Lebenserfahrung muss sein, sonst kann man Franz Schuberts "Winterreise" nicht authentisch interpretieren; davon ist Bo Skovhus überzeugt. Im Interview spricht er außerdem über die Chance, die eine Krise bietet - und darüber, dass es durstig macht, jemandem beim Singen zuzuhören.
Bildquelle: © Balmer und Dixon
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Bo Skovhus über Schuberts Winterreise
BR-KLASSIK: Braucht man für die "Winterreise" ein gewisses Mindestalter?
Bo Skovhus: Ich finde schon, dass man das braucht. Ich habe erst vor fünf Jahren angefangen, den Liederzyklus zu singen. Viele von meinen Pianisten haben mir schon gesagt: Du musst das singen, in deinem Alter war Schubert schon zwanzig Jahre tot. Für mich ist es auf jeden Fall wichtig, dass man zu diesem Zyklus einen Zugang findet - man muss etwas durchlebt haben, bevor man auch etwas herausschöpfen kann. Ich habe die "Winterreise" schon öfters auch mit jungen Sängern gehört - sie singen alle wunderbar schön. Aber mir hat es einfach nichts gesagt, weil keine Aussage da ist.
BR-KLASSIK: Aber der Protagonist ist ja schon ein junger Mann?
Bo Skovhus: Ja, natürlich, wenn man das so sieht. Schubert war sicher 26 oder 28, als er das geschrieben hat. Aber er war so reif und so weit in seinem Leben. Natürlich ist es ein junger Mann, der sich verliebt und so weiter, aber das ist schwierig. Ich habe auf jeden Fall keinen Zugang gefunden - bis vor fünf Jahren. Erst da habe ich mich bereit dazu gefühlt, diesen Zyklus in Angriff zu nehmen.
Das ist ja genau der Punkt in der 'Winterreise', dass der Protagonist da nicht 'rauskommt.
BR-KLASSIK: Verknüpft sich das dann mit eigenen Erfahrungen? Das sind ja negative Erfahrungen, um die es hier geht. Muss man das buchstäblich durchgemacht haben?
Bo Skovhus: Ich finde schon. Wenn man da auf dem grünen Zweig sitzt und sozusagen keinen Gegenwind gespürt hat, dann kann man auch zu diesem Zyklus nichts beisteuern. Das muss aus den eigenen Erfahrungen kommen, durch das, was man im Leben durchlebt hat. Auch, dass man die Seite kennt, wenn nicht alles so läuft, wie man es gerne hätte.
BR-KLASSIK: Naja, karrieremäßig ist es bei Ihnen ja schon so gelaufen, wie es hätte laufen sollen.
Bo Skovhus: Ja, da kann ich mich natürlich nicht beklagen. Es gibt aber auch ein Privatleben daneben und von da muss man einfach schöpfen. Da passiert natürlich viel. Ich bin jetzt fünfundfünfzig und habe auch Krisen durchlebt in meinem Leben. Das Gute bei solchen Sachen ist, dass man ja wahnsinnig viel daraus lernt, etwa wie man aus solchen Krisen wieder heraus kommt. Das ist ja genau der Punkt in der "Winterreise", dass der Protagonist da eben nicht 'rauskommt. Das ist wie ein Strudel, der ihn weiter und weiter hineinzieht in diese tiefste Depression, die ihn zum Schluss vielleicht zu Tode bringt.
Man ist schon ein bisschen erschöpft nach so einem Liederzyklus.
BR-KLASSIK: Besteht die Gefahr, wenn man so etwas singt, dass man sich anstecken lässt von der Depression? Man muss ich ja selbst investieren, wie sie eben gesagt haben.
Bo Skovhus: Ich finde, dass man das machen muss. Ich kenne auch viele Kollegen, die aus der Sicht eines Beobachters singen und sagen: Das geht mich nichts an und ich erzähle nur eine Geschichte. Ich glaube, man muss sich da selber hinein bewegen und auch diese ganzen Gefühle durchleben, die dieser Mensch durchlebt. Und klar: Die Gefahr ist da. Es ist viel Text, an den man sich erinnern muss und man ist schon ein bisschen erschöpft nach so einem Liederzyklus. Da hilft immer ein gutes Bier danach, das ist ganz nett.
BR-KLASSIK: Ich dachte, Sie sind ein passionierter Weintrinker...
Bo Skovhus: Das bin ich auch. Aber Bier ist schon auch was Schönes, besonders wenn man gesungen hat. Das Lustige ist, man bekommt gar nicht so viel Durst, wenn man selber singt - aber man kriegt viel mehr Durst, wenn man jemandem beim Singen zuhört. Ich weiß nicht, warum das so ist - das ist ganz merkwürdig.
Die Fragen stellte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.
Sendung: Leporello am 26. September 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Am 26. September singt der Bariton Bo Skovhus Franz Schuberts "Winterreise" von in der Heinrich-Lades-Halle in Erlangen, begleitet von dem Pianisten Stefan Vladar.