Wenn das Wort "Weihnachtsoratorium" fällt, dann ist das, wie wenn die Pawlow'sche Glocke ertönt: Eine ganz bestimmte Erwartungshaltung macht sich breit, die sich ausschließlich auf das ohne Frage herausragende Werk von Johann Sebastian Bach bezieht. Muss aber gar nicht sein, denn Händels Konkurrent in London zum Beispiel hat auch eins geschrieben, der neapolitanische Komponist und Star-Gesangslehrer Nicola Antonio Porpora.
Bildquelle: Sony Classics
Der CD-Tipp zum Nachhören
Wenn das Wort "Weihnachtsoratorium" fällt, dann ist das, wie wenn die Pawlow'sche Glocke ertönt: Eine ganz bestimmte Erwartungshaltung macht sich breit, die sich ausschließlich auf das ohne Frage herausragende Werk von Johann Sebastian Bach bezieht. Muss aber gar nicht sein, denn Händels Konkurrent in London zum Beispiel hat auch eins geschrieben, der neapolitanische Komponist und Star-Gesangslehrer Nicola Antonio Porpora.
Ausgegraben hat dieses Werk Riccardo Minasi mit dem Kammerorchester Basel. Ein Querschnitt daraus ist jetzt in einer live-Aufnahme vom NDR erstmals auf den Markt gekommen. Porpora hat sein Oratorium aus dem Jahr 1747 "Il verbo in carne" überschrieben, "Das Fleisch gewordene Wort". Es ist keine musik-dramatische Erzählung der Weihnachtsgeschichte, vielmehr tauschen sich die Allegorien Friede, Wahrheit und Gerechtigkeit quasi von oben herab über die Bedeutung und das Wunder der Geburt von Jesus Christus aus. Rezitative und Arien wechseln in bewährter Manier der barocken Oper, beeindruckend dabei immer wieder Porporas anschaulich-treffsichere Textausdeutung in Kombination mit einem immensen Gespür für Stimmen und Melodien.
Die hier versammelten Solisten sind handverlesen und zählen zum Besten, was im Barockfach derzeit im Angebot ist. Hervorragend aufeinander abgestimmt agieren die Sopranistin Roberta Invernizzi, Tenor Martin Vanberg und der mit seiner stupend unaufdringlichen Art triumphierende Countertenor Terry Wey.
Wer betont weihevolle und besinnlich erhebende Musik erwartet, der wird wohl enttäuscht werden. Zwar setzt Porpora auch Instrumente wie Blockflöten und Hörner ein und kreiert damit pastorale Momente. Allerdings, zumindest in der vorliegenden Auswahl, fast nur in den instrumentalen Vorspielen. Stets zu spüren ist dagegen der meisterhafte Vollblut-Opernkomponist, der genau weiß, wie er sein Publikum bei Laune hält. Das entspringt einer Mentalität, die ganz anders gelagert ist, als der nord- bzw. mitteldeutsche Protestantismus. Der vitale und im besten Sinn unterhaltende Charakter wird vom ausgezeichneten Kammerorchester Basel mit seinem knackig frischen und rhythmisch sehr präzisen Klang aufs Beste unterstützt. Weniger innere Einkehr, dafür packende und durchaus kurzweilige Musik zu Weihnachten - auch wenn das Bach-Ritual davon sicher nicht berührt werden wird, "Il verbo in carne" ist eine äußerst gelungene und willkommene Alternative.
Kammerorchester Basel
Riccardo Minasi, Violine und Leitung
Giustizia: Roberta Invernizzi
Pace: Terry Wey
Verità: Martin Vanberg (+ Marc-Olivier Oetterli, Bass)
Label: Deutsche Harmonia Mundi (dhm) / Sony
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 23. Dezember 2018, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK