BR-KLASSIK

Inhalt

Kolumne - Theo Geissler Köln-Concerto mal anders - Zum Esfahani-Skandal

Als Verleger und Herausgeber der "Neuen Musikzeitung" blickt er gern kritisch hinter die Kulissen der Musikwelt: Theo Geißler. Auf br-klassik.de schreibt er regelmäßig für das Ressort Meinung. Diesmal macht er sich Gedanken über die Skandalereignisse um Mahan Esfahani in der Kölner Philharmonie.

Theo Geißler | Bildquelle: privat

Bildquelle: privat

Stellen Sie sich vor, Sie besuchen im musikalisch eher etwas konservativ profilierten Salzburg ein Gastkonzert des BR-Symphonieorchesters. Auf dem Programm steht auch aus Anlass von Aribert Reimanns achtzigstem Geburtstag seine "Engführung" für Tenor und Orchester aus dem Jahr 1967. Solist: Dai Yuqiang aus China, es dirigiert der Russe Valery Gergiev.

Gefundenes Fressen für die Medien

Nach wenigen Minuten wird es sehr unruhig im Saal. Rufe wie "Aufhören, Schundmusik" werden laut, ein Teil des Publikums verlässt rumpelnd und schimpfend den Saal. Gergiev bricht ab. Dai Yuqiang versucht auf Englisch, die Gemüter zu beruhigen und das Stück zu erläutern. "Des Schlitzauge kann ja netamol Deutsch, Ausländergschwerl, Putinspezl", tönt es aus dem Parkett. Eine unvorstellbare Situation? Aber was für ein Futter für das weltweite Feuilleton. Rasch wiegelt Bundeskanzler Feymann ab: Es handle sich keinesfalls um Fremdenfeindlichkeit im Tourismus-Musterland Österreich, schon gar nicht in der aktuellen politischen Situation. Vielmehr sei das Publikum die unharmonischen Klänge dieser sogenannten Neuen Musik eben nicht gewohnt.

Stellen Sie sich vor, Sie besuchen in der Kölner Philharmonie ein Konzert. Das Programm kombiniert Alte Musik mit Minimalmusic aus dem 20. Jahrhundert. "Concerto Köln" hatte dafür Werke von Johann Sebastian Bach und Carl Philipp Emanuel Bach mit zeitgenössischen Stücken von Fred Frith, Henry Mikolaj Górecki und Steve Reich einstudiert. Am Cembalo: der Iraner Mahan Esfahani. Die von Beginn an unruhige Zuhörerschaft rastet aus, als Esfahani Steve Reichs 1967 komponierte "Piano Phase" präsentiert, ein eher unspektakuläres, gefälliges Werk der frühen Minimal-Music. Der Versuch des Solisten, das Stück auf Englisch zu erläutern, wird mit Rufen wie "Sprechen Sie doch Deutsch" unterbrochen. Erstmal Schluss mit Musik - auch wenn sich, wie berichtet wird, schließlich ein Hamburger Konzertbesucher auf Englisch entschuldigt.

Traurige Realität

Diese Situationsbeschreibung ist leider keine Fiktion, wie obige traurige, aber vielleicht gar nicht so unrealistische Einstiegs-Fabel. Es gibt eine Reihe von Beispielen, dass ein Konzertpublikum auf neue, ungewohnte Klänge aggressiv bis hin zu Tätlichkeiten reagierte. Doch mit Ausnahme der Nazi-Zeit waren solche Ausschreitungen der Empörung über eine fremde klangliche Ästhetik zuzuschreiben, nicht nationalistisch geprägten Vorurteilen.

Gibt es einen aktuell politisch bedingten Paradigmenwechsel beim angeblich so bildungsbürgerlich geprägten "klassischen" Konzertpublikum? Steht Xenophobie jetzt vor dem offenen Ohr des meist gut informierten Musen-Freundes? Es wäre - gesellschaftlich betrachtet - ein hochbedrohliches Signal, wenn üblicherweise gut informierte Kulturmenschen intellektuell und emotional sich in die Schlammkurve einer "Aktion für Deutschland" bewegten.

Oder nur ein "Ausrutscher"?

Doch handelt es sich bei diesem Köln-Concerto vielleicht nur um einen journalistisch hochgejazzten "Ausrutscher"? Als Musterbeispiel für eine weltoffene Stadt gilt und galt Köln - gern auch mit Klüngel assoziiert - wohl nie. Vielleicht steht der Dom zu nah am Bahnhof, die Moschee zu weit weg im Industrieviertel. Aber gerade in der Pflege zeitgenössischer Musik ist die viertgrößte Kommune unseres Landes eigentlich gut aufgestellt: Vereine und Institutionen wie die "Gesellschaft für Neue Musik", "ON – Neue Musik eV", das "Netzwerk Neue Musik" und ein Institut für Neue Musik an der Musikhochschule sorgen gemeinsam mit einer dem Zeitgenössischen aufgeschlossenen Philharmonie und der ortsansässigen "Musikfabrik" für eine weit überdurchschnittliche Grundversorgung in Sachen musikalischer Avantgarde.

Das mag aber die besondere Dramatik des philharmonischen Missklanges nur verstärken: Zivilgesellschaftliches Engagement, wie von den genannten Vereinen geleistet, eine Fülle engagiert-informativer Veranstaltungen mit Neuer Musik überwindet offenbar die Wahrnehmungsschwelle unserer auf Sicherheit und Wohlstand bedachten Wutbürger nicht mehr. Kunst ist nur noch das Bequeme, das Bekannte. Müssen wir befürchten, dass der Begriff "entartet" bald wieder salonfähig wird?

Kommentare (2)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Mittwoch, 16.März, 16:54 Uhr

Rainer Lepuschitz

Kolumne Theo Geissler zum "Köln-Konzert-Skandal"

Lieber Theo Geissler,

danke für diesen treffenden Kommentar zum äußerst merkwürdigen und unglaublichen Konzert-Skandal in Köln. Du hast damit das seit den Silvester-Ereignissen am Hauptbahnhof aufgeheizte Kölner Klima wieder etwas aufgeklart und zumindest die Sicht auf die musikalischen Dinge wieder ins Lot bringen können.
Dennoch bleibt nach diesem Vorfall Beunruhigung zurück, dass die Menschen offenbar nicht einmal mehr für freie musikalische Schwingungen Nerven haben.
Grüße von einem ehemaligen nmz-Mitarbeiter aus Österreich

Mittwoch, 16.März, 14:19 Uhr

ruth

traurige realität

Guter klärender Artikel von Hr. Geißler -
zur Realität: - mein momentaner Gedanke dazu; Naja - zur schmerzvollen angesprochenen Zeit wurde ja auch kein Halt vor wunderbarster Musik und auch schon gar nicht vor wunderbarsten Musikern gemacht . . .

    AV-Player