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Buchkritik – Wolfram Knauers "Black And Blue" über Louis Armstrong Ein "Aktivist ganz eigener Art"

Am 6. Juli 2021 jährt sich sein Todestag zum 50. Mal, und am 4. August wäre sein 120. Geburtstag: Louis Armstrong, Trompeter, Sänger und Ikone des Jazz. "Black and Blue" heißt das aktuelle Buch des Musikforschers Wolfram Knauer, der unter dem Eindruck der "Black Lives Matter"-Bewegung auch auf Armstrongs Verhältnis zur Bürgerrechtsbewegung ausführlich eingeht.

Bildquelle: Reclam-Verlag

Buchtipp

"Black and Blue" über Louis Armstrong

Den Klang erkennt man sofort: eine Trompete, die zu sprechen scheint und deren hohe Töne oft wie eine Feier des Lebens klingen. Das ist der Sound von Louis Armstrong. Der Buchautor Wolfram Knauer beschreibt dessen Töne als Musik, "die bis heute im kollektiven Gedächtnis der Welt weiterlebt und in ihrer Balance von Virtuosität, swing und Energie nach wie vor ein Lächeln auf das Gesicht all jener zaubert, die sie zum ersten oder wiederholten Male hören." Präziser kann man das Phänomen vermutlich nicht beschreiben.

Armstrongs Rolle als Afroamerikaner

Wolfram Knauer, Leiter des renommierten Jazzinstituts Darmstadt, ist einer der zuverlässigsten Gewährsmänner beim Thema Jazz. Er hat diverse herausragende Jazzbücher geschrieben. Und in seiner jetzt vorgelegten Neufassung seines Buchs über Louis Armstrong geht er – angeregt nicht zuletzt durch die Bewegung "Black Lives Matter" – ausführlich Armstrongs Rolle als Afro-Amerikaner nach. Dem Trompeter wurde lange Zeit vorgeworfen, ein "Onkel Tom" zu sein, der sich beim weißen Publikum und Business anbiedere – mit zu freundlichem Lächeln und zu freundlichen Tönen. "Ja, es gab lautere Wortführer, auch in der Musik", schreibt Knauer. Aber er betont: Armstrong "war kein Onkel Tom, die Gesten, derer er sich bediente, drückten in Wahrheit seinen Stolz auf die afroamerikanische Geschichte und die Relevanz aus, die er in ihr hatte."

Kurz und bündig

Dieses Buch muss man haben, weil …
… man in ihm das Wesentliche über Louis Armstrong auf kaum mehr als 200 Seiten erfährt.

Dieses Buch lädt ein zum …
… Hören, Hören, Hören und zum Neu-Nachdenken über einen der populärsten Musiker der 20. Jahrhunderts.

Dieses Buch führt bei Überdosis …
… nicht zu bleibenden Hörschäden. Im Gegenteil!

Der unterschätzte Bürgerrechtler

Folgt man Knauer, dann hört man auch in Tönen wie denen des berühmten "West End Blues", aufgenommen bereits 1928, den Stolz eines besonderen Musikers. Doch in den 1950er und 1960er Jahren unterschätzten gerade Vertreter der Bürgerrechtsbewegung Louis Armstrong: Er erschien ihnen musikalisch und politisch harmlos. Wolfram Knauer stellt Armstrong als einen lange Verkannten dar. Auf Seite 175 präsentiert er einen schönen und kuriosen Beleg dafür, dass Satchmo sich einmischte. Als 1957 in Little Rock, Arkansas, der rassistische Gouverneur Orval Faubus schwarzen Schülern den Zutritt zur High Scholl verwehren wollte, schrieb Armstrong ein Telegramm an US-Präsident Eisenhower und bot an, die afroamerikanischen Kinder selbst zur Schule zu begleiten – freilich zusammen mit den Bundestruppen, die Eisenhower schickte, um die Integration durchzusetzen. Das Telegramm ist im Wortlaut nachzulesen.

"Swiss Krissly Yours"

Der Trompeter und Sänger Louis Armstrong. Foto von 1956 | Bildquelle: picture alliance / Everett Collection Kein "Onkel Tom": Louis Armstrong | Bildquelle: picture alliance / Everett Collection "Please take me along – o God it would be such a great pleasure I assure you", schrieb Armstrong an Eisenhower, den er ganz am Anfang mit "Daddy" anspricht und dem er versichert: "You have a good heart”. Besonders köstlich ist die Grußformel am Ende: "Am Swiss Krissly yours Louis Satchmo Armstrong." Swiss Krissly? Eine sehr eigenwillige Formel, die Armstrong, der wegen fortgesetzter Verdauungsprobleme ein besonders inniges Verhältnis zu Abführmitteln hatte, von einer offenbar von ihm bevorzugten Marke solch eines Mittels ableitete, "Swiss Kriss". Wenn Armstrong jemandem "Swiss Krissly yours" schrieb, drückte das wohl einen besonders herzlichen Gruß aus – der Wortlaut zeigt aber zugleich, dass der Musiker auch dem Präsidenten gegenüber kein Blatt vor den Mund nahm.

"Sie würden mir auf den Mund schlagen"

Einen "Bürgerrechts-Aktivisten der ganz eigenen Art" nennt Knauer Armstrong und führt für dessen Identifikation mit der Bürgerrechtsbewegung noch weitere Belege an. Gegenüber Journalisten in Kopenhagen sagte Armstrong auf die Frage, warum er nicht an der Seite von Martin Luther King protestiere: "Ich kämpfe vielleicht nicht an vorderster Front, aber ich unterstütze [die Bewegung] mit meinen Spenden. Es ist möglich, dass das jetzt nicht mehr genug ist. Mein Leben aber ist die Musik. Sie würden mir auf den Mund schlagen, wenn ich mich in die Demonstrationen einreihen würde, und ohne meinen Mund könnte ich nicht mehr Trompete spielen."

Lesen – und ganz Ohr sein

Der Trompeter und Sänger Louis Armstrong in seiner Garderobe. Foto von 1962 | Bildquelle: picture alliance / Heritage-Images Louis Armstrong – einmal anders | Bildquelle: picture alliance / Heritage-Images Schmunzelnd und zugleich nachdenklich innehaltend kann man die Geschichte des Telegramms an Eisenhower und andere in dem auf rund 200 Seiten sehr informativen Buch verfolgen. Ganz Ohr ist an man an wieder anderen Stellen. Denn zu vielen Stücken – mit kleinen Kopfhörern am Seitenrand gekennzeichnet als Hör-Tipps – macht der Autor konkrete Anmerkungen. Etwa zum erwähnten "West End Blues": "Allein die neuntaktige Einleitungskadenz zum 'West End Blues' wirkt wie eine Art Essay über die elementaren Charakteristika des Jazz, darüber, wie man mit Melodik, Harmonik, Rhythmik, Dynamik und Artikulation Spannung und Entspannung zugleich erzeugen kann."

Zum Selber-Mitdenken

Knauer stachelt mit vielen solcher Textstellen die Lust am hörenden Überprüfen an. Ergebnis: Ein Musikbuch, nicht zum Abnicken, sondern zum Selber-Mitdenken. Seite für Seite Aufforderungen, sich eigene Urteile zu bilden. Lesende und Hörende können dabei die ganz eigene "Wonderful World" Louis Armstrongs aktiv entdecken.

Infos zum Buch

Wolfram Knauer:
"Black and Blue"
Louis Armstrong – sein Leben und seine Musik


256 Seiten, gebunden
11 Abbildungen
Reclam-Verlag
Preis: 24,00 Euro

Sendung: "Allegro" am 7. Juli 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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