Dass für ihn alles bei den Bamberger Symphonikern begonnen hat, vergisst man gelegentlich. Albrecht Mayer ist gefühlt schon eine Ewigkeit Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker und außerdem der bekannteste Solist auf seinem Instrument. Die erste Station in Mayers Oboen-Leben war allerdings die Solo-Stelle bei den Bambergern, und zu diesem Orchester hält er nach wie vor guten Kontakt - so guten Kontakt, dass jetzt unter Chefdirigent Jakub Hrůša eine gemeinsame CD entstanden ist, die nach Höherem strebt.
Bildquelle: Deutsche Grammophon
Das Album der Woche zum Anhören
Wenn die Stürme um einen herum zu arg wüten, dann hilft manchmal nur, sich wegzuträumen – dahin, wo es friedlich ist. Wo Ruhe herrscht, wo die Seele atmen kann. Für den einen ist das der Meeresstrand aus dem letzten Urlaub, für den anderen die berühmte Hängematte. Wenn es so richtig trist und grau ist, dann darf es auch mal etwas spiritueller und transzendenter sein – mit Gedanken ans Paradies. "Longing for Paradise" – "Sehnsucht nach dem Paradies" hat Oboist Albrecht Mayer seine neue Solo-CD übertitelt. Gemeinsam mit den Bamberger Symphonikern und mit den Klängen seines Instruments durchstreift Mayer darauf gleich vier verschiedene Paradies-Welten. Jede für sich eine Art Zuflucht, Hoffnungsschimmer oder Reminiszenz. Ein geträumtes "weg" aus dem kargen Sein.
Dieses Album wird lieben, …
… wer sich gerne mal von der Fantasie wegtragen lässt.
Dieses Album muss man haben, …
… weil es einen im Alltag sofort innehalten und träumen lässt.
Dieses Album ist ein Hörgenuss, …
… weil Albrecht Mayer seiner Oboe Töne von überirdischer Schönheit entlockt und einen, wie der Rattenfänger von Hameln, entführt, ob man will oder nicht.
1933 hat Edward Elgar sein Stück "Soliloquy" für Oboe und Orchester komponiert, da stand Europa am beginnenden Abgrund der Nazi-Herrschaft. Und Elgar selbst war geplagt von Krankheit und Schmerz. Melancholie und eine verletzliche Sanftheit durchziehen das Stück, das fast vor einem zu zerbrechen scheint. "Fragile" müsste eigentlich – warnend – als Aufkleber auf dem Cover prangen. Albrecht Mayer entlockt seiner Oboe dafür Töne von überirdisch-graziler Schönheit, die einen unmittelbar forttragen, in utopische Sphären. Und die Bamberger Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Jakub Hrůša gehen diesen Weg einfühlsam mit.
Richard Strauss hat sein Oboenkonzert von 1945 keineswegs als paradiesisch empfunden. Als "Handgelenksübung" hat er es abgetan, mit dem Komponieren wollte er sich angeblich die Langeweile vertreiben. Langeweile 1945? Als Deutschland in Schutt und Asche liegt, der Krieg vorbei, endlich, hat Strauss Langeweile? Auch in diesem Stück findet Albrecht Mayer Klänge der Sehnsucht, nach Ruhe, nach Frieden, nach Harmonie. Überraschend einfache, klare Klänge, ohne Morbidität und ironische Doppelbödigkeit, die von Solist und Orchester genau das verlangen: eine absolute ehrliche Hingabe an die Schönheit. Ohne Angst vor Naivität. Ohne das zynische Bedürfnis, die Idylle zu brechen.
Das vierte Stück nach Ravels "Tombeau de Couperin" auf Mayers neuem Solo-Album stammt von Eugène Goossens, Bruder des in den 1920er Jahren berühmten englischen Oboisten Léon Goossens. Sakrisch schwer, um das Kind beim Namen zu nennen, ist es, weil Goossens die Oboe ebenso gut beherrschte wie Albrecht Mayer. Und mit diesem Stück und seinen spielerischen Fertigkeiten auf seiner Tournee durch Amerika beeindrucken wollte, erfolgreich und berühmt werden wollte. Auch hier ist die Sehnsucht die treibende Kraft.
So gespielt wie von Albrecht Mayer gibt man ihr gerne nach, lässt sich mitziehen, zu den eigenen Fluchtpunkten. Und wer dabei kurzzeitig im Paradies landet, der wird umso reicher beschenkt.
Richard Strauss: Oboenkonzert D-Dur
Edward Elgar: "Soliloquy" für Oboe und Orchester
Maurice Ravel: "Le Tombeau de Couperin" (arr. für Oboe und Orchester)
Eugene Goossens: Konzert in einem Satz für Oboe und Orchester op. 45
Albrecht Mayer (Oboe)
Bamberger Symphoniker
Leitung: Jakub Hrůša
Label: Deutsche Grammophon
Sendung: "Piazza" am 25. Mai 2019 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK