Der Name Mstislaw Rostropowitsch steht für das Cello, das Klavier und das Dirigieren. Und doch war der Russe, der Solschenizyn in seiner Datscha Asyl gab, der 1974 nach Paris emigrierte, der mit Galina Wischnewskaja verheiratet und mit Benjamin Britten befreundet war, viel mehr als nur ein Musiker.
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"Ich will spielen gut, ich will spielen sauber, und ich will spielen mit eine Eindruck." Manchmal scheinen die schwierigen Dinge ganz einfach. Gut spielen, sauber spielen, Eindruck hinterlassen - das dürfte wohl das Credo eines jeden Musikers sein. Mstislaw Rostropowitsch hat genau das geschafft. Egal, ob er am Cello saß, am Klavier, oder vor einem Orchester stand: Er hat die Menschen beeindruckt. Er hat sie gefesselt mit seinem Spiel. Er hat sie in den Bann gezogen mit seiner künstlerischen Aura. Er hat sie teilhaben lassen, an seiner Freude an der Musik und hat ihnen immer mehr geschenkt als nur ein Konzert.
Begegnungen mit Mstislaw Rostropowitsch waren Begegnungen mit dem Künstler und immer auch mit dem Menschen: Klug, streng, fordernd, neugierig, ungeduldig, mutig, aufrichtig war der Russe, der sich schon als Kind in Baku in den Cellokasten seines Vaters zum Schlafen legte. Der Dirigent werden wollte und dem Vater zuliebe zuerst Klavier und Cello lernte. Der 1955 die Sopranistin Galina Wischnewskaja heiratete und mit ihr in Moskau und auf der Welt Musik- und Zeitgeschichte schrieb. Der 1970 dem Dissidenten Alexander Solschenizyn wider die Staatsgewalt Asyl auf seiner Datscha gab. Der dafür als Künstler in der Sowjetunion totgeschwiegen, nach Sibirien zum Konzert geschickt und schließlich ins Exil genötigt wurde. Der 20 Jahre lang ohne Pass und Staatsangehörigkeit, dank der Musik aber nie ohne Heimat war: "Das Wichtigste ist für mich die Musik an sich. Egal, ob ich Cello spiele, Klavier oder ob ich dirigiere. In all diesen Bereichen gibt es wunderbare Musik. Aber am allerliebsten arbeite ich mit dem Orchester", sagt Rostropowitsch - der Dirigent, der Kammermusiker, der Liedbegleiter und der Solist, der beim Mauerfall spontan Bach am Checkpoint Charlie spielt.
Das Wichtigste ist für mich die Musik an sich.
In den 19050er und 60er Jahren wird Mstislaw Rostropowitsch in der Sowjetunion einer der berühmtesten Musiker. Legendär sind seine Konzerte mit Swjatoslaw Richter, David Oistrach, Benjamin Britten und seiner Ehefrau Galina Wischnewskaja - wechselweise als Cellist und Pianist. Legendär ist auch sein Unterricht am Moskauer Konservatorium, wo er als Professor Cello-Studenten wie Mischa Maisky, Natalia Gutman und David Geringas ausbildet. Fasziniert und extrem gefordert hat er seine Schüler. Selten nur hat er vom Cello aus unterrichtet. Aber wenn er gespielt hat, dann mit nachhaltigem Eindruck: "Ich kann die Gelegenheiten an den Fingern abzählen", erinnert sich David Geringas, "aber ich kenne jede Sekunde davon."
Die Technik habe stets der Ökonomie des Spiels und der Musik zu dienen, war das unverbrüchliche Credo von Rostropowitsch. Sie sei ein Mittel, um die Seele der Musik zwischen den Noten strahlen zu lassen. Fingerkuppen, lange Finger oder gekrümmt - all das ist für ihn zweitrangig: "Spiel mit der Nase, mir egal, aber du musst den höchsten Ausdruck erreichen", verlangt er im Unterricht und vermisst seine Schüler auf Tournee selbst am meisten. "Wie ich euch liebe, wie ich euch vermisse", schreibt er ihnen aus Amerika.
Du musst den höchsten Ausdruck erreichen.
Die Ansprüche von Mstislaw Rostropowitsch an sich und seine Umgebung waren extrem. Unzulänglichkeiten und Schlampigkeiten ließen die Stimmung schnell kippen, in jeder Sekunde konnte aus Spaß Ernst werden. Alles konnte sich jeden Moment ändern, atmosphärisch und auch musikalisch, und es galt, blitzschnell zu reagieren. Wenn Mstislaw Rostropowitsch etwas in der Musik nicht zuließ, waren es künstlerische Sorglosigkeit und Unbedachtheit. Über jedes Detail machte er sich Gedanken, auch wenn seine humorvolle, joviale Art das nicht immer auf den ersten Blick vermuten ließen: "Rhythmus ist unser Leben, das ist das Wichtigste im ganzen Kosmos. Das weiß ich vor allem, seit ich dirigiere. Ich fühle die Musik seitdem umfassender, quasi von der Seite. Ich produziere sie nicht mehr nur selbst, ich spüre sie von allen Seiten her."
Rhythmus ist unser Leben.
Hartnäckig und furchtlos war der Humanist Rostropowitsch auch in menschlichen Belangen. Mit seiner Frau, der Sopranistin Galina Wischnewskaja, wird er zum Hort der Unbeugsamen in der Chruschtschow- und Breschnew-Ära: Er spielt immer wieder unbequeme Kompositionen von Prokofjew, Schostakowitsch und anderen. Und er scheut keine klaren Worte und beherbergt Alexander Solschenizyn, der, aus dem GULAG entlassen, ohne festen Wohnsitz fernab von Moskau von den Sowjet-Behörden schikaniert werden soll. Wischnewskaja und Rostropowitsch lassen ihn über Jahre in ihrer Datscha wohnen. Das Maß für die Sowjet-Funktionäre ist Anfang der 1970er Jahre voll. Galina und Mstislaw werden geächtet und sukzessive aus dem Musikleben schikaniert: "Mein Mann durfte nicht mehr in Moskau und Leningrad spielen. Man schickte ihn in die Provinz, damit er dort vor Bären auftritt". Provinz, das bedeutet Konzerte in Sibirien vor einer Handvoll Zuhörern. Das bedeutet auch: Wanzen in der Wohnung und im Auto, Überwachung, Drangsalierung, künstlerisches Totschweigen.
1974 emigriert das Paar nach Amerika und Frankreich. Vier Jahre später wird ihnen auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs die sowjetische Staatsbürgerschaft entzogen. Im Westen beginnt gemeinsam mit den europäischen und amerikanischen Orchestern das zweite musikalische Leben von Mstislaw Rostropowitsch. Er gastiert überall und wird für fast 20 Jahre lang Chefdirigent des National Symphony Orchestra Washington. Zusammen mit Galina Wischnewskaja erhebt Mstislaw Rostropowitsch auch über die Perestroika hinaus im Leben und auf der Bühne erfolgreich die Stimme, gegen Repression und für die Kunst. 1990 kehrt das Paar unter der Regierung von Michail Gorbatschow nach Russland zurück. Begraben ist Mstislaw Rostropowitsch, der im April 2007 stirbt, neben seiner Frau in Moskau auf dem Nowodjewitschij-Friedhof - späte Einsicht in Russland für einen großen Musiker und Menschen.