Salzburger Festspiele
19. Juli bis 31. August 2024
Nicht alle Starpianisten haben ein enges Verhältnis zu den Klaviersonaten von Beethoven – auch wenn sie als Kern des Kernrepertoires gelten. Jewgenij Kissin ist zweifellos ein Weltstar. Den Status des gealterten Wunderkinds hat er schon lange hinter sich gelassen. Er ist einer der ganz großen Pianisten der Gegenwart. Aber ist ihm Beethoven ebenso nah wie Chopin und Schumann? Bei den Salzburger Festspielen war Kissin am 6. August mit einem reinen Beethoven-Programm zu erleben.
Bildquelle: Marco Borrelli / Salzburger Festspiele
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Kollegengespräch mit Bernhard Neuhoff zu Kissins Salzburger Konzert
Beim Applaus im Großen Festspielhaus, zu dem das Publikum begeistert aufspringt, windet er sich in seinem Smoking, als ob der nicht recht passen würde. Aber er lächelt. Jewgenij Kissin findet seinen ganz eigenen Weg in die Herzen des Publikums. Er ist keiner, der viel redet, keiner, der allein durch seine Körpersprache schon den Saal für sich gewinnt. Und doch, auf seine unverwechselbare Art, ist er ein Bühnenmensch durch und durch. Kissin, der scheinbar Verschlossene, ist ein großer Kommunikator in der Musik. Wenn man ihn beobachtet, hat man immer ein wenig das Gefühl, als würde er in seinem eigenen Raum-Zeit-Kontinuum leben. Aber sobald er am Klavier sitzt, öffnet sich dieses – und wer ihm zuhört, wird Teil von Kissins Welt, lebt mit ihm in der Musik.
Virtuosität – und er ist ein überragender Virtuose – war für ihn noch nie Selbstzweck. Kissin ist ein Ausdrucksmusiker. Natürlich genießt er das pianistische Feuerwerk. Es macht ihm Freude, seine technische Souveränität zu zeigen. Aber das merkt man nur, wenn die Musik danach verlangt – etwa im brillanten, von Beethoven auf Verblüffung des Publikums angelegten Finale der "Eroica-Variationen". Der strenge Kontrapunkt in der voraufgehenden Fuge liegt ihm genauso wie die improvisatorische Freiheit in den Variationen davor. Kissin zeichnet die Charaktere, die Beethoven beschwört, weiß um die Sinnfülle der Anspielungen und Bezüge.
Die Dissonanzen in der "Pathétique" sprechen von Schmerz. Die in irrwitzigem Tempo abschnurrende Motorik der "Waldsteinsonate" erzeugt den von Beethoven intendierten Rausch der Geschwindigkeit. Und wie von selbst entsteht aus der sich entwickelnden Form ein unentrinnbarer Sog. Mit vibrierender Energie und faszinierendem Klangsinn bringt Kissin Beethovens Ausdruckswelt zum Leuchten. Das einzige, was ihm fehlt, ist Mut zum Hässlichen.
Jewgenij Kissin | Bildquelle: Sasha Gusov Beethoven will oft mit dem Kopf durch die Wand. Kissin nicht unbedingt. Er zielt ins Schwarze, bleibt aber mit seinem runden, vollen, schönen Klang manchmal hinter der gnadenlosen Radikalität des Komponisten zurück. Etwa in der Durchführung der "Waldsteinsonate", wenn die Musik in einem beängstigenden Auflösungsprozess in ihre Einzelteile zerlegt wird – um dann aus dem Grummeln des Bassregisters neu geboren zu werden. Was bei radikaleren Pianisten fast schon an die Grenze des Geräuschhaften geht und die Neugeburt des Themas zu einem Ereignis macht, klingt bei Kissin eine Spur zu organisch. Auch im Finale der "Sturmsonate" wirken die hartnäckig wiederholten Figuren zu weich, zu schwingend, zu konziliant. Es fehlt die bohrende Intensität, die Ausweglosigkeit, von der diese Musik erzählt.
Dass er die Stressmomente bei Beethoven nicht mit letzter Konsequenz herausarbeitet, hat allerdings auch sein Gutes: Sein Spiel bleibt immer natürlich. In keiner Sekunde hat er es nötig, irgendetwas interessant zu machen. Kissin ist einfach drin in dieser Musik, so sehr, dass er sich ganz dem impulsiven Moment anvertrauen kann. Seine Interpretation ist bis ins Detail ausgefeilt, anschlagstechnisch und in der Tempogestaltung überaus raffiniert, wirkt aber immer spontan. Gerade dadurch erreicht es sein Publikum. Ein berührender Abend mit stehenden Ovationen und drei Zugaben – alle von Beethoven, versteht sich.
Sendung: "Allegro" am 07. August 2019 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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