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Filmtipp: "Lara" Vom Abgrund zwischen Mutter und Sohn

Sieben Jahre hat es gedauert, bis sich Regisseur Jan-Ole Gerster wieder an einen Film gewagt hat. Für "Oh Boy", sein Spielfilmdebüt, hagelte es Auszeichnungen. Unter anderem erhielt Gerster den Deutschen Filmpreis für sein Drehbuch. Genauso wie sein Hauptdarsteller Tom Schilling, der auch in Gersters neuem Film eine wichtige Rolle spielt. Nämlich einen Pianisten und Sohn der Hauptfigur: Die heißt Lara, genauso wie der Film – grandios gespielt von Corinna Harfouch.

Lara | Bildquelle: Studiocanal

Bildquelle: Studiocanal

Eine Frau an ihrem 60. Geburtstag, der just auf denselben Tag fällt wie das Konzert, das ihrem Sohn Viktor – gespielt von Tom Schilling – den Durchbruch bringen soll, als Pianist und Komponist. Doch der Sohn ist geflohen. Ausgerechnet vor ihr, die ihn jahrelang unterrichtet hat. Vor ihr und vor allem vor ihrem Urteil.

Tour de Force durchs Seelenleben einer Mutter

Lara | Bildquelle: Studiocanal Sohn Viktor (Tom Schilling) taucht vor der Mutter ab. | Bildquelle: Studiocanal Einen Tag lang folgt man Lara Jenkins durch Berlin. Eine Erzählform, die Gerster schon in "Oh Boy" praktiziert hat. Nur, dass man damals einem melancholischen Endzwanziger dabei zusehen konnte, wie der sein Leben an sich vorüberziehen lies, unfähig zuzupacken. Hier ist es eine Frau, die das Leben so verächtlich anpackt, dass es sich kaum entwickeln kann. Nicht bei ihr, und auch nicht in ihrer Nähe. Kein Wunder, dass Viktor verschwindet.

Corinna Harfouch spielt Lara grandios reduziert: streng, elegant, mit verhärmtem Blick. Ein wenig erinnert ihre Darstellung an Isabelle Hupperts Klavierspielerin aus Michael Hanekes gleichnamigem Film. Stark wirken hier die kleinsten Veränderungen: zum Beispiel, wenn Lara lächelt, die Zähne bleckt. Und sich ihre sonst steinerne Miene belebt. Freundlichkeit als Mittel, andere zu dominieren. Weich, geradezu unterwürfig wird sie, die ursprünglich auch Pianistin werden wollte, nur in der Begegnung mit ihrem alten Klavierlehrer.

Vieles bleibt angedeutet

Als Zuschauer ahnt man, dass man es hier mit dem zerstörerischen Urbild der Beziehung zwischen Mutter und Sohn zu tun hat. Jan-Ole Gerster verzichtet darauf, zu viel über seine Figuren und ihre Vorgeschichte zu erzählen. Vieles bleibt da der eigenen Einbildungskraft überlassen. Aber er ist unheimlich geschickt darin, Bilder und Begegnungen zu inszenieren, die die Interpretationslust anstacheln.

Bilder wie Gemälde

Lara | Bildquelle: Studiocanal Laras (Corinna Harfouch) Los ist die Einsamkeit. | Bildquelle: Studiocanal Dass Lara zum Beispiel sämtliche Restkarten für das Konzert aufkauft und verteilt, löst einen wahren Begegnungsreigen aus. Begegnungen mit Fremden und fremden Freunden, die erst zeigen, wie einsam diese Frau eigentlich ist. Gefangen und eingefangen in tableau-artigen statischen Shots, die ein bisschen an die Gemälde von Edward Hopper erinnern – dem großen Beobachter der Großstadteinsamkeit.

In großer Nähe, so fern, denkt man oft, wenn man ihr dabei zusieht, wie sie in Cafés und Restaurants herumsitzt, wie sie U-Bahnhöfe verlässt oder an Schaufenstern entlangläuft. Und obwohl alles an dieser Frau sich dagegen sträubt, entwickelt der Zuseher mit der Zeit doch Empathie für diese Lara, die so anschaulich macht, dass Überheblichkeit und Selbsthass manchmal nur unterschiedliche Seiten derselben Medaille sind. Und dass – frei nach Spiderman – große Urteilskraft mit großer Verantwortung einhergeht: Weil aus ihr auch die Macht erwächst zu verurteilen: sich und andere. Ein fantastischer Film.

"Lara"

Regie: Jan Ole-Gerster
Dauer: 1h 38m
u.a. mit Corinna Harfouch und Tom Schilling

Filmstart: 7. November 2019

Sendung: "Allegro", 7. November 2019, 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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