Opernfestspiele München
28. Juni bis 31. Juli 2024
Wie steht es um die Liebe in exotischen Kulturen? In seiner Ballett-Oper "Les Indes galantes" entführt Jean-Philippe Rameau in vier ferne Länder. Jetzt feierte sein Werk bei den Münchner Opernfestspielen unter der Leitung von Barock-Spezialist Ivor Bolton Premiere. Regisseur Sidi Larbi Cherkaoui griff in seiner Inszenierung auch die aktuelle Flüchtlings-Thematik auf.
Bildquelle: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper
Vom ersten Ton an ist klar, dass uns der Regie führende Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui keine unterhaltsame Weltreise in die Türkei, nach Peru, Persien und Amerika bieten wird. Dort nämlich lässt Rameau seine vier Liebes-Episoden um Verzicht, Verlangen, Treue und Untreue spielen. Cherkaoui dagegen betont durch raffinierte Doppelbesetzungen und szenische Überblendungen die Einheit der Handlung. Bühnenbildnerin Anna Viebrock hat ihm dafür wieder einen ihrer wundersam surrealen Räume gebaut. Diesmal ist es ein diagonal auf die Bühne des Münchner Prinzregententheaters gestellter Saal mit hohen Türen, der sich nur durch das verschiebbare Inventar verblüffend variieren lässt.
Im Prolog ist es ein Klassenzimmer, in dem Cherkaoui den Wettstreit von Amor und den Göttinen der Jugend und des Krieges austragen lässt. Die folgende Episode vom edlen Sultan spielt in rotierenden Museums-Vitrinen. Die stärkste Umdeutung glückt Cherkaoui im nächsten Bild, wo ein gewalttätiger Inka-Priester aus Eifersucht ein Erdbeben provoziert, dem er am Ende selbst zum Opfer fällt.
Diese dramatische Szene gestaltet Cherkaoui als pervertierte katholische Totenmesse mit ansschließender Massenhochzeit. Die Botschaft ist klar: Das Fremdartige, Befremdende findet man vor der Haustür. Die Macht der Bilder zwischen Beichtstuhl und Hochaltar ist atemberaubend. Im zweiten Teil geht dem Regisseur dann etwas die Luft aus, was auch an dem länglichen Divertissement beim persischen Blumenfest liegt. Die vor allem im Schlussbild zitierte Flüchtlings-Thematik wirkt nicht gleichermaßen beklemmend. Und das finale Friedensfest findet hier nicht unter Indianern beim Rauchen der Friedenspfeife statt, sondern mit einem Großreinemachen – das Reinigungspersonal dürfen die Immigranten stellen, auch wieder wie in der realen westlichen Welt.
Dass diese umjubelte Festspiel-Premiere so überzeugend geriet, liegt auch an der musikalischen Seite. Zehn junge, hochmotiverte Sängerinnen und Sänger begeistern in siebzehn Rollen. Die Nase vorn haben diesmal die besonders stilsicher singenden Frauen: Lisette Oropesa, Ana Quintans, Elsa Benoit und Anna Prohaska. Ivor Bolton, wie eh und je ein vitaler Tanzbär am Pult, kann auf ein exquisites Münchner Festspielorchester bauen, das aus Mitgliedern prominenter Originalklang-Ensembles zusammengeschweißt ist. Markant und enorm farbig kosten sie Rameaus lyrisch-expressive Musik aus. Den prachtvollen Balthasar-Neumann-Chor hat Cherkaoui ebenso gekonnt ins tänzerische Geschehen integriert wie die unerschrockenen Sänger.
Und getanzt wird naturgemäß in dieser Ballettoper viel – und wie! Die Palette reicht von stilisierten höfischen Tänzen bis zum Breakdance. Grandios wirbeln die zwölf Tänzer aus Cherkaouis Eastman-Company toujours über die Bühne – manchmal wäre weniger mehr. Gelungen ist dem Opern-Debütanten mit überbordender Phantasie und Witz ein perfekt durchchoreographiertes Gesamtkunstwerk – von einer bestechenden handwerklichen Virtuosität, wie man sie in der Betriebsroutine des Opernalltags selten erlebt. Ein Highlight des Festspielsommers!
Besetzung und weitere Aufführungstermine hier.