Ein ganzes Museum als Orchesterbühne: Mit seiner Musik-Installation "Symphony 80" interpretiert der Komponist Ari Benjamin Meyers das Orchester neu - und die Musiker werden zu bewegten "Objekten" im Raum. Eindrücke von der Performance im Münchner Lenbachhaus.
Bildquelle: BR/Julia Müller
Sonntagabend. Foyer im Münchner Lenbachhaus. Die Szene: impressionistisch. Von der Decke schraubt sich das Wirbelwerk von Ólafur Elíasson in den Raum. Ein riesiger, spiralförmiger Tropfstein, aus Glas und Metall, der in der Abendsonne glitzert, als würde er von innen heraus leuchten. Und darunter nimmt das musikalische Finale langsam Fahrt auf. Immer mehr Musiker versammeln sich im Erdgeschoss. Stimmen mit ein. Lassen den Sound anschwellen. Bis der Klang den ganzen Raum durchflutet. Auch die Galerie im zweiten Stock. Dort, wo der Reporter steht. Gefangen vom Schlusssatz von "Symphony 80".
Es geht nicht darum, was man hört.
Ginge es nach Ari Benjamin Meyers, dann müsste man anstatt von einem Schlusssatz wohl eher von einer Finissage sprechen. Denn tatsächlich ist das Klangbad im Foyer des Lenbachhauses nicht das Ende eines Konzerts, sondern einer vierstündigen Ausstellung. Um keine Verwirrung zu stiften: Meyers ist natürlich kein Kurator, sondern Komponist. Und als solcher auch verantwortlich für "Symphony 80". Allerdings gibt seine Komposition den Musikern nicht nur Noten vor, sondern auch eine Art Choreographie. Der Werktitel ist in diesem Fall ein wenig irreführend - "Symphony 80" ist weniger eine Symphonie als vielmehr eine raumgreifende Installation. Sie findet deshalb auch nicht im Konzertsaal, sondern im Museum statt.
So schön der heutige Konzertsaal sei, sei er doch ein Ort, wo das Orchester auf der Bühne stehe und der Klang perfekt sei. Die Perfektion verdecke aber den Schweiß, die Arbeit, die Power und die Tatsache, dass da Individuen musizieren. Das will Meyers durch das Ausstellen der Musiker brechen.
Die Perfektion verdeckt den Schweiß, die Arbeit, die Power.
Die Musik-Installation "Symphony 80" in Bildern
Zusammen zu hören und zu sehen sind die Musiker tatsächlich erst am Ende der vierstündigen Aufführung. Die meiste Zeit spielen sie verteilt in den Fluren und Galerien des gesamten Museums - einzeln oder in kleinen Gruppen. Sie werden so quasi zu Ausstellungsstücken: lebendige Readymades zwischen Beuys und Blauem Reiter. Auf der einen Seite befreit aus der Anonymität des Orchesters, auf der anderen Seite exponiert: von allen Seiten den Blicken der Besucher ausgesetzt. Das Orchester "würde aus seiner Schutzzone genommen", so der Komponist. Und wenn auch die Musiker viel Erfahrung mit neuer Musik hätten, so nah am Publikum zu sein, betrachtet von allen Seiten, sei dennoch außergewöhnlich für das Orchester und gleichzeitig für die Besucher. Mache es aber menschlich.
Man hat diese Eins-zu-eins-Begegnung.
Diese Wirkunsgsabsicht geht nicht ganz auf. Die Musiker stehen immerhin im Museum. Sie erscheinen als Readymades und man erlebt sie genauso unnahbar wie auf der Konzertbühne. Zumal sie uniformiert auftreten, in schwarzer Konzertkleidung. Sie bewegen sich nicht etwa im Raum, sondern stehen wie Statuen vor ihren Notenpulten. Den Blick unbeirrt auf die Partitur gerichtet.
Vielleicht war der Autor aber auch nur zur falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Hatte zu respektvoll vor dem Musiker verharrt, als gebe es ein Schild: Bitte nicht berühren. Nicht kommunizieren. Eine andere Ausstellungbesucherin kann den Eindruck jedenfalls nicht bestätigen: "Das hab' ich nicht erlebt. Ich hatte eher den Eindruck, als die kleinen Kinder es zwischendrin' befremdlich fanden, dass der Musiker auch kurz Kontakt zu ihnen aufgenommen hat. Sie waren dann wirklich in einem Dialog, das war schön zu sehen."
Musik ausstellen: So avantgardistisch das klingt, Ari Benjamin Meyers verbindet damit eigentlich ein - im ästhetischen Sinn - revisionistisches Interesse, nämlich zu zeigen, dass Musik nicht nur das ist, was wir hören, wie es uns sämtliche Musikkonserven von der Wachswalze bis zum Streaming vorgaukeln, ja, und auch die modernen High-Tech-Konzertsäle, denen die Akustik über alles geht - sondern, dass Musik zuallererst im Raum entsteht. In der Interaktion zwischen Menschen.
Sendung: Allegro, 27. Juni 2017 um 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK