Salzburger Festspiele
19. Juli bis 31. August 2024
Am 14. August hat Barrie Koskys Inszenierung von "Orpheus in der Unterwelt" bei den Salzburger Festspielen Premiere. Schon seit dem Teenageralter ist er Jacques Offenbach und dessen radikalem Musikunterhaltungstheater verfallen. Im BR-KLASSIK-Interview hat er verraten, was er an dem Komponisten so liebt und warum Orpheus ein Loser ist.
Bildquelle: Jan Windszus
Für Barrie Kosky ist es eine große Ehre, dass er zum 200. Geburtstag von Jaqcues Offenbach als erster Regisseur ein großes Musiktheater-Werk des Komponisten auf die Bühne bringen darf. Den ersten Kontakt mit Werken von Jacques Offenbach hatte Barrie Kosky als Schüler in Australien. "Hoffmanns Erzählungen" hatten es ihm angetan und er verfiel dem Stück und der Musik sofort. In diesem Moment wuchs die Leidenschaft des "besessenen Opern-Teenagers" für den Komponisten und er wurde zu einem richtigen Offenbach-Fan. Aus guten Gründen, wie Kosky erklärt:
"Ich bin fasziniert von seiner deutsch-französischen Lebensgeschichte, von der Radikalität seines Musiktheaters und seinem natürlichen Gespür für Melodien. Offenbachs Vater war ein sehr interessanter Mann, er hat als junger Mann in Osteuropa als Geiger in Klezmer-Bands angefangen und dann, in Köln war er Kantor in der Synagoge. Das ist sehr, sehr wichtig, denn das bedeutet, dass Offenbachs Kindheit von Musik, von Melodien war. Die Melodien, die der Kantor in der Synagoge singt, die sind tief in ihn eingedrungen. Seine unglaubliche Fähigkeit, Melodien zu schaffen, hat ihre Wurzeln tief in der jüdisch-religiösen Tradition. Man hört das ständig und ich finde das fantastisch. Und dann benutzt Offenbach diese jüdische, religiöse Tradition und macht damit verrückte Unterhaltungsmusik. Jüdischer geht's gar nicht! Und das haben dann später eigentlich alle großen (jüdischen) Operettenkomponisten gemacht, Oscar Straus, zum Beispiel, und eigentlich geht auch die ganze Broadway-Tradition auf ihn zurück: George Gershwin, Irving Berlin, Stephen Sondheim - sie haben alle ihre Wurzeln in Jacques Offenbach. Er ist absolut das Mutterschiff der Unterhaltungsmusik!"
Offenbach hat einen Stellenwert wie Wagner, Strauss, Beethoven. Er ist so gut wie sie, nur in einem anderen Fach.
"Eine unglaubliche Kombination von Nonsens, Surrealismus, Fantasy, Vaudeville ..." | Bildquelle: SF/Monika Rittershaus "Es ist kein Zufall, dass die Operngeschichte mit "L'Orfeo" von Monteverdi anfängt, und der offizielle Anfang der Operette, der eben bei Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" liegt, ebenfalls mit Orpheus zu tun. Offenbach saß zwar nicht im Arbeitszimmer und Paris und dachte: 'Ja, der Monteverdi hat das gemacht, ich muss das auch benutzen' – aber es ist wunderbar, dass es der gleiche Mythos ist. Die Stücke haben nichts miteinander zu tun, aber was ich unglaublich finde ist, dass Offenbach den Urmythos der westlichen Kultur nimmt und alles auf den Kopf stellt: er macht diese große Kunstfigur Orpheus schwach, lächerlich, mittelmäßig und lässt die Geschichte um seine Frau drehen. Die anderen Künstler haben sie "weggeschrieben", sie zur bloßen seelischen Muse für die männlichen Künstler gemacht. Und Offenbach dreht das in einer Radikalität um, die bis heute unglaublich ist: Sie ist witzig, hat eine Meinung, sie bestimmt die Männer. Sie ist der interessanteste Charakter! Orpheus verschwindet fast in der Geschichte. Er dreht den ganzen Mythos um: Was heilig ist, wird belächelt, was ernst ist, macht er zu Ironie, das hat vor ihm keiner gemacht."
Orpheus ist ein Loser bei Offenbach.
"Die sind eigentlich der Spiegel für die damalige bürgerliche französische Gesellschaft - was er präsentiert hat, war also ein Skandal. Genau wie sein Blick auf die Unterwelt: die ist nicht der Ort der Schuld, der Ort der Gefahr oder Dunkelheit - sondern ein Partyraum! Das ist sensationell. Und dann komponiert er zu allem noch Musik, die erotisch, kritisch, ironisch ist. Das ist eine Explosion an Radikalität! Was Offenbach präsentiert ist ein anderes Universum."
"Die Ehe ist hier katastrophal..." - Marcel Beekman als Aristée / Pluton und Kathryn Lewek als Eurydice. | Bildquelle: SF/Monika Rittershaus "Für mich gibt es drei besonders interessante Ideen in "Orpheus in der Unterwelt": erstens, das Thema Ehe. Die Ehen, die man hier sieht, sind katastrophal. Das Stück ist keine gute Werbung für Ehe, sondern Offenbach beginnt, einen kritischen Blick auf die Ehe zu werfen und das finde ich auch noch interessant für unsere Gesellschaft. Die zweite Sache, die mich interessiert, ist die Frage: Was ist große Kunst? Was ist Ernsthaftigkeit? Was bedeutet das in der Kunst und Musik? Und Offenbach gibt keine einfachen Antworten oder Lösungen. Und das dritte Thema, das ist, finde ich, wichtig in allen Offenbach-Stücken, ist die Verbindung von Eros und Thanatos, zwischen Liebe und Tod, zwischen Erotik und Tod - Was bedeutet das, dass man in diesem Stück mitten im Todesreich Cancan, den wohl dionysischsten aller westlichen Tänze tanzt? Ich glaube, meine Verbindung zu Offenbach kommt von dieser wunderbaren Mischung von unterschiedlichen Formen in seinem Stück."
Es ist eine unglaubliche Kombination von Nonsense, Surrealismus und Fantasy.
Sendung: "Allegro" am 14. August 2019 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK