"Fast wäre es nichts geworden mit diesem Album", schreibt Hilary Hahn in einem sehr persönlichen Booklet-Essay zu ihrem neuen Album. 2019 hatte die damals 40-jährige Amerikanerin ein Sabbatical eingelegt – nichtsahnend, dass ein Jahr später Corona den gesamten Musikbetrieb lahmlegen würde. Zusammen mit dem hr-Sinfonieorchester unter seinem kolumbianischen Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada hat sich Hilary Hahn 2021 ins Licht der Öffentlichkeit zurückgekämpft. Unter dem Titel "Eclipse – Finsternis" vereint das Album Violinkonzerte von Antonín Dvořák, Alberto Ginastera und Pablo de Sarasate.
Bildquelle: Deutsche Grammophon
Der CD-Tipp zum Anhören
Es war zum Verzweifeln: In der Corona-Krise hatte Star-Geigerin Hilary Hahn ihr ganzes Selbstvertrauen verloren. Weil sie komplett aus der Übung gekommen war: keine Proben, keine Auftritte mehr. Die geplante Aufnahme des Violinkonzerts von Antonín Dvořák hatte sie schon absagen wollen – da ermutigte sie ein vertrauter Dirigent, Andrés Orozco-Estrada. Mit seinem hr-Sinfonieorchester hat er ihr den Boden bereitet für Dvořáks zauberhafte Melodien und seine folkloristischen Tanz-Rhythmen. Etwas schwerfällig und harsch, mehr an Dvořáks Mentor Brahms erinnernd, kämpft sich Hilary Hahn durch den böhmischen Volkstanz Furiant – wo Leichtigkeit und Esprit gefordert wären.
Dieses Album muss man haben, weil …
… man hier Hilary Hahns künstlerischen Befreiungsschlag aus der Corona-Krise eindrucksvoll mitverfolgen kann.
Dieses Album hat gefehlt, weil …
… Alberto Ginasteras kompromisslos modernes, farben- und gestenreiches Violinkonzert eine Repertoire-Lücke auf dem CD-Markt schließt.
Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil …
… sich Hilary Hahn mit Haut und Haaren in die kühnen Klangwelten von Ginastera stürzt.
Dieses Album lädt ein zum …
… Mitwippen bei den unsterblichen Melodien aus Bizets "Carmen".
Der Komponist Alberto Ginastera | Bildquelle: bach-cantatas.com Der künstlerische Befreiungsschlag gelingt Hilary Hahn dann mit dem kühnen Violinkonzert des Argentiniers Alberto Ginastera, das dank ihrer atemberaubenden Virtuosität zum Hörabenteuer wird. 1963 von Leonard Bernstein mit dem Geiger Ruggiero Ricci in New York uraufgeführt, ist der Solopart nur so gespickt mit technischen Gemeinheiten – und oftmals gegen das große Orchester gesetzt. Im nachtschwarzen Adagio bietet Ginasteras raffinierte Komposition Momente traumverlorener Schönheit, die an Alban Bergs Violinkonzert erinnern – Hilary Hahn kostet sie mit ihrem herben Ton intensiv aus. Alberto Ginasteras Violinkonzert ist ein originelles Formkunstwerk, das mit einem schattenhaften Scherzo und einem wahnwitzigen Perpetuum mobile endet. Mit viel Percussion greift er indigene Klänge aus Südamerika auf – und erweist nebenbei auch noch Paganini seine Reverenz.
Mit der "Carmen-Fantasie" von Pablo de Sarasate, arrangiert aus den größten Hits der Bizet-Oper, hat sich Hilary Hahn nach der Corona-Zwangspause endgültig freigeschwommen. Sarasates violinistische Drahtseilakte bewältigt sie mühelos – und hat hörbar auch noch Spaß daran. Schmissig und einfühlsam begleitet vom hr-Sinfonieorchester unter Andrés Orozco-Estrada, überwindet Hilary Hahn mit Verve die Sonnenfinsternis, die ihrem Album "Eclipse" den Namen gegeben hat.
Hilary Hahn – "Eclipse"
Antonín Dvořák:
Violinkonzert a-Moll op. 53
Alberto Ginastera:
Violinkonzert op. 30
Pablo de Sarasate / Georges Bizet:
"Carmen-Fantasie" op. 25
Hilary Hahn (Violine)
hr-Sinfonieorchester
Leitung : Andrés Orozco-Estrada
Label: Deutsche Grammophon
Sendung: "Piazza" am 15. Oktober 2022 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK