Am 22. Mai 1872 legte Richard Wagner den Grundstein seines Festspielhauses, seither ist der Grüne Hügel Pilgerstätte für Musikbegeisterte aus aller Welt. Und die Akustik des Bayreuther Festspielhauses ist einzigartig. Weltweit schwärmen Fans und Musikschaffende vom legendären Mischklang auf dem Grünen Hügel. Tatsache ist: Hinter dem Klangwunder steckt kein genialer Akustiker, sondern der Zufall. Allerdings einer mit Symbolwert: Die spezielle Akustik ist nämlich ein Nebenprodukt von Wagners ästhetischer Vision der perfekten Illusion und eines demokratischen Theaters.
Bildquelle: Bayreuther Festspiele GmbH / Foto: Jörg Schulze
Die Akustik des Bayreuther Festspielhauses
Der legendäre Wagnerklang
"Oh mein unsichtbares, tiefer gelegenes, verklärtes Orchester im Theater der Zukunft" – so schwärmerisch träumte Richard Wagner schon 1865 in München bei der Uraufführung seines "Tristans". Wäre doch nur der Graben unsichtbar, so dass zwischen Publikum und Bühne nichts wäre, was vom Bühnengeschehen ablenkt. So dachte der Komponist. Wagners Theatervision war nicht in erster Linie von akustischen, sondern von visuellen und ideellen Überlegungen geprägt. Als Gegenpol zu den prachtvollen, repräsentativen Theaterbauten seiner Zeit stellte der politische Revolutionär die Funktionalität des Hauses in den Vordergrund.
Sein Ziel: die perfekte Illusion für alle. Die herkömmlichen Seitenlogen mussten wegfallen, weil es keine Hierarchie im Publikum geben sollte, und auch weil man von dort aus das Orchester und die anderen Zuschauer hätte sehen können. Die Gäste sollten aber des Werkes wegen ins Theater gehen, nicht um zu sehen oder gesehen zu werden. Gleichzeitig sollte die die antiken Amphitheater zitierende Fächerform des Zuschauerraumes seinen Festspielen einen demokratisch-bürgerlichen im Stil der griechischen Antike geben.
Im Sinne der perfekten Illusion verzichtete Wagner außerdem auf zu viele Verzierungen im Saal, sorgte als erster überhaupt für Dunkelheit während der Vorstellung und ließ den "technischen Herd der Musik", wie er das Orchester nannte, in Stufen abwärts setzen und unter der Bühne verschwinden. Inspiration dafür fand Wagner während seiner Zeit in Riga im dortigen Theater. Im Laufe der Bauarbeiten in Bayreuth wurde der Graben gleich zweimal erweitert, um dem großen Orchester ausreichend Platz zu bieten; einmal unter die Bühne, einmal nach vorne, so dass die ersten Sitzreihen verschwanden.
Wir nannten ihn den ›mystischen Abgrund‹, weil er die Realität von der Idealität zu trennen habe.
1/4
Der Orchestergraben
Der von einer Schallblende gedämpfte Klang von Bläsern und Schlagwerk trifft in der Sichtblende auf den der meisten Streicher und wird von dort auf die Bühne reflektiert. Nahezu nur die ersten Geigen tönen direkt auf die Bühne. Dort wird der Klang mit dem Gesang gemischt und in den Zuschauerraum reflektiert. | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk
2/4
Sitzplan des Orchesters
Die ersten Geigen sitzen vom Dirigierpult aus rechts, die 2. links. Die Schalllöcher der ersten Geigen zeigen also auf die Bühne, die der zweiten in die Sichtblende, wodurch ihr Klang die ersten Geigen auch nicht übertönen kann. Außerdem sind die Bratschen frontal zum Dirgierpult angeordnet, Harfen, Celli und Bässe sowohl links als auch rechts verteilt. | Bildquelle: Bayreuther Festspiele
3/4
Der Grundriss
Scherwände formen den Zuschauerraum zur Fächerform, die antike Amphitheater zitiert und wie ein Schalltrichter die natürliche Ausbreitung des Klangs nachformt. Schallschluckende Seitenlogen gibt es nicht. | Bildquelle: "Theater Design" von George C. Izenour
4/4
Die Architektur
Im Festspielhaus setzt Wagner seine Vision von einem Theater aus "Balken und Brettern" um: Die Hohlräume über und unter dem Zuschauerraum sorgen für Ruhe, die freitragende Holzdecke mit einer Spannweite von 33 Metern ist nur leicht verputzt und reflektiert den Schall optimal | Bildquelle: "Theater Design" George C.Izenour
Wagner träumte von einem Theatron, "einem Raume, der für nichts Anderes berechnet ist, als darin zu schauen". Um zu vermeiden, dass Licht aus dem Graben die Dunkelheit und damit die Konzentration auf das Bühnengeschehen stören könnte, ließ er eine halbrunde Sichtblende über dem Graben anbringen. Durch diese Abdeckung entstand zwischen Rampe und Zuschauerreihen ein leerer Raum, von Wagner selbst als "mystischer Abgrund" bezeichnet. Was Wagner zunächst wohl nicht wusste: mit seinen demokratischen und ästhetischen Idealen schuf er auch die optimale Akustik für sein Werk.
An sich sind die Instrumente im mystischen Abgrund nach Lautstärke sortiert, die lautesten unten, die leisesten oben. Bei den ersten Festspielen 1876 stelle Wagner fest, dass sich der Streicherklang durch die Reflexion der Sichtblende zwar gut mischte, aber insgesamt noch zu sehr von den Bläsern übertönt wurde. Also wurde 1882 während der Proben zu "Parsifal" – Stichwort: Werkstatt – eine Schallblende unter der Bühnenkante installiert, um die Bläser zu dämpfen.
Die Folge: Der von der Schallblende – auch "Parsifal-Blende" genannt – gedämpfte Schall von Bläsern und Schlagwerk trifft in der Sichtblende auf den der meisten Streicher und wird von dort auf die Bühne reflektiert. Genau darin liegt der große Unterschied zu den meisten anderen Häusern. Was das Bayreuther Publikum hört, ist kein Direktklang aus dem Graben, sondern fast nur Reflexionsklang.
Das hat den Vorteil, dass die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne das Orchester leichter übertönen können, tatsächlich sind sie bis zu 10 dB lauter als der Mischklang aus dem Graben. Mit Ausnahme der ersten Geigen. Parallel zum Dirigentenpult positioniert schicken ihren Sound direkt auf die Bühne. Dort mischt sich ihr Klang dann mit dem des restlichen Orchesters und natürlich mit den Stimmen – und wird als Gesamtpaket dann wiederum durch das Bühnenbild oder durch flexibel einsetzbare schallreflektierende Wände in den Saal zurückgeworfen. Klingt kompliziert? Klingt vor allem gut! Das Publikum erreicht so nämlich ein perfekt abgemischter Klang: Wo welches Instrument sitzt, wieviele es sind, das ist kaum mehr zu sagen - das von Wagner erträumte "verklärte Orchester".
"Technischer Herd" und "Mystischer Abgrund" | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk
So gut die Sache im Saal klingt – im Graben selbst sorgt das für Schwierigkeiten. Teilweise hört man dort den Gesang von der Bühne gar nicht. Und auch die Dirigentin oder der Dirigent können sich am Pult keinen Eindruck davon verschaffen, wie das Ergebnis ihrer Arbeit im Saal klingt, da sie ja nur den Direktklang, nicht aber den Mischklang hören können. Dazu kommt die Schwierigkeit, dass der Orchesterklang durch die Reflexion mit Verzögerung auf der Bühne ankommt, die Sängerinnen und Sänger also als erste im Ohr des Zuschauers sind, am Dirigierpult hört man sie also verspätet. Deshalb hat der Graben ein Telefon, mit dem Dirigent oder Dirigentin Kontakt zur Assistenz aufnehmen können, die bei den Proben im Zuschauerraum sitzt, um gegebenenfalls Korrekturen vornehmen zu können.
Eine weitere Besonderheit im mystischen Abgrund ist der entstandene sogenannte "Pencz-Grill". Das ist ein zu Beginn dieses Jahrtausends auf Initiative des gleichnamigen Klarinettisten entstandenes Gitter, auf dem die Flöten sitzen und das verhindert, dass der Schall der dahinter, eine Stufe tiefer sitzenden Klarinetten unter der Stufe geschluckt wird und das dafür sorgt, dass der Schall vom Boden reflektiert durch das Gitter nach oben steigen kann. Außerdem wurde vor gut 50 Jahren die Decke des Grabens über Schlagwerk und Bläsern erhöht, um die immense Lautstärkebelastung für die Musikerinnen und Musiker dort zu reduzieren.
Aber nicht nur der spezielle Bayreuther Graben ist verantwortlich für den magischen Klang des Festspielhauses. Entscheidend ist auch die Inneneinrichtung des Saales selbst. Wagners Entscheidung aus politischen und ästhetischen Gründen auf Seitenlogen und prunkvollen Schmuck zu verzichten und stattdessen eine Fächerform zu wählen, war gleichzeitig ein akustischer Coup. Weder Polster oder Vorhänge noch Logen mit niedrigen Decken schlucken den Schall. Die seitlichen Scherwände aus Holz und Pappmaché, die im rechteckigen Raum den Blick auf die Bühne lenken sollen, formen den Raum gleichzeitig zu einem Schalltrichter, in dem sich der Direktschall von der Bühne, der mit dem Orchesterklang gemischte Gesang, optimal im Raum ausbreiten kann.
Kaum etwas wird absorbiert, aller Klang gehört dem Publikum. Außerdem wird so ein "Flatterecho" vermieden, wozu auch die leichten Verzierungen beitragen, die den Klang in verschiedene Richtungen reflektieren. Das perfekte Mittelmaß zwischen Schlichtheit und Schmuck. Der Klang kommt also aus den durch die Scherwände gebildeten Gängen wieder zurück in den Saal und verbindet sich dort mit dem Direktklang. Der wiederum verteilt sich durch den Anstieg des Zuschauerraums günstig in jede Reihe.
Schon 1850 hatte Wagner die Vision von einem provisorischen Theater aus "Balken und Brettern". Und dass er sich in der Ausführung beim Festspielhaus gegen schallschluckende Teppiche oder Polster entschied, hat große Vorteile: Der Holzboden absorbiert zum Beispiel sehr tief-frequente, musikalisch nicht relevante Töne.
Querschnitt des Festspielhauses mit Hohlräumen über und unter dem Zuschauerraum | Bildquelle: "Theater Design" George C.Izenour Beindruckend ist auch die freitragende Decke mit einer Spannweite von 33 Metern: eine große, nur leicht verputzte Holzfläche, die den Schall optimal reflektiert und bis auf eine kleine Klappe für die Beleuchtung keine Öffnungen hat, so dass durch sie kein Schall nach draußen dringt. Über der Decke und unter dem Zuschauerraum befinden sich große Hohlräume. Diese Hohlräume sind – entgegen dem Mythos – keine Resonanzräume, sorgen aber für Stille im Saal und halten Geräusche draußen. Auch das dient Wagners ästhetischer Vision einer perfekten, ungestörten Illusion.
"Zwischen ihm [dem Zuschauer] und dem zu erschauenden Bilde befindet sich nichts deutlich Wahrnehmbares, sondern nur eine, zwischen den beiden Proszenien durch architektonische Vermittlung gleichsam im Schweben gehaltene Entfernung, welche das durch sie ihm entrückte Bild in der Unnahbarkeit einer Traumerscheinung zeigt, während aus dem 'mystischen Abgrund' geisterhaft erklingende Musik gleich den, unter dem Sitze der Pythia dem heiligen Urschoße Gaia’s entsteigenden Dämpfen, ihn in jenen begeisterten Zustand des Hellsehens versetzt, in welchem das erschaute szenische Bild ihm jetzt zum wahrhaftigen Abbilde des Lebens selbst wird."
Der Akustiker Karlheinz Müller, der die Festspiele einige Jahrzehnte etwa bei Umbaumaßnahmen und Produktionen beraten hat, hat das alles nachgemessen. Ihm zufolge lässt sich der musikalische Zauber physikalisch gut erfassen: Es ist das perfekte Zusammenspiel von Direktschall, Reflexionsschallen, Laufzeitdifferenzen und spektralen Verschiebungen, verbunden mit einem großen Bühnen- und Zuschauerraum, der allen Tönen und Klängen genügend Raum und Zeit gibt, sich wiederzufinden und zusammenzusetzen.
Das ist das Wunder von Bayreuth: Es passt eben zusammen!
"Orchestergraben, Bühne, Zuschauerraum und die Flächen und Begrenzungen sind weit genug auseinander, um einen großartigen Klang zu generieren. Sie sind aber andererseits so dicht, dass das menschliche Ohr die tonalen Elemente zu integralen Klängen addiert, mit denen diese dann unseren Verstand und unser Gefühl überwältigen können", erklärt Karlheinz Müller.
In Zahlen heißt das: In zeitgleich erbauten höfischen Theatern wie etwa in der Wiener Staatsoper und der Opéra Garnier Paris liegen die Nachhallzeiten je nach Bühnenbild zwischen 1,1 und 1,4 Sekunden. Die Nachhallzeiten im Bayreuther Festspielhaus betragen zwischen 1,8 und 2,0 Sekunden.
Kommentare (1)
Freitag, 06.August, 06:15 Uhr
Klaus Sallmann
Tristan
Sehr schöner Artikel ! Die Uraufführung von "Tristan und Isolde" war 1865, nicht 1856.
Herzliche Grüße,
Klaus Sallmann