Als versierte Bach-Interpretin hat sie sich längst international einen Namen gemacht. Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ hat sie gar innerhalb nur weniger Jahre zweimal vollständig eingespielt – und damit gezeigt, dass sie zu jenen Künstlerinnen gehört, die stets getrieben sind von kreativer Unruhe und der Suche nach neuen „Wahrheiten“. Jetzt legt die kanadische Pianistin Angela Hewitt beim englischen Label Hyperion ihr zweites Album mit Sonaten von Domenico Scarlatti vor.
Bildquelle: Hyperion
DER CD-TIPP ZUM ANHÖREN
Gleich das Eröffnungsstück, die D-Dur-Sonate Kk491, macht mit ihrem ouvertürenhaften Charakter und ihrer fanfarenartigen Motivik deutlich, welchem Umfeld diese Musik entsprungen ist: Domenico Scarlatti, geboren im selben Jahr wie Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel, stand für den überwiegenden Teil seiner Karriere in Diensten des portugiesischen und spanischen Hofes. Eine zentrale Schlüsselrolle spielte dabei die portugiesische Prinzessin Maria Barbara de Braganca, die später den spanischen Thronfolger heiratete und Scarlatti über Jahrzehnte als privaten Cembalo-Lehrer beschäftigte. Deshalb klingt seine Musik so anders als diejenige Bachs oder Händels und ist geprägt von spanischem Temperament und Wendungen, die bisweilen wie direkte Übertragungen von Gitarrenmusik anmuten.
17 der insgesamt 555 Sonaten hat Angela Hewitt für ihre zweite Scarlatti-CD (16 Sonaten finden sich auf Volume 1) zusammen gestellt und zu kleinen Gruppen, quasi mehrsätzigen Sonaten, geordnet, die für den Hörer ein harmonisches Ganzes bilden sollen. Auch das zweite Stück der vorliegenden CD, die Sonate Kk46, steht in D-Dur. Aber anders als etwa vor Jahren Christian Zacharias, der die These einer paarweisen Anordnung von Sonaten gleicher Tonart verfolgte, mischt Angela Hewitt die einzelnen Stücke nach eher dramaturgischen Kriterien: Auf eine majestätische Eröffnung folgt ein erster Tanz, angesiedelt irgendwo zwischen "Bulería", portugiesischem "Fandango" und neapolitanischer "Tarantella". Und die übernächste Sonate in h-Moll wiederum huldigt dem Gleichmaß und der linearen Fortschreitung - und eignet sich laut Hewitts Erläuterungen im Booklet besonders gut für Schüler, die die Unabhängigkeit beider Hände trainieren wollen.
Obwohl Domenico Scarlattis Sonaten original für das Cembalo entstanden, lassen sie sich auch auf dem modernen Konzertflügel überzeugend darstellen. Erst recht von einer Interpretin mit derart transparenter Anschlagstechnik, die sich bezeichnender Weise einen Fazioli-Flügel ausgesucht hat, der von Haus aus weniger "wuchtig" klingt als etwa ein Steinway oder Bösendorfer. Angela Hewitt folgt der spielerischen Motorik dieser einsätzigen Charakterstücke und besticht durch ihre stupende manuelle Technik, wie etwa in der virtuos angelegten A-Dur-Sonate Kk24.
Erst ganz am Ende dieser Scarlatti-CD kommt dann auch die sentimentale, nach innen gekehrte Seite des höfischen Cembalo-Virtuosen zum Vorschein - nachdem der weit überwiegende Teil seiner Sonaten extrovertierter Leichtigkeit huldigt. Irgendwann aber holte ihn vielleicht die Melancholie seiner königlichen Schülerin ein - oder die ihres gegen Lebensende stark depressiven Gatten Ferdinand.
Angela Hewitt, Klavier
Label: Hyperion
Sendung: "Leporello" am 13. November 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK