Lise Davidsen – der Name ist in aller Munde, seit die junge Norwegerin bei den letzten Bayreuther Festspielen 2019 die "Tannhäuser"-Elisabeth gesungen hat. Außer dieser Partie übernimmt sie dieses Jahr auf dem Grünen Hügel auch die Sieglinde in der neuen "Walküre". Inzwischen liegen zwei Arienalben von ihr vor, und jetzt auch zwei Operngesamteinspielungen. Ihrer Agathe in Webers "Freischütz" unter der Leitung von Marek Janowski folgt jetzt ihre Leonore in Beethovens "Fidelio", wieder mit demselben Dirigenten.
Bildquelle: Pentatone
Der CD-Tipp zum Anhören
Eine Frau, die bis zum Äußersten angespannt ist, aus Angst vor der Entdeckung ihrer Identität. Auch deshalb, weil sie nicht weiß, ob sich ihr zu Unrecht inhaftierter Mann wie vermutet unter den Gefangenen vor Ort befindet. Ob er noch lebt, ob sie noch rechtzeitig kommt, um ihn zu befreien. Die Situation, in der Beethoven uns Leonore während ihres Monologs zeigt, ist die: Im Augenblick zuvor hat sie den Gouverneur Don Pizarro als den Despoten erkannt, dem sie gegenübertreten muss.
Dass ihre Textgestaltung optimierbar ist, ihre Artikulationsgenauigkeit, weiß Lise Davidsen sicher selber. Mit Beethovens wild entschlossener Retterin kann man die Riesenstimme der Sängerin auf Anhieb in Verbindung bringen. Sie hat einen ungewöhnlich imposanten Sopran, dem keine Klippe der Partie Kopfschmerzen bereitet. Bei beträchtlichen Lautstärkegraden, im Fortissimo, ist sie von einschüchternder Angriffslust. Ihre Stimme verströmt Wärme und klingt doch manchmal wie ein Trompetensignal – bisweilen auch so scharf wie ein geschliffenes Schwert.
Dieses Album wird lieben, wer …
… aus dem Beethoven-Overkill des Beethovens-Jubeljahres unversehrt hervorgegangen ist.
Dieses Album hat gefehlt, weil …
… "Fidelio" heutzutage in den vier tragenden Rollen der Oper kaum besser besetzt werden kann.
Dieses Album führt bei Überdosis zu …
… neuem Glauben an "das Gute im Menschen", oder zumindest an "den Sieg des Guten über das Böse".
Das Solistenensemble dieser Neueinspielung verdient sich durch die Bank gute Noten. Johannes Martin Kränzle liefert als Pizarro eine abgründige Charakterstudie, Günther Groissböck tönt angemessen balsamisch als Minister und Deus ex machina. Auch die gefürchtete Tenorpartie des Florestan liegt bei Christian Elsner in zuverlässigen Händen, und Georg Zeppenfeld formt als Rocco zu Recht einen moralisch zweifelhaften Charakter – leistet der Kerkermeister doch Beihilfe zum Mord am Gefangenen.
Und weil "Fidelio" das Theater als moralische Anstalt feiert, ist die Frage nach der Haltung des Dirigenten bei dieser Oper immer wichtig. Marek Janowski hat seinem Orchester das zentrale Anliegen Beethovens, eine Freiheitsutopie, offenbar nachdrücklich vermittelt. Die Dresdner Musikerinnen und Musiker transportieren bereitwillig ein politisches Bekenntnis, indem sie beim Spielen hörbar auf der Stuhlkante sitzen. Sie überrumpeln uns mit dem Verbrüderungsgestus des Finales. Nebenbei bemerkt: Wie bei der vorangegangenen "Freischütz"-Aufnahme Janowskis war Bayreuths Festspielchefin Katharina Wagner an der geschmackvoll und plausibel modernisierten Dialogfassung beteiligt.
Ludwig van Beethoven: "Fidelio"'
Lise Davidsen (Sopran – Leonore)
Christian Elsner (Tenor – Florestan)
Johannes Martin Kränzle (Bariton – Pizarro)
Georg Zeppenfeld (Bass – Rocco)
Christina Landshamer (Sopran – Marzelline)
Günther Groissböck (Bass – Fernando)
Cornel Frey (Tenor – Jaquino)
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Rundfunkchor des MDR Leipzig
Dresdner Philharmonie
Leitung: Marek Janowski
Label: Pentatone
Sendung: "Piazza" am 24. Juli 2021 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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