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Kolumne - Theo Geissler Kasse machen - mit naiven Kreativen

Als Verleger und Herausgeber der "Neuen Musikzeitung" blickt er gern kritisch hinter die Kulissen der Musikwelt: Theo Geißler. Auf br-klassik.de schreibt er regelmäßig für das Ressort Meinung. In der aktuellen Ausgabe seiner Kolumne geht es um zweifelhafte Bedingungen bei Wettbewerben für Komponisten.

Theo Geißler | Bildquelle: privat

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Technik vs. Kultur

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine putzige kleine Erfindung gemacht.  Zum Beispiel einen elektronisch gesteuerten Eierschäler, hochsensibel. Oder einen Weg gefunden, aus Sägemehl höchst preisgünstig Schuhcreme zu generieren. Keine weltbewegende Invention, aber ein nettes Nice-to-have. Weil Ihnen eine offizielle Patentanmeldung zu teuer und zu kompliziert scheint, präsentieren Sie ihren Geistesblitz auf der günstigen Open-Stage der Nürnberger Erfindermesse. In Sachen Eierschäler bietet Ihnen eine Fastfood-Kette für alle Nutzungsrechte zehntausend Euro. Prima. Die Sägemehl-Konvertierung wird Ihnen zum gleichen Preis samt ähnlichen Konditionen von einem Chemiegiganten abgenommen.  Feines Ergebnis für insgesamt zwei Monate Arbeit. Tja, Technik hat bei uns eben fast immer ihren Wert.

Ökonomisch gesehen viel magerer sieht es da in der Regel bei der Einschätzung geistiger Leistungen aus. Ein wahres Beispiel aus der Praxis:
"Der Classica-Kompositionswettbewerb für Violine und Klavier mit dem Thema "Harmonie der Saiten" hat viele wertvolle Kompositionen aus Österreich, Deutschland, Norwegen, Tschechien, Argentinien und Finnland hervorgebracht. Es war nicht leicht für die drei Juroren, unter den vielen guten Werken eine Reihenfolge festzulegen. Die meisten Einsendungen spiegeln die große Bandbreite der schönen neuen Musik wieder und sind allesamt geeignet, von einem erwartungsvollen Publikum gehört zu werden. Sie haben den zehnten Platz von 22 Einsendungen erreicht, Gratulation! Die Veranstalter würden sich freuen, wenn auch Ihr Werk bei unserem Preisträgerkonzert erklingen könnte. Denn wir wollen auch einen Publikumspreis vergeben, der mit zweihundert Euro, dem Mitschnitt des Werkes und einer CD-Produktion dotiert ist. Nützen Sie die Chance! Ihr Beitrag: Sie müssten zehn Karten zum Preis von zwanzig Euro bei uns kaufen, die Sie selbst verkaufen können. Wenn Sie auch eine Aufnahme wollen, kostet das sechs Euro pro Minute des Werkes. Falls Sie auch auf der Preisträger-CD sein wollen, kostet das vierzig Euro pro Minute, wobei Sie für jede Minute sieben CDs bekommen…" (zitiert aus einer Mitteilung des Wiener Wettbewerbsveranstalters Harmonia Classica, veröffentlicht durch den Komponisten Willi Vogl in Moritz Eggerts "Bad Blog of Musick")

Wie erkennt man seriöse Ausschreibungen?

Gut ein halbes Jahr haben Sie an Ihrer Komposition gefeilt (um einen Terminus technicus zu verwenden). Und Sie haben noch Glück gehabt. Denn Sie mussten - wie bei vielen gerade internationalen Kompositionswettbewerben üblich, keine hundert Euro Teilnehmergebühr löhnen. Eine Zwangs-Inverlagnahme durch ein kolumbianisches Medienhaus blieb Ihnen erspart. Auch mussten Sie keinen "Total-Buy-Out", die endgültige oft unentgeltliche Übertragung aller Rechte, unterzeichnen. Ferner wurden Sie nicht verpflichtet, ohne Übernahme der Reisekosten am Preisträgerkonzert in Montevideo teilzunehmen. Die Liste der Abkassier-Tricks ließe sich noch deutlich verlängern und ist ein trauriger Beweis, für wie weltfremd die kreativen Gestalter unserer musikalischen Zukunft von taffen Geschäftemachern eingeschätzt werden und dies teils auch noch zu Recht.


Zugegeben: Unser Beispiel ist ein leider realistisches Schreckens-Szenario, dem dank aufwändig gestalteter Ausschreibungen und blumig-diffuser Formulierungen aus dem Marketing-Repertoire gerade junge Komponistinnen und Komponisten immer wieder aufsitzen. In der Hoffnung, doch endlich einmal aufgeführt zu werden. Da leisten die meisten Musikhochschulen noch viel zu wenig Aufklärung. Hilfreich bei der Beurteilung der Seriosität von Kompositionswettbewerben ist der Deutsche Komponistenverband (DKV) in Berlin. Er liefert neben telefonischer Beratung auf seiner Web-Präsenz unter anderem eine Checkliste für die Qualität solcher Ausschreibungen. Was dem Eierschalen-Ingenieur nicht zu schwer ist, sollte unseren Komponistinnen und Komponisten recht und billig sein …

Der Autor

Theo Geißler ist ein deutscher Verleger, Zeitschriften-Herausgeber, Autor und Moderator des Live-Musikmagazin "taktlos" auf BR-KLASSIK. Nach einem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte in Regensburg absolvierte er die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, war dann als Autor und Regisseur für Kinderprogramme des Bayerischen Fernsehens tätig.
Gemeinsam mit Olaf Zimmermann (Deutscher Kulturrat) gibt er die Buchreihe zur Zeitschrift "politik und kultur" heraus, sowie die "Beiträge zur Gregorianik". Geißler war von 2001 bis 2009 vom Auswärtigen Amt berufenes Mitglied des Deutsch-Französischen Kulturrates.

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