Fünf Jahre hat sich die Sopranistin Anna Netrebko für ihr neues Album Zeit gelassen. Rund um ihren 50. Geburtstag bringt sie nicht nur ein Kochbuch mit Lieblingsrezepten heraus, sondern beweist mal wieder die große Wirkung ihres samtenen Instruments, der Stimme. Und das mit Werken von Verdi, Wagner, Strauss, Puccini, Cilea und Purcell.
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Allein aufgrund der samtigen Farben hat das wohlklingende "Instrument" von Opernsängerin Anna Netrebko von jeher die größte Wirkung. Und das hat sich über die Jahre weiterentwickelt: Ihre Stimme ist fülliger und dunkler geworden und die russische Diva weiß inzwischen nicht nur mit ihren leuchtkräftigen, butterweichen Höhenflügen zu punkten, sondern genauso in der Mittellage, auch mit wirklich tiefen Tönen. Gerade in dieser Tonlage verliert sie sich leicht in glutvollem Espressivo. Das ohnehin betörende Timbre entfaltet sich in den verschiedensten Bereichen der Skala. Dieser stimmliche Farbenreichtum macht sich auf ihrem aktuellen Album "Amata dalle tenebre" – "Von der Dunkelheit geliebt" – einmal mehr bemerkbar. Und noch ein weiteres Ziel verfolgt Netrebko mit der Veröffentlichung offensichtlich: Allen zeigen, dass sie die unterschiedlichsten Epochen beherrscht.
Neben großen romantischen Opernarien kommt die musikalische Überraschung dieses Albums vom englischen Barockkomponisten Henry Purcell. Das erste Barockstück überhaupt auf einem Album von Anna Netrebko ist die berühmte Arie "When I am laid in earth" aus der Oper "Dido und Aeneas" von 1695, oft interpretiert von schlichten, lyrischen Stimmen. Passt zu dieser Musik überhaupt die Tiefe und das glutvolle Espressivo von Anna Netrebko? Vielleicht war der barocke Ohrwurm für sie so unwiderstehlich und deshalb irgendwann fällig ...
Sonst bewegt sich Anna Netrebko auf ihrem neuen Album auf gewohntem Terrain: die Elsa von Brabant aus Richard Wagners "Lohengrin" hat Netrebko schon live auf der Bühne gegeben. Zu Elsas Traumerzählung gesellt sich auf dem Album dann noch die Hallen-Arie der "Tannhäuser"-Elisabeth und Isoldes Liebestod hinzu, auch eine zentrale Szene der Ariadne von Richard Strauss ist dabei. Der Text der deutschen Arien wirkt allerdings phonetisch gerade so bewältigt, geistig aber nicht wirklich durchdrungen. Abseits der italienisch-französischen Pfade ist das Fremdeln der russischen Sängerin mit dem Konsonantenreichtum und der Vokalarmut des Deutschen unüberhörbar.
Dann ist da noch Riccardo Chailly am Pult des Mailänder Orchestra del Teatro alla Scala. Der gibt sich keineswegs als braver Begleiter, sondern setzt eigene interpretatorische Akzente. Und das fällt vor allem ins Gewicht, wenn Anna Netrebko in Wagners Arien eine mehr oder minder naive Frau gibt. Leider bleibt diese Interpretation von Wagners weiblichen Gestalten zu sehr an der Oberfläche.
Sendung: "Leporello" am 4. November 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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