Prächtige Farben, exotische Instrumente, wortlose Völkerverständigung. Der Regisseur Morgan Neville porträtiert das vom Star-Cellisten Yo-Yo Ma gegründete Silk Road Ensemble. Die Kamera verfolgt die Musiker beim Kaffeekochen, beim Konzert, beim Video-Telefonat in die Heimat und springt mit Archivaufnahmen in die Vergangenheit.
Was bedeutet es, wenn man Musiker aus aller Welt zusammenbringt und mit ihnen ganz unvoreingenommen Musik machen will? Der Regisseur Morgan Neville geht in seiner Dokumentation "The Music of Strangers: Yo-Yo Ma & The Silk Road Ensemble" dieser Frage nach. Yo-Yo Ma, der US-amerikanische Cellist und Sohn chinesischer Eltern wurde früher oft kritisch beäugt, sein "grenzenloses" Musizieren kam nicht bei allen gut an:
Was ihr da mit unserer Musik macht, das ist nicht rein, das ist nicht echt. Kultureller Tourismus ist das!
Im Film hört man auch Stimmen, die sagen: "Was ihr da mit unserer Musik macht, das ist nicht rein, das ist nicht echt. Kultureller Tourismus ist das!" Heute rümpft keiner mehr die Nase über Yo-Yo Mas "Silk Road Ensemble". Seit 2000 gibt es diese "Kapelle von der Seidenstraße", die Musiker aus Asien, Afrika und Europa vereint.
Den Filmtitel kann man entweder mit "die Musik von Fremden" oder auch "die Musik von Ausländern" übersetzen. So, wie die historische Seidenstraße einst China mit Zentral- und Westasien verband, setzt auch Yo-Yo Ma auf interkulturellen Ideenaustausch. Im Silk Road Ensemble spielen - in wechselnder Besetzung - rund 60 Solisten aus über 20 Nationen. Im Film lernt der Zuschauer ein paar von ihnen kennen: Die galizische Dudelsackspielerin Christina Pato trifft auf die Chinesin Wu Man, die als eine der größten Virtuosinnen der Pipa-Laute gilt. Außerdem begegnen wir Klarinettist Kinan Azmeh aus Syrien und dem Iraner Kayhan Kalhor, der eine Art Stachelgeige, spielt. Sie treten als Botschafter des Friedens auf - bei ganz normalen Konzerten, bei Vorträgen und auch in Flüchtlingslagern.
In farbenfrohen Bildern erzählt der Film die Geschichte des Ensembles und geht mit ihm auf Tour. Oscar-Preisträger Morgan Neville rückt den Musikern vorsichtig, aber bestimmt auf die Pelle. Zum Beispiel in einer Szene zu Hause bei Kinan Azmeh: Während der Klarinettist arabischen Mokka zubereitet, fragt er sich, was "Zuhause" für ihn bedeutet. Für Kinan ist Heimat der Ort, den er mitgestalten will - ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. In diesem Kontext zeigt "The Music of Strangers" auch den siebenjährigen Yo-Yo Ma beim Konzert vor Jackie und John F. Kennedy - in einer für ihn neuen Heimat: Yo-Yo Mas Eltern - selbst bekannte Musiker - waren kurz zuvor von Paris nach New York gezogen.
Das erste, was ich in Amerika gelernt habe, ist, dass meine Erfahrung als Musiker rein gar nichts zählt. Null!
Als der Fidelspieler Kayhan Kalhor vom Iran in die USA kam, erwartete ihn ein deutlich schwererer Start: Im iranischen Nationalorchester hatte er, schon seitdem er 13 Jahre alt war, die Stachelgeige namens Kamantsche gespielt. Doch in Amerika nutzte ihm diese Erfahrung wenig, denn hier kannte dieses Instrument niemand. Also musste er erst einmal Taxifahren und Bedienen, um sich über Wasser zu halten. Heute kann Kalhor nicht mehr zurück in seine Heimat, weil er sich zu kritisch über sein Heimatland geäußert hat. Der einzige Kontakt zu seiner Frau im Iran besteht per Video.
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Bildquelle: © 2016 The music of strangers
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Was ist meine Rolle im Vergleich zu jemandem vor Ort, der friedlich demonstriert und vielleicht doch erschossen wird?
"Music of Strangers" ist ein schöner, ein inspirierender Film. Und er stimmt nachdenklich, denn er hält zwar das völkerverständigende Element des 'Silk Road Ensembles' hoch, verdrängt aber nie ganz den Zweifel. Morgan Neville feiert nicht das Musikbotschaftersein als die Lösung für die Krisen der Welt. Gerade dann, wenn es scheint, als wäre alles zu bunt und zu schön, kommen kritische Stimmen, wie die des Klarinettisten Kinan Azmeh. "Ich stelle die Rolle der Kunst und meine eigene in Frage: Was tue ich hier? Was ist meine Rolle im Vergleich zu jemandem vor Ort, der friedlich demonstriert und vielleicht doch erschossen wird?"
Das Silk Road Ensemble ist nicht auf der Suche nach einer allgemeingültigen Weltmusik, einem ununterscheidbaren Brei von musikalischen Einflüssen - im Gegenteil: Die Spanierin Cristina Pato betont, dass ihre kulturelle Herkunft sie immer prägen wird. An Yo-Yo Mas "Experiment" teilzunehmen, bedeutet für sie, ihre eigene Identität lebendig zu halten.
Regie: Morgan Neville
NFP / Filmwelt Verleihagentur
USA 2015
Im Kino seit 15.09.2016