Mit "Die Perlenfischer" von George Bizet hat Wim Wenders an der Staatsoper Berlin erstmals eine Oper inszeniert - am Samstagabend war Premiere. Unser BR-KLASSIK-Kritiker war wenig begeistert von der Regie-Arbeit des Filmemachers.
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Das soll vorkommen, dass zwei Männer sich blitzartig in ein- und dieselbe Frau verlieben! Die Freundschaft von Zurga und Nadir hält nur, weil sie einander versprochen haben, sich zeitlebens fern zu halten vom gemeinsamen Objekt ihrer Begierde - einer Hindupriesterin namens Leila. Als auffliegt, dass Nadir irgendwann wortbrüchig wurde, Leila längst seine Geliebte ist, reagiert Zurga mit Eifersuchtsanfällen. Doch er muss erkennen, dass ausgerechnet Leila ihm einst das Leben gerettet und er deshalb jetzt die Chance hat, sich zu revanchieren. So verhilft Zurga Leila und Nadir selbstlos zur Flucht.
"Flieht - sonst seid Ihr verloren!", so lautet die Botschaft der Oper, in Abwandlung eines Zitats der Choreografin Pina Bausch: "Tanzt - sonst seid Ihr verloren!". Kinogänger erinnern sich gerne an die Filmdokumentation von Wim Wenders über das Wuppertaler Tanztheater. Wie Menschen auf einer Bühne in einen spannungsvollen Bewegungsablauf zu bringen sind, hat Wenders bei dieser Gelegenheit allerdings keineswegs gelernt.
Vieles an seiner Inszenierung von "Les Pecheurs de Perles" wirkt irritierend dilettantisch. Seit Jahrzehnten überwunden geglaubte Retro-Stereotypen der Gestik dominieren bei Solisten und Chor. Bühnenbildner David Regehr hat eine requisitenlose, von schwarzen Vorhängen umgrenzte Spielfläche gebaut, deren Boden perlmuttfarbenen Sandstrand in mythischer Zeit- und Ortlosigkeit suggeriert.
Eine mal ruhig, mal bedrohlich wogende Meeresoberfläche wird erwartungsgemäß per Video zugespielt, mit genau dem 3-D-Touch, den Wenders bekanntermaßen liebt. Durch seine Lichtregie tritt er wohl unfreiwillig in die Fußstapfen eines anderen Autorenfilmers seiner Generation, der sich früher öfter im Operngeschäft tummelte: Werner Herzog!
"Sehnsuchtsmusik" ist das - nicht nur für Wim Wenders! Als Leila agiert die Russin Olga Peretyatko-Mariotti (jetzt mit Doppelnamen), aber man hadert mit ihr, weiß nicht recht, ob man sich über ihr interessantes Timbre freuen oder über ihr flackerndes Vibrato ärgern soll. Der von Donizetti und Gounod gleichermaßen beeinflussten Melodik Bizets spüren Nadir und Zurga immerhin mit Teilerfolgen nach: der sardische Tenor Francesco Demuro und der ungarische Bariton Gyula Orendt.
Die Staatskapelle Berlin lässt unter Daniel Barenboim erkennen, welchen instrumentatorischen Ehrgeiz der 24-jährige Komponist der "Perlenfischer" besaß - lange vor dem Geniewurf "Carmen". Zu wenig differenziert Barenboim die "féminité", die Weiblichkeit des Tonfalls: die lyrische Empfindsamkeit der Musik. Ein interpretatorisch auf allen Ebenen schwer enttäuschender Abend.
Sendung: "Allegro" am 26. Juni 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK.
Kommentare (2)
Sonntag, 02.Juli, 11:43 Uhr
Detke Ka
Das Gegenteil von düster heisst düsterer!
Es ist wahr. Lieber Herr Wenders, wenn Sie dieses lesen: Warum nur schämten Sie sich des schlichten Librettos? Die Reduktion dieser Erzählung bis in triviale Tragödienhaftigkeit in Kombination mit der fehlenden und widersprüchlichen Verortung in Zeit und Raum sagt uns: Zeit spielt in der Liebe keine Rolle. Große Liebesgeschichten entziehen sich jeder mathematischen Logik. Die düsteren Rückblenden in der traurig vergilbten Inszenierung sind für die Wissenden bestenfalls heiterkeitserregend. Die großartige musikalische Interpretation des Ensembles konnte die Erzählung dieses genialen Werkes trotzdem wie beabsichtigt fühlbar machen. Vielen Dank! PS. Es fehlte mir die letze Zeile in Nadirs Arie am Freitagabend, aber der Tenor war ja müde!
Freitag, 30.Juni, 22:59 Uhr
Franz Gescher
Stimmt
Absolut zutreffenden Kritik. Ich war im zweiten Abend und sehr enttäuscht. Eine Filmemacher kann nicht automatisch Oper.