war in Jeans und Karohemd ein großartiger All-American-Boy als Bräutigam Mazetto, Hannah Bradbury eine putzmuntere Cowgirl-Braut als Zerlina. Der Chor hatte sichtlich Spaß am Halloween-Spuk.
Dirigent Adrian Kelly hätte Mozarts Abgründe ruhig noch etwas mutiger zu Gehör bringen können. Das Klangbild war insgesamt etwas eindimensional, jedenfalls zu harmlos für diese großartige Oper über Gefühls-Anarchismus. Im Don Giovanni geht's ja weniger um Erotik als um Sex, und zwar in dessen rücksichtslosester Variante. Da hätten zu den Handschellen auf der Bühne durchaus ein paar irritierende Akzente mehr aus dem Orchester gepasst. So war es ein absolut mehrheitsfähiger, unterhaltsamer, zeitgemäßer Mozart-Abend.