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Album der Woche – Daniil Trifonov "My American Story – North"

Rachmaninow, Bach und Chopin waren gestern. Der Pianist Daniil Trifonov widmet sich auf seinem neuen Album der Musik Nordamerikas. Und zwar des 20. Jahrhunderts: Jazz, Filmmusik und Minimal identifiziert Trifonov dabei als den genuinen Musikstil seiner Wahlheimat. Und sein Spiel begeistert auf ganzer Linie.

Bildquelle: DGG

Der CD-Tipp zum Anhören

Ganz so einfach ist es ja oft nicht, wenn Klassiker zu Jazzern werden wollen. Immerhin ist es eine grundlegend andere musikalische Herangehensweise, ob man hochvirtuose klassische Stücke ganz werkgetreu spielt. Oder ob man auf Harmonien improvisiert, die Läufe in die Tasten wirft und sie grooven lässt. Und hier muss man auch schon einhaken bei Daniil Trifonov und dem Jazz auf seinem neuen Album "My American Story – North". Denn auf gewisse Weise trickst dieser so brillante Pianist beim Jazzspielen. Das Album beginnt mit Art Tatums Version von "I Cover the Waterfront". Trifonov selbst hat die Transkription dieses Stückes nach Gehör erstellt und diese dann wieder eingespielt. Werkgetreu ist es also doch, was er hier macht. Virtuos sowieso, und in dieser Herangehensweise eben wiederum auch ganz klassisch.

Das Philadelphia Orchestra begleitet vorbildlich

Trifonovs Spiel hat – besonders auch in George Gershwins "Concerto in F" – eine schneidende Akkuratesse. Die verliert sich nicht. Die Musik schwimmt nicht. Eben ganz anders als im nicht ganz auskomponierten Jazz, bei dem Interpret und Komponist dieselbe Person sind. Bei Gershwin bleibt die Partitur präsenter. Und das Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin zieht mit: Scharf, auf den Punkt.

Harmonisch geerdete Symphonik in Mason Bates' Klavierkonzert

Trifonov hört in den USA nicht nur Jazz. Filmmusik, Minimal und auch Neue Musik gehören für ihn ebenfalls zu seiner Wahlheimat. Und so spielt er das verloren tropfende und dennoch fast romantische Thema aus Thomas Newmans Soundtrack zu "American Beauty". Die stürmende Lust an neuer, harmonisch geerdeter Symphonik in Mason Bates' Klavierkonzert. Die grandios vereinzelnde und den zweiten Satz aus Beethovens 7. Symphonie umspielende "Fantasia on an Ostinato" von John Corigliano. Oder die kleinen Ahnungen eines Tangos in Aaron Coplands sperrigen "Piano Variations".

Moderne Musik muss nicht sperrig sein

"My American Story – North" ist ein klassisches Album eines klassischen Interpreten. Mit dessen feinem Gespür für das, was die jeweilige Musik braucht: Artikulation, Präzision und vor allem Lust am Spiel. Ein bisschen mutig auch, wenn es mit John Cages "4:33" endet. Reine Stille gibt es nicht, man hört in dieser Live-Version die Unruhe des Publikums – das Stück war einst Zugabe von Trifonov. Doch selbst Cages Avantgarde ist ja eigentlich heute ein Klassiker. Und das ist vielleicht der interessanteste Aspekt dieses Albums: Trifonov zeigt, dass die Musik der Moderne nichts Sperriges, nichts für die Nische sein muss. Sondern mittlerweile zum klassischen Kanon gehört – dass sie so gespielt werden kann und auf diese Weise auch großartig, sinnlich und direkt klingt.

Infos zur CD

Daniil Trifonov: "My American Story – North"

Art Tatum:
"Cover the Waterfront"
George Gershwin:
Klavierkonzert in F
Aaron Copland:
Piano Variations
Victor Young / Bill Evans:
"When you fall in Love"
John Adams:
"China Gates"
John Corigliano:
Fantasia on an Ostinato
David Grusin:
"Memphis Stomp" aus "The Firm"
Thomas Newman:
"American Beauty"
Mason Bates:
Klavierkonzert
John Cage:
4'33"

Daniil Trifonov (Klavier)
Philadelphia Orchestra
Leitung: Yannick Nezet-Seguin

Label: Deutsche Grammophon


Sendung: "Piazza" am 12. Oktober 2024 ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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