Salzburger Festspiele
19. Juli bis 31. August 2024
Nach einem Theaterbesuch war der rumänische Komponist George Enescu geradezu besessen von der Idee, aus der Tragödie des antiken Vatermöders Ödipus eine Oper zu machen. 1936 wurde "Œdipe" in Paris uraufgeführt und nach dem Zweiten Weltkrieg ungerechtfertigerweise rasch vergessen. In der Salzburger Felsenreitschule kam "Œdipe" nun in einer Neuinszenierung von Regie-Altmeister Achim Freyer auf die Bühne. Das Publikum erlebte eine schlüssige Inszenierung mit zeitlosen Bildern.
Bildquelle: Monika Rittershaus / Salzburger Festpiele
"Der Mensch ist stärker als das Schicksal", antwortet Ödipus der Sphinx in George Enescus beeindruckender Oper. Es ist eine Schlüsselszene dieser Salzburger Festspielproduktion. Denn der Mensch Ödipus steht im Zentrum für Regisseur und Bühnenkünstler Achim Freyer. In einem archaischen Mythen- und Traumtheater erzählt er über die vier Akte hinweg die Geschichte vom Geborenwerden bis zum letzten Augenblick des Lebens. Der Blick richtet sich nicht primär auf Ödipus als Verbrecher und Vatermörder, sondern auf seine Lebensspuren, sein Wachsen und Älterwerden, auf Fragen nach Herkunft und Daseinsgrund. Dass Fragen dabei offen oder zwiespältig bleiben, ist Teil des Inszenierungskonzepts.
Anaïk Morel (Jocaste), Ensemble | Bildquelle: Monika Rittershaus / Salzburger Festepiele Enescus farbenreiche Musik übersetzt Achim Freyer in zeitlose Bilder. Wie stets ist er auch für Ausstattung und Kostüme verantwortlich. Mit Lichtgestalter Franz Tscheck und Videokünstler Benjamin Jantzen hat er seiner Ödipus-Lesart ein eindrückliches Farb- und Lichtkonzept zugrunde gelegt. Die breite Bühne der Felsenreitschule ist schwarz verkleidet, der Chor zunächst in verhängte Arkadengänge platziert. Das Baby Ödipus strampelt im Bühnenzentrum und boxt sich buchstäblich ins Leben und ins Licht. In Boxershorts gekleidet demonstriert der heranwachsende Ödipus kraftstrotzend Durchsetzungsfähigkeit in einem irrealen, visuell reichhaltigen Setting. Überdimensionierte Tiere, Puppen, Symbole und farbenfrohe Phantasiewesen konterkarieren plakative Eindeutigkeit. Zeitlupenhaft bewegen sich Chor und Figuren rund um Ödipus als Zentrum. Es geht weniger um konkrete Handlung als vielmehr um Innenwelten und archaische Zustände.
Die raffinierte Musik von Enescu wirkt fremd und vertraut zugleich, vor allem: einzigartig. Anleihen an romantische Musik des 19. Jahrhunderts und französische Musik des Fin de siècle werden genauso hörbar wie vielfach vernetzte Leitmotive und orientalisch anmutende Klänge. Dass das Produktionsteam rund um den Dirigenten Ingo Metzmacher auf Kürzungen verzichtet hat, ist eine gute Entscheidung. Denn das knapp dreistündige Bühnenwerk ist dramaturgisch klar aufgebaut. Ein aberwitziger Klangapparat wird gefordert: Klavier, Celesta, Harmonium und Glockenspiel bis hin zu Saxophon und singender Säge bereichern das riesig besetzte Orchester der Wiener Philharmoniker. Hinzu kommen der Wiener Staatsopernchor und der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor.
Christopher Maltman (Œdipe) | Bildquelle: Monika Rittershaus / Salzburger Festepiele Großartig hält Ingo Metzmacher das epische Werk zusammen. Von Beginn an dirigiert er in recht zügigem Tempo und stellt die modernen Anklänge dieser vielstimmigen Partitur plastisch heraus. Die Wiener Philharmoniker sind über den Graben hinaus auch seitlich positioniert und erfüllen den Raum zusammen mit dem Chor mit wuchtigen Klangkaskaden, aber auch sehr transparenten und filigranen Passagen. Phänomenal ist die sängerische Höchstleistung von Bariton Christopher Maltman. Sein Ödipus ist ein Charakter, der sich zwischen Sprechgesang und Operndramatik unglaublich virtuos bewegt. Eine Festspielsternstunde verkörpern auch die anderen Sänger-Figuren, etwa Bass John Tomlinson als blinder Seher Tiresias, Mezzosopranistin Éve-Maud Hubeaux als schillernde Sphinx oder Tilmann Rönnebeck als charaktervoller Wächter.
Mit dieser Neuinszenierung wird nicht nur Salzburger Festspielgeschichte mit unvergesslichen Opernproduktionen in der Felsenreitschule fortgeschrieben, sondern gezeigt, wie sehr es sich lohnt, George Enescus einziges Bühnenwerk zu Gehör zu bringen. Achim Freyers überbordende Bildsprache mag punktuell fragwürdig scheinen, in sich schlüssig ist diese Inszenierung allemal. Emotional und nachhaltig aufwühlend bleibt die Musik.
Informationen zu Terminen, Besetzung und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage der Salzburger Festspiele.
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Sendung: "Allegro" am 12. August 2019 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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