Wagners Einfluss auf die Musik war groß. Doch noch größer war sein Einfluss auf anderen Kunstformen – bis in unsere Gegenwart. Das schreibt Alex Ross, Autor von "Die Welt nach Wagner". In dem Buch nimmt er den Leser auf eine Reise durch die Wagner-beeinflusste Kulturgeschichte.
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Mit seinem Buch "The rest is noise" hat der amerikanische Musikkritiker Alex Ross vor einigen Jahren ein international viel beachtetes Buch über moderne Musik geschrieben – und zwar so, dass es nicht nur für Insider ein Lese-Gewinn ist. Jetzt hat der Autor der renommierten Zeitschrift The New Yorker ein neues Buch veröffentlicht. Diesmal geht es um Richard Wagner.
Allerdings kommt dieses neue Wagner-Buch nicht in Form einer Biographie daher. Ross untersucht den Einfluss, den Wagner ausübte und ausübt – bis heute. Friedrich Nietzsche war einer der ersten und einflussreichsten Wagnerianer überhaupt. In seiner Auseinandersetzung mit dem Komponisten und dessen Werk spiegelt sich bereits eine ganze Palette an Beeinflussungen und Abgrenzungen, die auch für viele nach ihm – Philosophen, Schriftsteller, Künstler – von Bedeutung sein sollten.
Thomas Mann war bekennender Wagner-Fan und setzte sich intensiv mit dessen Schaffen auseinander. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Etwa für Thomas Mann, der sich von den Opern "Lohengrin", "Tristan und Isolde" und dem Ring ebenso anregen ließ wie von der deutschnationalen Gesinnung Wagners. Der Musikkritiker Alex Ross schreibt: "Thomas Manns erster Roman von 1901, die Buddenbroocks, zeigt seine Entwicklung von Fontane-artiger Ironie zum Wagnerismus in großem Stil. Der Umfang des Werks fordert den Vergleich mit dem Ring heraus: So wie Wagner den Fall der Götter schildert, so erzählt Mann den Verfall einer deutschen Kaufmannsdynastie, nach dem Muster seiner eigenen Familie."
Dass Wagner so einflussreich war, liegt laut Alex Ross auch daran, dass er nur selten eindeutig festzulegen ist. Sowohl seine Opern wie seine zum Teil hochproblematischen Schriften sind in viele Richtungen interpretierbar. Und Wagner erscheint mehr als weltanschauliches Chamäleon denn als stringenter Denker und Theoretiker. Vielen gilt Wagner als frauenfeindlich. Dennoch haben gerade Frauen anfänglich überdurchschnittlich oft die Bayreuther Festspiele besucht, wie Ross recherchiert hat. "Die Anarchistin Emma Goldmann bemerkte einmal, dass mehr Frauen als Männer Wagners Musik hören und ihn auch verstehen, und sie vermutete, dass der elementare schrankenlose Geist der Musik Wagners Frauen hilft, die aufgestauten, erstickten und verborgenen Gefühle der Seele freizusetzen."
Es mag erstaunen, dass es in einem Buch eines Musikkritikers über den Einfluss von Wagner nicht um Musiker geht. Doch Alex Ross hat dafür einen einleuchtenden Grund: "Wagners Wirkung auf die Musik war gewaltig, doch sie war nicht größer als die von Monteverdi, Bach oder Beethoven. Aber seine Wirkung auf andere Kunstformen war beispiellos und ist seither nicht wieder erreicht worden, auch nicht im Bereich der populären Kunst. Die größte Faszination übte er auf Vertreter der stummen Künste aus – auf Romanschriftsteller, Dichter und Maler…"
Alex Ross ist seit 1996 der Musikkritiker des New Yorker. | Bildquelle: John D. and Catherine T. MacArthur Foundation Ross hat auf rund 900 Seiten eine bemerkenswerte Kulturgeschichte des Wagner-Einflusses bis in unsere Gegenwart geschrieben. Sie behandelt Malerei, Psychologie und Philosophie, Literatur und Politik sowie Film und Comic. Alex Ross liefert eine wahrhaft überbordende Materialsammlung. Mitunter ufert seine Entdeckerleidenschaft etwas aus, wenn er beispielsweise auch den Dadaismus auf Wagner zurückzuführen möchte, der ja gerade in einer Gegenbewegung zum romantischen Gesamtkunstwerk entstanden ist. Vielleicht hätte ein Lektor ihn besser ein wenig einbremsen sollen.
Dazu kommt, dass die Struktur des Buchs nicht wirklich stringent ist: Ross springt immer wieder von Thema zu Thema, von Künstler zu Künstler. So ist der Parforceritt durch über 100 Jahre Wagner-Rezeption trotz sehr vieler spannender Erkenntnisse etwas anstrengend zu lesen. Ein wenig wie die Opern Richard Wagners – beeindruckend, aber auch ziemlich lang.
Alex Ross / Übersetzung von Gloria Buschor, Günter Kotzor
Die Welt nach Wagner - Ein deutscher Künstler und sein Einfluss auf die Moderne
Rowohlt Buchverlag
912 Seiten (gebunden)
Preis: 40,00 Euro
Sendung: "Allegro" am 18. November 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK