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Sofa - Hörsaal - Alte Oper Erlebnisse mit Lachenmann

BR-KLASSIK Redakteure schildern ihre ganz persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Komponisten Helmut Lachenmann - anlässlich seines 80. Geburtstags am 27. November.

Helmut Lachenmann "80 Jahre Jubiläum" | Bildquelle: Astrid Ackermann

Bildquelle: Astrid Ackermann

Wir fragten, diskutierten und lachten

Meret Forster

"Ende der 1990er Jahre, HU-Berlin. Wir Studenten erwarten Helmut Lachenmann im „Tutorium Analyse Neue Musik“. Im Mittelpunkt: Lachenmanns „...zwei Gefühle...“, Musik mit Leonardo. Es ging ans Eingemachte. Lachenmann war dabei ganz locker drauf, performte den Text: : "'sch – ' – tromm – boli". Wir fragten, diskutierten und lachten. Hemmungslos. Mich hat das Stück dann nicht mehr losgelassen. Immer wieder höre ich es anders, entdecke Neues. Immer wieder ist es präsent, etwa vor drei Jahren im Stromboli-Urlaub oder letztes Jahr, als Lachenmann selbst den Sprecherpart an der Seite von Musikern des BR-Symphonieorchesters übernahm. Es bleibt ein großartiges Hörerlebnis."

Bernhard Neuhoff

"Mein Lachenmann-Moment fällt in die 80er Jahre, Frankfurt, Alte Oper. Die Musiker des Ensemble Modern, Helden meiner Jugend, spielen – nein: hecheln, kratzen, hauchen, schaben. Ueli Wiget, der coole Pianist im schwarzen Hemd, greift einen wundersamen Akkord im fortissimo. Von hinten nähert sich dem Steinway ein Kollege, es dürfte ein Bläser gewesen sein, klappt mit großer, entschlossener Geste den Deckel zu und wieder auf. Der Nachhall des Akkords bebt wie eine ab- und anschwellende Welle, ein fast psychedelischer Effekt: minimalistisches Klangtheater mit maximaler Wirkung, ausgelöst durch einen Flügel-Schlag."

Thorsten Preuss

"Interview. Er empfing mich in seinem Haus in Leonberg. Ein anstrengendes Wochenende lag hinter ihm. Im Dämmerlicht eines trüben Herbstnachmittags, bequem auf dem Sofa ausgestreckt, gab er ausführlich Auskunft über sein Werk, plauderte z.B. ganz entspannt über Pianissimo-Klänge, die die emotionale Wirkung eines Fortissimo haben können: „Wenn Sie über eine Wiese gehen und einer Weinbergschnecke aufs Haupt treten, gibt das nur einen ganz kleinen Knacks. Aber Sie haben eine Existenz ruiniert.“  Seither muss ich jedes Mal, wenn es unter meinen Schuhen knackt, an diesen Nachmittag zurückdenken…"

Helmut Rohm

Helmut Lachenmann und Salvatore Sciarrino | Bildquelle: Astrid Ackermann Helmut Lachenmann und Komponistenkollege Salvatore Sciarrino | Bildquelle: Astrid Ackermann "Nach jeder Begegnung mit Helmut Lachenmann fühlte ich mich angesteckt von seiner unprätentiösen, wachen, fast kindlichen Begeisterung für das, was hörbar werden und – Gleichnis für das Ganze – zur Struktur sich aufschaukeln will. Mit stets neu entflammbarer Freude auch am Wortspiel paraphrasierte er immer wieder gern seinen existenziellen Bezug zum ernsten Wesen der Kunst. Etwa mit folgender Formulierung: „Aber ich mache nicht Spaß, ich mache Ernst. Es macht mir viel mehr Spaß, ernst zu machen. Und das Moment, wo man anfängt ernst zu machen, da vergeht den Leuten dann der Spaß, und die sagen: ja Moment, zum Spaß möchte ich das nicht hören, der meint ’s ja Ernst. Und dann kommt sofort die Frage dazu, also: kann – das hat sich inzwischen weit verbessert – das ist doch gar keine Musik, wenn das Musik sein soll, dann ist der Konzertsaal nicht mehr mein Zufluchtsort, um von der Welt mich in ein Paradies zu flüchten. Ich sag: ja, natürlich nicht. Der Konzertsaal ist ein Ort von Abenteuer! Und von Entdeckungen."

Winrich Hopp, Künstlerischer Leiter der musica viva des Bayerischen Rundfunks

"Von Helmut Lachenmann lässt sich eigentlich nur in der Superlative sprechen: Seine Werke gehören zum Besten, was das 20. und 21. Jahrhundert hervorgebracht hat, seine so scharf- wie feinsinnigen Texte zum Anregendsten und Lesenswertesten, was über Musik geschrieben wurde. Und wir wollen seinen unvergleichlichen Humor nicht vergessen, seine Kunst des Schüttelreimens, die wie eine auf die Spitze getriebene Persiflage der Permutationskombinatorik serieller Musik anmutet, seine Freundlichkeit und Zugewandheit, mit der er seine Werke den Musikern, die sie einstudieren, und dem Publikum, das sie hört, zu vermitteln weiß. Er sei "finster entschlossen, heiter zu sein", sagt er von sich und bringt damit sich und seine Musik unüberbietbar selbst auf den Punkt. Am 27. November wurde Helmut Lachenmann, dieser grosse Komponist, dieser wunderbare Zeitgenosse 80 Jahre alt. Herzliche Glückwünsche aus München von der musica viva und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks!"

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