Am Sonntagvormittag spielt Olga Scheps zusammen mit den Münchner Symphonikern Chopins Erstes Klavierkonzert in der Philharmonie im Gasteig. Im BR-KLASSIK-Interview spricht die russische Pianistin über Gefühle auf der Bühne, Gänsehautmomente beim Musikhören und die sängerische Seite ihres Instruments.
Bildquelle: Uwe Arens / Sony Music
BR-KLASSIK: Olga Scheps, Sie werden am Sonntag das Erste Klavierkonzert von Frédéric Chopin spielen. Wie stark sind Sie bei Chopin als "Sängerin am Klavier" gefordert?
Olga Scheps: Bei Chopin ist das Singen ein sehr wichtiger Punkt. Die Melodien von ihm ähneln sehr einer Phrase, die ein Sänger singt: Sie beginnt und endet so, wie ein Sänger mit einem Atem diese Phrase gesungen hätte. Man kann also diese Stücke ganz leicht auch mit der Stimme nachsingen, das fühlt sich sehr natürlich an. Und ich denke, dass dieses Gesangliche bei Chopin die Musik auch so wunderschön macht, weil wir Menschen von Natur aus darauf gepolt sind, die menschliche Stimme direkt wahrzunehmen und darüber zu kommunizieren. Die menschliche Stimme ist das, was uns nicht nur Informationen austauschen lässt, sondern eben Emotionen, Gefühle und Situationen. Eine Stimme kann so viel vermitteln! Grundsätzlich ist es ein sehr wichtiger Punkt für einen Pianisten, dass man das Klavier - das ja eigentlich ein Schlaginstrument ist - versucht in ein singendes Instrument zu verwandeln.
BR-KLASSIK: Singen Sie denn manchmal auch für sich mit?
Olga Scheps: Ich singe nicht offen mit meiner Stimme, sondern ich habe eine Art innere Stimme, die mir dabei hilft, eine Phrase aufzubauen. Beim Spielen habe ich manchmal das Gefühl, ich würde mitsingen, aber meine Stimme sind dann die Hände und nicht meine Stimmbänder.
Meine Stimme sind die Hände und nicht meine Stimmbänder
BR-KLASSIK: Hört denn die Haut auch mit? Oder ist das Hören nur auf die Ohren beschränkt?
Olga Scheps: Wenn ich im Konzert sitze und die Musik mich berührt, bekomme ich schon manchmal Gänsehaut - da spüre ich auch, dass es eben nicht nur die Ohren sind, die das miterleben.
BR-KLASSIK: Das heißt, dass die Haut eigentlich auch Ohren hat.
Bildquelle: Ira Weinrauch Olga Scheps: Ja, Musik ist viel mehr, als einfach nur ein Geräusch für die Ohren. Im Idealfall ist Musik etwas, was uns mitreißt, nachdenken lässt, Erinnerungen hervorruft. Gerade ein Livekonzert kann schon ein sehr großes Erlebnis sein. Und für mich ist das auch jedes Mal etwas Neues, denn jedes Konzert ist irgendwie unterwartet. Ich kann nicht eine Interpretation von einem Abend auf den nächsten Abend übertragen. Sehr viele Dinge beeinflussen so einen Auftritt: die Stimmung im Saal, die Beleuchtung, die Tageszeit. Für mich als Musikerin ist es so, dass ich sehr viel von dem, was mich persönlich beschäftigt, durch die Musik verarbeite. Ich bin wirklich ein riesengroßer Live-Fan!
BR-KLASSIK: Sie werden am Sonntag um 11 Uhr vormittags spielen. Hat das irgendeinen Einfluss, wenn man am Vormittag ein Konzert spielt? Oder ist das genauso wie am Abend?
Olga Scheps: Ich bin eher ein abend- und nachtaktiver Mensch und ich muss schon sehr diszipliniert sein, damit ich früh genug ins Bett gehe, wenn ich am nächsten Tag sehr früh aufstehen muss für die Probe usw. Ich finde aber, dass die Konzerte morgens manchmal eine etwas lockerere Stimmung haben. Das ist ein besonderes Gefühl, wenn man sich ein Konzert anhört oder ein Konzert spielt, und dann geht man raus - und es ist hell! Wenn ich abends ein Konzert spiele, dann gehe ich auch sehr spät ins Bett, weil ich danach noch sehr aufgedreht bin. Ich kann nicht nach einem Konzert direkt schlafen gehen, ich bin dann noch länger wach.
Es reicht, wenn ich die Augen schließe und das Stück einfach auf mich wirken lasse.
BR-KLASSIK: Sie sind ziemlich experimentierfreudig, was Konzertorte angeht. Im letzten Jahr haben Sie in Köln auf der Domplatte gespielt und in Hamburg auf dem Reeperbahn-Festival. Das sind Konzerte, die auf ein Publikum treffen, das vielleicht sonst nicht so gern ins Konzert geht. Was nehmen Sie aus solchen Ereignissen für Ihr Spiel mit?
Olga Scheps: Ich kenne keinen, der Klassik nicht mag. Ich kenne nur Menschen, die sagen, "Ich habe damit bisher nicht so viel Berührung gehabt." Aber eigentlich ist Klassik etwas, das alle schön finden. Es sind ja 500 Jahre voll mit verschiedenen Musikrichtungen: In der Klassik gibt es Stücke, die rocken, die sind Rock’n’Roll, die sind Hip-Hop (lacht). Da ist für jeden Menschen etwas dabei. Ich finde, man muss auch kein Megaexperte sein und sich mit jedem Stück auskennen - wann es geschrieben wurde oder sonst etwas. Ganz oft reicht es, wenn ich die Augen schließe und das Stück einfach auf mich wirken lasse. Und das ist es, worum es mir geht.
Das Interview für BR-KLASSIK führte Sylvia Schreiber.
Ludwig van Beethoven: Ouvertüre zu "Egmont" op. 84
Frédéric Chopin: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e-Moll op. 11
Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 5 c-Moll op. 67
Münchner Symphoniker
Olga Scheps, Klavier
Florian Ludwig, Leitung
Philharmonie im Gasteig, Sonntag, 12. Februar 2017, 11 Uhr