BR-KLASSIK

Der Countertenor Filippo Mineccia entdeckt auf seiner neuen CD die Schönheit heute unbekannter Opernarien des Mozart-Zeitgenossen Giovanni Paisiello. Sie sind nicht nur vokale Bravourstücke, sondern berührende Seelengemälde.

Vor 300 Jahren waren sie gefeiert wie Stars. Ihre Gagen waren astronomisch hoch, sie wurden angebetet wie Götter, zuweilen arteten ihre Auftritte in Tumulte mit Massen-Ohnmachten aus. Wer den Prominentesten an seinen Hof verpflichten könne, darum konkurrierten die Fürsten Europas wie eifersüchtige Liebhaber: Kastraten waren die männlichen Primadonnen auf den Bühnen der Barockzeit.

"Verschnittene Engel"

Ein päpstlicher Erlass verbot es Frauen, auf der Bühne aufzutreten. Ihre Rollen - und auch die männlicher Protagonisten - übernahmen die oftmals sogenannten "verschnittenen Engel", also Sänger, deren Stimmbruch durch Kastration verhindert worden war. Waren sie begabt und gut ausgebildet, verfügten sie über brillante Virtuosität und dramatische stimmliche Durchschlagskraft.

Heute gibt es natürlich keine Kastraten mehr. Es sind Countertenöre, also Männer, die im Falsettregister singen, die das Repertoire der barocken Superstars entdecken und wiederbeleben. So auch der junge italienische Countertenor Filippo Mineccia, der gerade eine wunderschöne CD mit Kastraten-Arien von Giovanni Paisiello und einiger seiner Zeitgenossen herausgebracht hat. Das Spannende daran: Mineccia singt Kompositionen aus einer Zeit, als der Stern der Kastraten bereits im Sinken begriffen war, als Mozart und Beethoven den Musikgeschmack bestimmten und am Horizont die Romantik ihre Strahlen aussandte. Klar, es geht bei den meisten Arien um großes Theater, um Liebe, Eifersucht, Rache und Tod. Doch finden sich auch anrührende, stille Momente in bester Mozartscher Manier wie die herzklopfende, todestraurige Abschieds-Miniatur eines lebensmüden Liebhabers.

Echo tiefer Gefühle

Spätestens hier zeigt sich: Die Musik Paisiellos, der unter anderem am Hof von Zarin Katharina der Großen in Sankt Petersburg sehr erfolgreich als Opernkomponist tätig war, ist weit mehr als elegante Konfektionsware. Sie ist psychologisch fein ausgelotetes Echo tiefer Gefühle.

Freunde von schönen Stimmen werden an dieser CD ihre helle Freude haben. Denn Filippo Mineccia ist ein fantastischer Sänger, der nicht nur mit einer runden, warmen, perfekt austarierten Stimme, sondern auch mit großer Musikalität punktet. Keine Phrase scheint ihm zu lang zu sein, keine Koloratur zu vertrackt. Trotzdem freut man sich, dass Paisiello als Bote einer neuen Geschmacksepoche in seiner Musik nicht nur auf vokales Feuerwerk, sondern auch auf Emotion und Seelenklang setzt. Denn genau das kann Filippo Mineccia großartig vermitteln, und deswegen möchte man diese CD wieder und wieder hören.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 7. Oktober 2018, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK