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Interview mit dem Autor der BR-KLASSIK-Hörbiografien Einblicke ins Familienleben der Mendelssohns

Jörg Handstein ist Musikwissenschaftler, Autor und Kritiker. Seit vielen Jahren schreibt er regelmäßig für die Programmhefte der Klangkörper des Bayerischen Rundfunks. Für BR-KLASSIK ist er quasi zum Spezialisten für Hörbiografien geworden, denn mittlerweile tragen bereits neun dieser Produktionen seine Handschrift.

Hörbiografie Tschaikowsky, September 2017 | Bildquelle: (c) Thomas Becker

Bildquelle: (c) Thomas Becker

BR-KLASSIK: Erst im September fanden die Aufnahmen für die neue Hörbiografie "Fanny & Felix Mendelssohn – Zwei Leben für die Musik" statt. Wie lange dauern eigentlich die Recherche- und Schreibarbeiten für so eine Hörbiografie, bevor die Produktion dann endlich starten kann?

Jörg Handstein: Mit der Recherche muss ich schon im Januar beginnen, um einen guten Überblick über das Leben und Schaffen des Komponisten und auch den historischen Hintergrund zu bekommen. Das konzentrierte Schreiben dauert mindestens drei Monate, eigentlich den ganzen Sommer. Dann brauch ich erst mal Urlaub, bevor es ins Studio geht.

BR-KLASSIK: Wie muss man sich eine solche Produktion denn konkret vorstellen? Welche Schritte sind notwendig? Und wie fühlt es sich an, wenn am Ende alles zu einem großen Gesamtwerk zusammengefügt wird?

Hörbiografie Tschaikowsky, September 2017 | Bildquelle: (c) Thomas Becker Bernhard Neuhoff (li.) und Jörg Handstein (re.) | Bildquelle: (c) Thomas Becker Jörg Handstein: Zuerst sitzen die Sprecher einzeln vor dem Mikrofon. BR-KLASSIK-Redakteur Bernhard Neuhoff sorgt als Regisseur dafür, dass der Text angemessen und lebendig rüberkommt. Es entsteht so etwas wie eine inszenierte Erzählung. Dazu trägt auch das Zusammenschneiden der Aufnahmen bei. Unsere Technikerin Daniela Röder taucht dann stundenlang hinter ihrem Bildschirm ab. Am Ende wirken die vielen Schnipsel wie aus einem Guss. Bei der Abmischung sind die Ohren des Toningenieurs gefragt. Michael Krogmann an den Reglern sorgt mit unglaublichem Fingerspitzengefühl für eine wirklich musikalische Einbettung der Tonbeispiele. Das ist nicht so einfach, schließlich haben die Komponisten nicht extra für die Hörbiografie komponiert, und manchmal schimpft Michael auch über sie (oder mich, weil ich das Beispiel ausgesucht habe). Aber wenn Erzählung und Musik dann doch einen Fluss bilden, fühlt es sich schon gut an.

BR-KLASSIK: Dieses Mal stand ja nicht nur eine Persönlichkeit im Mittelpunkt der Hörbiografie, sondern gleich zwei: das Geschwisterpaar Fanny und Felix Mendelssohn, die zwar gleich begabt waren, aber doch völlig verschiedene Leben für die Musik führten. Wie war es überhaupt möglich, den beiden in einer Doppelbiografie gerecht zu werden?

Jörg Handstein: Nachdem Fanny Hensel als Komponistin von der Musikwissenschaft lange totgeschwiegen wurde, ist ihr Leben und Schaffen inzwischen recht gut erforscht dokumentiert. Es gibt mehrere Biografien, das Tagebuch und viele Briefe sind veröffentlicht. Von ihrer Musik ist nicht alles, was man sich wünschen würde, auf CD erhältlich, aber es gibt doch schon erstaunlich viele Einspielungen, so dass wir (auch durch die gute Zusammenarbeit mit den CD-Labels) Fannys Schaffen in vielen Facetten auch akustisch abbilden können.

Es war dennoch nicht so einfach, ihr im selben Maß wie Felix gerecht zu werden: Die Fülle und Popularität seines Schaffens und seine ungeheure Aktivität als Musiker wirken geradezu erdrückend neben Fanny. Man kann ihr nicht einfach die selbe „Quote“ an Zeit einräumen in der Darstellung. Aber genau das spiegelt auch die Realität wieder: Sie stand einfach im Schatten des Bruders. Insofern ist Martina Gedeck ein großer Gewinn für die Doppelbiografie, denn sie gibt Fanny mit subtilen stimmlichen Mitteln dann doch eine starke Präsenz.

BR-KLASSIK: Geschwisterbeziehungen können ja mitunter sehr anstrengend sein, oftmals sind sie auch mit ambivalenten Gefühlen verbunden. Wie war das denn bei Fanny und Felix? Welcher Aspekt ihrer Beziehung war besonders spannend oder überraschend?

Jörg Handstein: Beide wuchsen gemeinsam auf in der Musik: das war ihr „Element“. Das hat natürlich die Beziehung geprägt. Fanny war darüber hinaus emotional abhängig von Felix, und sie hat unter seiner Abwesenheit, seinen wenigen Besuchen ihr Leben lang gelitten. Diese Fixierung hat Felix nicht geteilt (und vielleicht fand er das auch etwas anstrengend...). Er selbst war mit seiner jüngeren Schwester Rebecca ebenso verbunden, ja war manchmal eher auf sie fixiert. Nach Fannys Tod hat er es aber bitter bereut, sie nicht öfters gesehen zu haben. In die Klischees der Geschwistersymbiose oder des unterdrückenden Bruders passt die Beziehung jedenfalls nicht. Sie ist komplizierter und gerade deswegen sehr spannend.

BR-KLASSIK: Fanny Hensel gilt als die bedeutendste Komponistin ihrer Zeit – einer Zeit, in der die Erwartungen an eine komponierende Frau noch von vielen Vorurteilen geprägt war. Keine Frage, sie muss darunter gelitten haben. Aber wo war es Fanny möglich, aus diesen Zwängen vielleicht auszubrechen, wo konnte sie eigene Akzente setzen und damit doch noch Gehör finden?

Jörg Handstein: Mit ihren häuslichen "Sonntagsmusiken" konnte sie eine eigene Konzertreihe auf die Beine stellen, die großes Interesse fand. Indem sie selbst spielte, dirigierte und organisierte, sprengte sie die übliche Rolle der "Salonnière", der charmanten Gastgeberin. Das Vorurteil, dass Frauen nur Lieder und einfache Klavierstücke komponieren können, unterlief sie sehr raffiniert, indem sie dann doch komplexere Ausdrucksmittel und Durchführungspassagen darin einschmuggelte. Das wirkt heute fast interessanter als vergleichbare Stücke des Bruders.

Eindrücke von der Produktion

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