Yuja Wang spielt bevorzugt im hautengen, knappen Minidress. Bei Jessye Normans legendären Auftritten waren ganze Stoffbahnen aus erlesenem Material mit Mustern nach afrikanischen Vorbildern um den Körper der Sängerin drapiert. Nigel Kennedy versuchte sich als Klassik-Punk. Alfred Brendel dagegen wirkte immer, als wolle er um keinen Preis auffallen. Wie viel Sex-Appeal, wie viel Show verträgt die Klassik - wer kann sich den extravaganten Auftritt leisten? Unser Kolumnist Laszlo Molnar wagt eine kleine Anthropologie der Konzert-Mode.
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Neulich war wieder die Pianistin Yuja Wang in der Stadt. Auftritte wie der ihre machen mich immer nachdenklich – wenn nicht argwöhnisch. Im Sommer, als Yuja Wang bei Klassik am Odeonsplatz spielte, trug sie ein knallrotes, bodenlanges und körperenges Kleid und dazu Stöckelschuhe so hoch, dass ein Windstoß sie hätte umwerfen können.
Nichts dagegen. Besondere, ja, auffallende Kleidung, ist besonders bei den Damen der Musik nichts Ungewöhnliches. In der Regel gehört das große Abendkleid zum großen Auftritt, dazu aufwendig frisiertes Haar und Schmuck, von dezent bis sehr gut sichtbar. Aber ich finde, dass Yuja Wang die Grenze zwischen auffallender und aufreizender Garderobe überschritten hat. Denn es fällt mir der berühmte Satz Marshall McLuhans ein, dass das Medium die Botschaft sei – the media is the message.
Yuja Wang kommt im knallengen Kleid daher – da grüßt für mich auch Marylin Monroe und ihr Auftritt beim Geburtstag des Präsidenten Kennedy – und sie spielt das zweite Klavierkonzert von Brahms. Ihren Auftritt für eines der seriösesten Kunstwerke der klassischen Musik lädt sie auf mit einer erotischen Verheißung, die für mich in diesem Zusammenhang bestenfalls absurd wirkt. Aber eher wirkt sie auf mich verdächtig. Macht sie sich derart zum Hingucker, damit wir es nicht so genau nehmen mit dem Hinhören?
Bei der klassischen Musik trägt die Wirkung des Hinguckers exakt so weit, bis der erste Ton erklungen ist. Nur dieser Ton zählt für mich, und alle anderen, die bis zum Ende des Stückes dazugekommen sind. Yuja Wang, ich sage es gleich, beherrscht das Klavier beeindruckend souverän. Die Verführerinnenpose auf Stöckelschuhen kann sie sich meinetwegen sparen – und könnte auch im Jogginganzug am Klavier sitzen.
Martha Argerich ist für mich die bedeutendste, tiefsinnigste und dabei spielfreudigste Pianistin der vergangenen Jahrzehnte. Als junge Frau mit schwarzer Mähne war sie apart anzuschauen. Nun, im Alter und mit ergrautem üppigem Haar, strahlt sie Würde aus. Mir erschien immer, dass sie sich um ihr Äußeres nur so weit kümmert, wie es notwendig ist. So weit eben, dass für das oft genug teuer zahlende Publikum alles in Ordnung ist. Begeisterung, ja, Anbetung erzeugt sie dann einzig und allein mit ihrem Spiel. Für ihre Selbstdarstellung wählt eine Künstlerin wie Argerich die Musik, nicht ihren Look. An ihrer Wirkung als Künstlerin hat sie gewiss keinen Zweifel.
The Media is the message. Und Kleidung ist ein Medium mit sehr starker Botschaft. Ich bin aber nicht der Meinung, dass sie bei Veranstaltungen mit klassischer Musik erotische Botschaften transportieren soll. Das hat die klassische Musik nicht nötig, es sei denn in der Oper und es tummeln sich gerade Gestalten wie Carmen oder Don Giovanni auf der Bühne. Im klassischen Konzert kündet das Medium Kleidung in der Regel von Würde. Sie betont das Besondere des Ereignisses. Würde, das strahlen die Fracks der Dirigenten, die Abendkleider der Solistinnen aus. Manchmal sogar unnachahmlich, wie im Fall von Jessye Norman.
Jessye Norman auf der Bühne | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Jessye Norman – sie war so begehrt, dass auf ihren Konzert-Plakaten ganz selten das Programm des Abends stand, dafür immer das Wort "ausverkauft" – betrat die Bühne mit königlicher Erhabenheit. Bei Insidern hieß sie auch Jessye Enormous, denn ihr Körperumfang bildete die legendäre Macht ihrer Stimme ab. Ihr Auftritt war raumfüllend, sie war unübersehbar, die Größe der Bühne spielte keine Rolle. Majestätisch schritt sie daher, voll des Bewusstseins ihres einzigartigen Könnens und ihres Ruhmes.
Um ihren Körper ließ sie, mit ausholenden und gemessenen Bewegungen, ein immer auffallendes Kleidungstück wallen. Kunstvoll waren um sie herum Stoffbahnen aus erlesenem Material mit Mustern nach afrikanischen Vorbildern drapiert. Auf Normans Haupt thronte dazu ein ebenfalls kunstvoll geknotetes Stoffgebilde, oft in Gold, häufig auch aus dem Stoff ihres Kleides.
Bei diesem Anblick alleine hielten alle im Saal die Luft an. Auf ihren Gesang folgten dann die Begeisterungsstürme. Jessye Norman war ein Gesamtkunstwerk, alles war genau geplant und geprobt. Die Wirkung des einen verstärkte die des anderen. Ihre Roben, so nahm ich das wahr, deuteten unmittelbar auf Normans Rang als eine der größten Künstlerinnen ihres Faches und ihrer Zeit. Auf das Einzigartige der dann folgenden Darbietung. Auf nichts anderes.
Unauffällig - aber nur optisch: Alfred Brendel | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Das Gegenteil zu dieser optischen Show wäre wohl Alfred Brendel, der, obwohl ein Riese, auf mich immer einen gebückten Eindruck machte, als wolle er beim Gang zum Klavier nicht auffallen. Oder Evgeny Kissin, ebenfalls Pianist, der so mechanisch unwirklich auf das Klavier zusteuert wie ein Geist und von dort auch wieder verschwindet, als solle sein Publikum ihn gar nicht wahrnehmen. Wie und wofür die beiden berühmt sind, das brauche ich hier nicht weiter zu erörtern. In Punkto Körper ist ihre Körperlosigkeit der radikale Gegensatz zum Ganz-Körper-Auftritt der Yuja Wang.
Zwei weitere dieser "körperlosen" Großmeister des Klaviers fallen mir ein: Svjatoslav Richter und Grigorij Sokolov. Sie waren und sind legendär, auch, weil man sie kaum oder immer weniger zu Gesicht bekam.
Wo Richter, Sokolov und Kissin sich verschwinden lassen, da geht eine Yuja Wang aufs Ganze. Sie weiß: Sex sells. Auf ihre Weise möchte sie auch zum Status einer Jessye Norman kommen, deren Konzerte ohne Rücksicht aufs Programm ausverkauft waren. Ungefähr dasselbe hat aber auch eine Martha Argerich erreicht, ohne erotisches Brimborium. Es kommt also am Ende des Tages – oder: des Konzertes – auf die Wirkung der Kunst an, nicht des Outfits.
Vanessa Mae: als der Geigen-Ruhm nachließ, versuchte sie es als Ski-Rennläuferin | Bildquelle: © epa-Bildfunk Der spektakulärste Fall dessen, wie die Kunst nicht hielt, was das Design versprechen sollte, war der "Fall" der Geigerin Vanessa Mae. Eine junge Asiatin mit langem tiefschwarzem Haar, die zum Geigenstar aufgebaut werden sollte. Sie sollte alles anders machen, den verstaubten Klassik-Laden aufmischen. Sie spielte auch mal auf einer elektrischen Geige, die aussah wie das Skelett einer Geige. Auf einem Plattencover war Mae abgebildet, wie sie aus dem Wasser steigt, klatschnasses T-Shirt am Leib und Geige in der Hand. Ihr Name war lange Zeit legendär. Nicht für ihre Kunst. Für das T-Shirt. Und dafür, dass ihr das nichts gebracht hat.
Deshalb bin ich doppelt argwöhnisch, wenn ein neuer Künstlername auftaucht, und ein provozierendes oder aufreizendes Äußeres zum Markt trägt. Wird die künstlerische Substanz dem lauten Auftritt gerecht werden? Der Geiger Nigel Kennedy war so ein Kandidat. Er gab den Punk mit der Geige, der alles anders machen wollte. Steil gegeltes Igel-Haar, gerne mal ein löchriges T-Shirt, zerschlissene Jeans. Anfangs war sein Vivaldi zwar fetzig, aber noch nicht so gut wie sein Design. Kennedy blieb künstlerisch dran, arbeitete hart an seinem Musikverständnis und wurde ein ernst zu nehmender Interpret, sogar Dirigent. Den Punk-Stil zeigt er nur noch im Haar. Kopfabwärts trägt er Anzug und überzeugt mit seinem Spiel. Seine Einspielung des Beethoven-Violinkonzerts gehört zu meinen Favoriten. Heute lautet die Botschaft seines Auftritts für mich: Hey, hier kommt Kennedy, ein wirklich hervorragender Musiker. David Garrett hingegen, das Sex-Symbol unter den männlichen Geigern, hat künstlerisch zu seinem provokanten Auftritt nicht aufgeschlossen. Auf mich wirken seine Darbietungen nicht viel anders als brav. Sein Auftreten: ein Mann, der nicht alt werden will.
Lang Langs eigens für ihn entworfene Turnschuhe | Bildquelle: © dpa - Report Und wie ist es mit den Super-Stars der Szene? Lang Lang schaffte seinen Aufstieg zum Jung-Star durch seine enormen Tasten-Künste und seine lockere Art. Dass er eigens für ihn designte, goldglitzernde Sneaker trägt und auffallende Gürtelschnallen, das steht ihm, ähnlich wie der Prunk der Jessye Norman, aus meiner Sicht zu. Bei der Alles-Überfliegerin Anna Netrebko waren Kleidung oder Styling nie ein Thema im Vordergrund. Es ist ihre Stimme, der Ausdruck ihres Singens, mit denen sie die Massen in Bann schlägt. Kokett verbreitete sie früher die Geschichte, sie habe als arme Studentin die Gänge der Musikakademie in St. Petersburg putzen müssen, um Geld zu verdienen. Ich sah sie vor mir, mit grauem Kittel und grauem Kopftuch, wie sie auf Knien mit einem triefenden Lappen riesige Marmorfliesen wischt. Heute genießt sie die Früchte ihres Könnens und lässt sich von der Boulevard-Presse beim Shoppen in New York zuschauen. Na klar doch!
Bei der Klassik, die wir lieben für das was sie ist, kann das Medium der Botschaft also nur die Musik sein. Irreführung wird bestraft mit böser Kritik, Spott, oder, wie bei der tragischen Selbsttäuschung der Florence Foster Jenkins, mit Mitleid. Yuja Wang wird das wohl nicht passieren. Sie ist eine gute und ernsthafte Künstlerin. Den Blind-Test kann jeder machen: mit einer CD, bei einer Übertragung im Radio. Da funkt kein sexy Look dazwischen. Da spricht dann nur Brahms, Prokofjew, Mozart, was immer sie spielt.
Kommentare (1)
Samstag, 09.Dezember, 17:57 Uhr
Christoph Müller
Yuja Wang
Ich teile Ihre Meinung über das Auftreten von Yuja Wang nicht; aber ein bisschen Verständnis habe ich dafür schon. Ich möchte Sie aber bitten, beim nächsten Mal weniger auf ihre Garderobe als auf ihre Gestik und Mimik zu achten (und natürlich weiterhin auf ihr Spiel - was Sie ja tun). Dann werden Sie feststellen, wie authentisch diese junge Frau ist. Da gibt es keine Kapriolen wie bei einem berühmten Landsmann, und auch keine melodramatischen Ergüsse. Alles kommt aus der Musik und ist von überwältigender Grazie. Ich denke, dass nebst ihrem Spiel dies der Grund ist für ihr enormes Charisma.