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Der Choreograph John Neumeier "Tanz ist eine lebendige Kunst"

Am 26. März tritt John Neumeiers Bundesjugendballett im Münchner Prinzregententheater auf. Im Interview erzählt der berühmte Choreograph über den Unterschied zwischen großen und kleinen Ballettkompanien, die Kreativität des Tanzens und die Wichtigkeit des Teamworks.

Bildquelle: © Kiran West

Aktuelles Interview

Der Choreograph John Neumeier

BR-KLASSIK: Sie haben heute Premiere mit "Anna Karenina" im Moskauer Bolschoi-Theater, dann kommen Sie nach München, um mit dem Bundesjugendballett im Prinzregententheater hier in München zu sein. Wie schalten Sie innerhalb so kurzer Zeit um?

John Neumeier: Ich habe zwei wirklich sehr gute Mitarbeiter. Denn das Bundesjugendballett wird hauptsächlich von Kevin Haigen und Yohan Stegli geführt, geprobt, gedrillt. Insofern ist für mich in Bezug auf das Bundesjugendballett alles schon toll vorbereitet.

Zwei tänzerische Welten

BR-KLASSIK: Wie ist die Arbeit beim Bundesjugendballett, wenn sie sie mit der Arbeit mit dem Bolschoi-Theater vergleichen - ist das derselbe Anspruch an die Tänzer?

Bundesjugendballett - Petruschka-Suite | Bildquelle: © Silvano Ballone Bundesjugendballett: "Petruschka-Suite" | Bildquelle: © Silvano Ballone John Neumeier: Nein, es ist eine andere Welt, würde ich sagen - nicht nur eine andere Art zu arbeiten. Wenn sie einmal mit dem Bolschoi-Ballett gearbeitet haben, mit den 250 Tänzern, und dann haben wir unsere acht Tänzer des Bundesjugendballetts … Das Tolle beim Bundesjugendballett ist: Es sind acht gleichermaßen kreative Künstler - sehr gut ausgebildete Tänzer, ausgezeichnet in ihrer Technik. Noch stärker zeichnet sie aber ihre Liebe und Interesse zur Kreativität aus. Sie müssen nicht nur nachtanzen, sondern selbst neue Dinge erfinden - auch Kostüme. Und das ist genau das Gegenteil vom Bolschoi-Theater: Hier arbeiten jeden Tag ungefähr 2.000 Menschen, um zu sehen, dass eine Vorstellung stattfindet.

Tanz wird durch das Instrument Mensch ausgeführt.
John Neumeier

Texte können verändert werden

BR-KLASSIK: Weil Sie jetzt das Kreative beim Bundesjugendballett betont haben: Ich stelle mir vor, das sind junge Leute, die mit ihren Ideen kommen. Es ist ja oft so, dass junge Leute alles verändern. Ich frage mich, ob die eigentlich auch Ihre Choreographien verändern, wenn sie die tanzen?

John Neumeier: Natürlich, mit ihrer Persönlichkeit. Tanz wird immer verändert, da er eine lebendige Kunst ist. Tanz wird durch das Instrument Mensch ausgeführt und jeder Mensch ist anders. Insofern – der gleiche Text, der gleiche Tanztext  sozusagen, getanzt von anderen Menschen, wird verändert. Und wenn ich das Ergebnis sehe, dann ändere ich es noch mehr. Für mich ist es noch schöner, da ich ein lebender Choreograph bin - und deshalb in der Lage, die Dinge zu ändern. Aber die Hauptsache für das Bundesjugendballett ist es nicht, meine Choreographie zu tanzen. Wichtig sind auch die Werke anderer, junger Choreographen - und die eigenen Kreationen der Tänzer.  

BR-KLASSIK: Bei dem Auftritt hier in München geht es aber auch um Höhepunkte aus Ihrem Repertoire. Haben Sie ein Beispiel dafür, wie Ihre Choreographien durch andere Tänzer weiterentwickelt werden?

John Neumeier: Das Stück, das sie zeigen, heißt "Johns Dream". Das ist ein Stück, wo teilweise auch gesprochen wird. Sie sprechen über mein Konzept für dieses Ballett, und es sind nur Fragmente meiner Werken dabei. Es ist kein ganzes Ballett von mir. Die hauptsächlichen Ballette, die in München gezeigt werden, stammen von jungen Choreographen und von den Tänzern selbst.

Ich stehe nicht für Drill.
John Neumeier

Probe heißt Kooperation

BR-KLASSIK: Wie sehen Sie überhaupt im Kontakt mit den jungen Menschen im Bundesjugendballett ihre Rolle als Choreograph? Sie haben ganz am Anfang unseres Gespräches das Wort "gedrillt" benutzt - und damit verbindet man ja vor allem Strenge.

John Neumeier: Da habe ich das falsche Wort gewählt. Denn ich stehe, seit ich Ballettdirektor bin, nicht für Drill. Bei einer Probe geht es eigentlich um Kooperation - es ist nicht so, dass ein Diktator vor den Tänzern steht und sie anschreit. Ich habe das Wort nur gewählt, weil mir in dem Moment nichts Besseres eingefallen ist.

BR-KLASSIK: Bei Dirigenten gibt es eben ja auch so eine Verwandlung: weg von dem, der vorne steht und sagt, wie es gemacht wird, hin zu einer Offenheit und vielleicht auch Teamwork. Das scheint dann beim Ballett genauso zu sein.

Bundesjugendballett - Songbook | Bildquelle: © Silvano Ballone Bundesjugendballett: "Songbook" | Bildquelle: © Silvano Ballone John Neumeier: Ballett und Choreographie funktionieren vor allem im Team. Wenn man eine Choreographie macht, ist man ständig im Dialog: Der Choreograph hat so eine gewisse Vision in seinem Kopf, die er im Dialog mit Anderen realisieren muss. Und die Tänzer müssen sein Spiegel sein - es sei denn, dass er etwas für sich selber macht. Aber normalerweise ist das nicht so, und bei mir auf gar keinen Fall. Insofern bin ich sehr angewiesen auf die kreative Mitarbeit der Anderen, wenn ich choreographiere. Das heißt nicht, dass ich sie jetzt bitte zu improvisieren, aber ich kann etwas zeigen, was ich mir als Bewegung vorstelle.

BR-KLASSIK: Eigentlich ein sehr schöner Beruf, den Sie haben, Herr Neumeier.

John Neumeier: Ich denke auch. Und außerdem es ist ein Privileg.

John Neumeiers Bundesjugendballett in München

Montag, 26. März 2018, 19:30 Uhr
München, Prinzregententheater

Infos zum Programm und zum Vorverkauf finden Sie hier.

Sendung: "Leporello" am 23. März 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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