Trotz Krieg und Beinahe-Todesurteil: Bariton Heinz Maria Lins durfte am 25. November seinen 100. Geburtstag feiern. Mit "Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren" oder als Domkapellmeister im "Schwarzwaldmädel" sang er sich in die Herzen eines breiten Publikums. Und heute noch gibt er während einer Taxifahrt auch mal kostenlos eine Probe seines Könnens.
Bildquelle: BR/Nadja Pfeiffer
BR-KLASSIK: Wir freuen uns, dass Sie eine Woche vor Ihrem 100. Geburtstag zu uns ins Studio gekommen sind. 100 Jahre - mir fällt bei dem Alter auf, dass einige Operettensänger - Johannes Heesters, Martha Eggert - sehr alt geworden sind. Hält das Singen jung?
Heinz Maria Lins: Anscheinend ja. Man muss tanzen und sprechen und singen! Die Opernsänger sagen ja meistens, sie haben sehr viel gelernt bei der Operette. Das Sprechen und das Tanzen, das hat gelockert.
BR-KLASSIK: Ich habe gelesen, dass Sie ja gar nicht vorhatten, Sänger zu werden, sondern Medizin studiert haben.
Heinz Maria Lins: Ja. Das stimmt. Das habe ich ein paar Semester gemacht, was mir während des Kriegs zu Gute kam. Ich wurde zur weiteren Ausbildung nach Garmisch-Partenkirchen geschickt, in ein Lazarett. Dort habe ich gearbeitet und hatte einen Schutzengel, der mich führte. Ich habe ein Buch geschrieben: Das Hohe Lied meines Kriegsschutzengels. Ich musste in Garmisch Schädel öffnen und Hirn wiegen, was sonst nur der Chirurg macht.
Am Sonntag, 27. November um 21.05 Uhr auf BR-KLASSIK ist Heinz Maria Lins Interview-Gast im Studio.
Der Schutzengel klingelte mit dem Telefon.
BR-KLASSIK: Sie waren als Medizinstudent also Sanitäter während des Krieges?
Heinz Maria Lins: Ja. Und da hab ich sehr vielen helfen können. Und am Schluss der Krieges kam ich nach Altötting. Zuvor wurde ich zum Tode verurteilt durch Erschießen. Ich hatte meinem Bruder unter seiner Militärnummer einen Brief geschrieben, der geöffnet wurde. Darin schrieb ich: "Es dauert nicht mehr lange. Ich hab' gehört, die sind in Süditalien und fangen schon mit dem Frieden an." Da ist dann der Hauptfeldwebel gekommen und hat gesagt: "Sofort Schluss mit Ihnen. Ich kann Sie erschießen! Aber Sie sind mir aus München zugeteilt worden", da musste ich nach München. Und dort schrie mich der zuständige Hauptfeldwebel an und der Stabsarzt schaute, ob ich meine Stiefel geputzt habe. Und da kam der Schutzengel: Der klingelte das Telefon und der Hauptfeldwebel ging raus. Der Stabsarzt sagte: "Haben Sie nicht gesehen, was der für Auszeichnungen hat? Der kann Sie erschießen ohne einen Richter zu fragen. Ich kann mal schauen, ob ich die Sache an mich ziehen kann". Es gab ein Hin und Her und ich hatte Angst, Angst, Angst. Es hieß dann: "Packen Sie sofort ein, Sie werden versetzt nach Altötting". Das war ein Riesenlazarett, wo ich noch vielen Menschen helfen konnte.
Für monatlich 320 Mark bekam ich einen Vertrag. Das war damals eine große Sache!
BR-KLASSIK: Wir wollen jetzt aber zum Gesang kommen. Sie studierten ja auch Gesang.
Heinz Maria Lins: Aha. Also mit dem Gesang war es folgendermaßen. Es gab mal an der Hochschule eine Anzeige: Studenten, die meinten, dass sie singen können, sollten sich am Staatstheater am Gärtnerplatz melden. Wir wollten bei der nächsten Premiere einen Studentenchor machen. Ein Freund sagte: "Da gehst Du hin! Du gehst mit mir". Also ging ich hin und sang irgendetwas. Da sagte der Pianist nach den ersten paar Tönen: "Übermorgen um 10.00 Uhr ist die erste Probe". Da bin ich hin und hab das gemacht im Studentenchor. Und jetzt kommt die Überblendung. Zehn Jahre später, 1947, ging ich in der Karlsstraße als einer sagte "Hallo, Sie sind doch der Bariton von unserem Studentenchor damals. Der Lins, gell? Ich hab inzwischen meinen Doktor gemacht und bin jetzt Chef von der Münchner Opernbühne. Ich möchte dich als Bariton haben." Ich: "Naja, kann ich machen." Er: "Nein, nicht 'kann ich machen'. Morgen Vormittag bist du bei mir in Pasing und singst vor.“ Ich sang also vor. Oper natürlich. Für monatlich 320 Mark bekam ich einen Vertrag. Das war damals eine große Sache!
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"Schwarzwaldmädel"
Lins als Domkapellmeister mit Freia Lahn | Bildquelle: Privatarchiv Lins
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"Schwarzwaldmädel"
Lins als Domkapellmeister mit Kurt Pratsch-Kaufmann | Bildquelle: Privatarchiv Lins
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"Schwarzwaldmädel"
Lins als Domkapellmeister mit Monika Dahlberg | Bildquelle: Privatarchiv Lins
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"Schwarzwaldmädel"
Lins als Domkapellmeister | Bildquelle: Privatarchiv Lins
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"Der liebe Augustin"
Bildquelle: Privatarchiv Lins
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"Der fidele Bauer"
Bildquelle: Privatarchiv Lins
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Karikatur
Bildquelle: Privatarchiv Lins
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Lins bei einer Studioaufnahme
Bildquelle: Privatarchiv Lins
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"Zar und Zimmermann"
Lins als Zar Peter | Bildquelle: Privatarchiv Lins
BR-KLASSIK: Aber Sie haben dann hauptsächlich Rundfunk gemacht und da auch Operette.
Heinz Maria Lins: Da kamen dann die Berliner Schallplattenproduzenten. Was hab' ich da an Operetten aufgenommen. Mit guten Preisen - 1.500 Mark. Das war ein unerhörtes Geld.
Als ich verheiratet war, habe ich keine andere mehr angefasst. Aber das ist mir sehr schwer gefallen.
BR-KLASSIK: Wir haben eine Aufnahme im Archiv mit Ihnen und Sári Barabás. Die Frauen werden Sie ja auch geliebt haben?
Heinz Maria Lins mit Frau Angelika Wolff | Bildquelle: BR/Nadja Pfeiffer Heinz Maria Lins: Ja, da war ich sehr vorsichtig. Habe immer gesagt: "Sagen sie niemandem meine Zimmernummer". Sowas hab ich nicht gemocht. Natürlich: Ich hab die Frauen nicht verachtet. Da waren schon ein paar Frauen dabei. Die habe ich gern gemocht. Als ich verheiratet war, habe ich keine andere mehr angefasst. Aber das ist mir sehr schwer gefallen.
BR-KLASSIK: Sie haben den Domkapellmeister im "Schwarzwaldmädel" 1.600 Mal gesungen. Mag man den Domkapellmeister nach so vielen Vorstellungen noch?
Heinz Maria Lins: Ja, ich habe ihn gern gesungen. Und ich bin viel mit ihm rumgereist. Es ist die große Gefahr, wenn man so Touren macht, dass die Leute abspannen, wenn es nur ein paar Mal einen Wechsel gibt. Und bei so einem Wechsel in Zürich haben wir uns kennengelernt, meine Frau und ich. Da sprang sie als Malvine eine. Da hab ich ihr gesagt: "Sie müssen an der Stelle das und das machen." Woraufhin sie sagte: "Ich weiß schon, was ich machen soll!" "Ohoh", hab‘ mir gedacht, "na mach‘, was du willst.“ Aber es ging großartig und es ist bis heute eine Wucht. Da bin ich dem Herrgott dankbar dafür.
Ich dachte, dann sing' ich halt so ein Ding.
BR-KLASSIK: "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren" ist ja ein Hit von Ihnen gewesen.
Heinz Maria Lins: Ja. Das war ganz am Anfang, als ich Geld brauchte. Wirklich. Da dachte ich, "sing ich halt so ein Ding". Das war vielleicht verkehrt. Aber ich stehe heute noch hinter diesen Aufnahmen. Die sind sehr gut geworden vom Orchester.
BR-KLASSIK: Sie waren ja öfter ein Stimmdouble im Film - etwa bei Hans Clarin bei Don Giovanni.
Heinz Maria Lins: Ja, bei Operetten. Bei einer Aufnahme kam der Chef von Köln, stellte sich hin und ich hab gesagt: "Nix dirigieren. Ich hab Augen, ich kann lesen. Ich habe Ohren, ich kann hören, was sie machen. Und die Präzision ist in mir drin." Und dann hab ich die Aufnahme gemacht ohne eine Stockung. Da sagte er: "Ja, Herr Lins, dass sie eine Stimme haben, hab' ich gewusst, aber dass sie so musikalisch sind, das ist mir neu. Wir werden noch viel zusammen arbeiten“. Doch er ist nach zwei Jahren gestorben. Aus wieder. Ich habe furchtbar viel Pech gehabt.
BR-KLASSIK: Nach wie vor haben Sie große Lust am Singen. Sie haben sogar heute dem Taxifahrer ein Lied vorgesungen.
Heinz Maria Lins: Ja. Er hat gesagt: "Was machen Sie denn da?" Da hab' ich gesagt: "Hab' da viel gesungen." "Sie können singen!? Singen sie doch was vor!“ meinte der Taxifahrer. Ich hab' gesagt, "Sie brauchen nix zu bezahlen". Ist sehr lustig gewesen. (Lins singt "Schade, dass Liebe ein Märchen ist …“)
BR-KLASSIK: Und Sie sind ein Spezialist für Wiener Lieder. Wie kommt das? Es gibt eine Wienerlied-Platte.
Das Wort Neid ist das schlimmste Wort auf der Welt!
Heinz Maria Lins: Ich habe selbst viele geschrieben. Viele für Toni und Vroni. Manche Zeile verleitete mich zum Schreiben. Der große Robert Stolz hat mich mal nach Wien geholt, um mit ihm eine Operette aufzunehmen. Und er fragt mich: "Aus welchem Hieb sind Sie?", also aus welcher Vorstadt. "Ich bin ein Münchner." "Und Sie sind so gut angeschrieben bei uns?" Ein echter 'Weaner' geht nicht unter. Aber ein echter Bayer schon. Er hat Heinrich Franz Lins geschrieben. So bin ich getauft. Habe mir zwei Falschnamen genommen.
Ich dachte mir: Neid. Neid. Das Wort Neid ist das schlimmste Wort auf der Welt! Aus dem Wort Neid ist jeder Krieg entstanden, jede Nachbarschaftsfeindschaft. Die haben einen größeren Wagen, einen schöneren Baum. Die haben drei Kinder, wir nur zwei. Aufrüsten, damit wir haben, was die haben. Neid. Der Herrgott hat uns die Welt gegeben und jetzt macht, was ihr verantworten könnt. Was die alles verantworten können - einen schönen Gruß!
Die Fragen stellte Stefan Frey für BR-KLASSIK.
Am 25. November 1916 kam Heinz Maria Lins in München zur Welt und wuchs in einer musikalischen Familie auf. Nach dem Abitur studierte er zunächst Medizin und nach dem Krieg Gesang. Heinz Rühmann, ein Freund der Familie, überredete ihn jedoch zur "Leichten Musik". Mit zahlreichen Schallplatteneinspielungen und Rundfunksendungen wurde er bei einem breiten Publikum beliebt. Auf der Musikbühne stand ihm besonders der Domkapellmeister Blasius Römer im "Schwarzwaldmädel" nah, den Lins ungefähr 1.600 Mal spielte. An die 900 Mal verwandelte er sich in den "Fidelen Bauern", über 60 Mal in den Leopold im "Weißen Rössl" und rund 50 Mal in den "Lieben Augustin". In zahlreichen Filmen sang er "hinter der Leinwand" für Schauspieler wie Dieter Borsche oder Hans Clarin. Im Theater, darunter auch im Theater am Gärtnerplatz, gab er den René in "Madame Dubarry" und den Spielmeister Obolski in "Feuerwerk". Darüber hinaus hat Heinz Maria Lins etwa 600 Lieder komponiert und getextet.