BR-KLASSIK

Inhalt

Album der Woche – Dmitry Ablogin spielt Beethoven Diabelli-Variationen

Eine Variation über ein harmloses Walzer-Thema erbat der Wiener Verleger Anton Diabelli von Beethoven: 33 lieferte ihm der Meister und schuf mit seinem op. 120 ein Werk, das die Gattung der Variation neu definierte und bis heute eine Herausforderung für Pianisten und Publikum darstellt. Der russische Pianist Dmitry Ablogin hat die umfangreichen Diabelli-Variationen nun gleich doppelt eingespielt – einmal auf einem historischen Fortepiano und einmal auf einem modernen Fazioli-Flügel. Ein spannender Vergleich!

Bildquelle: Organum

Den CD-Tipp anhören

"Ein Mikrokosmos des Beethovenschen Genius, ja sogar ein Abbild der ganzen Tonwelt im Auszuge" – so bezeichnete Hans von Bülow die Diabelli-Variationen, als er sich gut 30 Jahre nach ihrer Entstehung als Erster an die Uraufführung wagte. Bis heute ist Beethovens op. 120 eine Herausforderung für Pianisten und Publikum – dabei hatte der Wiener Verleger Anton Diabelli nur ein hübsches Sammelalbum herausbringen wollen. Hierfür hatte er ein selbstkomponiertes Thema den prominentesten Komponisten des Kaiserreichs geschickt und sie um je eine Variation gebeten. Beethoven rümpfte erst die Nase ob des lächerlichen Themas; doch dann schrieb er gleich 33 Variationen von insgesamt fast einstündiger Spieldauer, die der verblüffte Diabelli in einem eigenen Band herausbrachte. Eines jener frappierenden Meisterwerke, mit denen der späte Beethoven seiner Zeit weit voraus war.

Kurz und bündig

Dieses Album lädt ein ...
... zum Vergleich. Denn das Fortepiano führt uns direkt in Beethovens Zeit, der moderne Fazioli-Flügel weist weit über sie hinaus: wer weiß, was Beethoven den Pianisten noch alles zugemutet hätte, wäre ihm dieses Instrument zur Verfügung gestanden.

Dieses Album muss man haben, weil ...
... das historische Streicher-Instrument durch seinen Klang und seine technischen Möglichkeiten, aber auch Grenzen zu manchem Aha-Erlebnis führt, was Beethovens Kompositionsweise betrifft!

Dieses Album hört man ...
... am besten als Doublefeature – beide Versionen hintereinander!

Dieses Album führt bei Überdosis ...
... zu hartnäckigen Ohrwürmern (der Diabelli-Vorhalt lässt grüßen!).

Diabellis Walzer als Boogie-Woogie

Schon dem originalen Thema, das oft etwas lieblos heruntergeschnurrt wird, verleiht Dmitry Ablogin durch winzige Verzögerungen und dynamische Kontraste eine charmante Originalität. Und er hat recht: Denn dieser von Beethoven zunächst geschmähte "Schusterfleck" bietet gerade durch seine Schlichtheit unendliche Möglichkeiten der Variation. Keine Variation im damals üblichen Sinn: Beethoven hält sich nicht damit auf, das Thema durch virtuose Figurationen aufzuhübschen; er zerlegt es wie ein Spielzeugauto und konstruiert aus den Einzelteilen Miniaturen, die nicht nur der gute Diabelli als buchstäblich "unerhört" empfunden haben muss. Meister Ludwig parodiert das Thema als pompösen Marsch. Oder er lässt den steifen Vorhalt als obsessiven Triller durch die Stimmen wandern oder er verwandelt Diabellis Walzer gar zum Boogie-Woogie avant la lettre.

 Ein Flügel, der Beethovens Sprache spricht

Vom skurrilen Humor über Bachsche Fugenkunst bis zur Verklärung des Themas im abschließenden Tempo di minuetto – Dmitry Ablogin lässt uns mit Sensibilität, Klangsinn, Intelligenz und brillanter Technik ganz tief in das wundersame Kaleidoskop dieses gigantischen Variationsopus eintauchen. Und das gleich von zwei Seiten: Denn er spielt das ganze op. 120 in diesem Doppelalbum einmal auf einem modernen Fazioli-Konzertflügel von 2018 und einmal auf einem historischen Hammerflügel aus der Werkstatt der Wiener Klavierbauerin Nannette Streicher von 1825. Dazu muss man wissen, dass diese Instrumente damals nicht nur europaweit für ihre leichte Spielbarkeit und kantable Tongebung gerühmt wurden, sondern dass Beethoven mit Madame Streicher eng befreundet war und an der Entwicklung ihrer Fortepiani regen Anteil nahm. Es ist also ein Instrument, so formuliert es Ablogin, das dieselbe Sprache spricht wie der Komponist.

 Gehaltvolle Nahrung für die Seele

Wie präsent und charaktervoll der Bass hier zur Geltung kommt, das zeigt die enorme Ausdruckspalette, die dem Streicher-Flügel zur Verfügung steht. Und die Beethoven bei der Komposition wohl auch vorschwebte. Andererseits nutzte er stets die neuesten technischen Möglichkeiten und hätte sich vermutlich auch für die dynamischen und virtuosen Aspekte des Fazioli begeistern können. Ein so zentrales Werk vom selben Pianisten parallel auf zwei Instrumenten hören zu können, ist jedenfalls enorm spannend und unbedingt zu empfehlen.

Ein zeitgenössisches Jahrbuch empfahl den Streicher-Flügel einst all den Tastenfreaks, die "Nahrung für die Seele" suchen. Und und in dieser Aufnahme ist es eine sehr gehaltvolle!

Infos zur CD

Ludwig van Beethoven
Diabelli-Variationen - 33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli für Klavier, op. 120
in Einspielungen auf einen Streicher Fortepiano (1825) und einem Fazioli Grand Piano (2018)

Dmitry Ablogin, Klavier

Label: Organum

Sendung: "Piazza" am 14. Januar 2023 ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Dienstag, 17.Januar, 13:34 Uhr

Dr. Heli Aurich

Ablogin Diabelli Variationen

Hinreissend.
Die CD kauf ich mir sofort.
Guter Tipp!
Herzliche Grüße
Dr. Heli Aurich

    AV-Player