Arbeitskampf in Unterfranken: Die Musikerinnen und Musiker des Kurorchesters in Bad Kissingen streiten schon seit Monaten für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Deutschlandweit haben sich Orchester solidarisch erklärt. Zuletzt die renommierte Staatskapelle in Berlin. Passiert ist bislang jedoch nichts: Die Stadt weigert sich weiterhin, nach Tarif zu bezahlen.
Bildquelle: BR/Frank Breitenstein
Am Freitagnachmittag hat den BR die Mitteilung erreicht, dass die Staatdbad Philharmonie ihren Arbeitskampf beendet hat. Aus Orchesterkreisen hieß es, man habe sich mit der Stadt auf ein Angebotspaket geeinigt, mit dem die Musikerinnen und Musiker "wunderbar leben und arbeiten" könnten. Ferner entschuldige man sich beim Oberbürgermeister Dirk Vogel und der Kurdirektorin Sylvie Thormann für die Unannehmlichkeiten, die der Stadt durch den Arbeitskampf entstanden seien.
Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV), die an den Verhandlungen nicht beteiligt war, zeigte sich in einer ersten Reaktion enttäuscht. DOV-Sprecherin Uli Müller sagte dem BR: "Wir nehmen mit Bedauern zur Kenntnis, dass vor Ort Kräfte gewirkt haben, die die gemeinsame Strategie und Zielsetzung nicht zur Verwirklichung gebracht haben. Eine Gewerkschaft ist immer nur so stark wie ihre Basis."
Von "Sorge und Skepsis" angesichts der verfahrenen Situation in Bad Kissingen spricht der Orchestervorstand der Berliner Staatskapelle in seinem offenen Brief. Man fordere nun endlich "einen fairen Tarifvertrag und eine entsprechende Würdigung" der "großartigen Arbeit", die die Kolleginnen und Kollegen der Staatsbad Philharmonie im unterfränkischen Kurort leisteten. So klingt Solidarität.
Die Berliner sind nicht die ersten: Bereits andere Orchester haben sich mit ähnlichen Statements an die Stadt gewendet. Darunter zum Beispiel die Nürnberger Staatsphilharmonie oder das Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Beides sehr renommierte Klangkörper. Dass sich nun auch die altehrwürdige Staatskapelle zu Wort meldet, hat jedoch besonderen Symbolwert: Das älteste Berufsorchester Deutschlands springt dem meistbeschäftigten Berufsorchester der Welt zur Seite. Mit ihrem Arbeitseifer haben es die Bad Kissinger sogar ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft: Durchschnittlich 13 Konzerte pro Woche, 700 Konzerte pro Jahr – das ist einsame Spitze.
Und trotzdem: Was die Löhne angeht, ist die Staatsbad Philharmonie Schlusslicht. Der Durchschnittsverdienst liegt bei etwa 3000 Euro brutto. Das ist weniger, als der "Flächentarifvertrag für Musiker in Konzert und Theaterorchestern", kurz TVK, für sogenannte D-Orchester vorsieht. Das sind Orchester der niedrigsten Vergütungsgruppe. Wie das möglich ist? Ganz einfach: In Bad Kissingen wurde nie ein Tarifvertrag verhandelt.
Das gelte derzeit noch für etwa 5 Prozent der deutschen Berufsorchester, erklärt Jan-Christian Hübsch, stellvertretender Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) im Gespräch mit BR-KLASSIK. Die DOV ist hierzulande die größte Gewerkschaft für Orchestermusikerinnen und -musiker, vergleichbar etwa mit ver.di oder der IG Metall. Bayernweit sei die Staatsbad Philharmonie mittlerweile sogar das einzige Orchester, das noch nicht nach einem am TVK orientierten Tarifvertrag bezahlt würde, so Hübsch weiter. Zuletzt hatte das Georgische Kammerorchester Ingolstadt (GKO) einen solchen Tarifvertrag erhalten. Mit der Folge, dass die Gehälter der Musikerinnen und Musiker dort um durchschnittlich 100 Prozent gestiegen sind.
Einen solchen "Schritt nach vorne", wie Hübsch sagt, will die DOV nun in Bad Kissingen wiederholen. Mit insgesamt 13 Musikerinnen und Musikern sei das Kurorchester ein Klangkörper von vergleichbarer Größe wie das GKO. In Bad Kissingen geht es jedoch noch um mehr: Neben den Löhnen stehen hier nämlich auch die Arbeitsbedingungen in der Kritik. Womit nicht in erster Linie die hohe Zahl an Konzerten gemeint sei, so Hübsch. Tatsächlich schlägt die DOV eine Reduzierung auf 9 Konzerte in der Woche vor. Hübsch betont jedoch, die Staatsbad Philharmonie solle selbstverständlich Kurorchester bleiben. Dazu gehörten auch vergleichsweise vielen Auftritte – bis zu dreimal am Tag: morgens, nachmittags und abends. "Uns geht es nicht darum, diese grundsätzliche Prägung des Orchesters infrage zu stellen. Nur muss man sich vor Augen führen, wie die Arbeitsbedingungen um diese Prägung herum sind."
Die Musikerinnen und Musiker übernehmen nämlich auch Aufgaben, die mit ihrer künstlerischen Tätigkeit nichts mehr zu tun haben – sind auch Orchesterwart, Inspizientin, oder bauen ein eigenes Notenarchiv aus. Die Haltung der DOV zu diesen organisatorischen Zusatztätigkeiten ist klar: "Wenn es sich um ein künstlerisches Arbeitsverhältnis handelt, haben verwaltungsmäßige Annex-Tätigkeiten darin nichts zu suchen", betont Hübsch. "So gesehen werden unsere Verhandlungen schon in die Richtung gehen, das Arbeitsverhältnis auch inhaltlich so zu definieren, wie es dem TVK entspricht."
Nur – die Verhandlungen, von denen Hübsch spricht, finden gar nicht statt. Zwar steht das Orchester geschlossen hinter der DOV, diese hat also das Recht, die Arbeitnehmerseite zu vertreten. Allerdings streikt der Arbeitgeber. Konkret: die Stadt Bad Kissingen und die sogenannte Staatsbad GmbH. Statt einer Tarifbindung setzt Oberbürgermeister Dirk Vogel (SPD) auf individuelle Angebote, die teilweise sogar über dem lägen, was den Musikerinnen und Musikern laut Tarifvertrag zustünde. Vogel wirft der DOV in einem offenen Brief hingegen Skandalisierung vor. Und er wirbt um Verständnis für die Situation der Kommune: Käme der Tarifvertrag müsste die Stadt "200.000 Euro pro Jahr" zusätzlich aufwenden. Für Vogel eine unrealistische Forderung.
Seiner Einschätzung nach sei diese Zahl zu hoch angesetzt, meint Jan-Christian Hübsch. Eine Gehaltssteigerung wie beim Georgischen Kammerorchester sehe der TVK in Bad Kissingen jedenfalls nicht vor. Aber immerhin: Eine Einstufung in die Vergütungsgruppe D hätte zur Folge, dass der derzeitige Durchschnittslohn von ca. 3000 Euro brutto auf bis zu 4000-4200 Euro bei langjähriger Betriebszugehörigkeit steigen könnte. Ein Zuwachs von über 30 Prozent.
Wir sind Welterbe! Das Orchester der Staatsbad Philharmonie kämpft um die Anerkennung ihrer künstlerischen Leistungen | Bildquelle: picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Noch mehr ärgert den Gewerkschaftler jedoch die folgende Frage, die Dirk Vogel rhetorisch an die DOV richtet: "Welcher öffentliche Arbeitgeber [hat] Lust, ein Orchester dauerhaft zu beschäftigen, deren Mitglieder neun Stunden pro Woche arbeiten sollen, aber am Ende verdienen sollen wie ein Amtsleiter im öffentlichen Dienst?" Ihm sei völlig schleierhaft, wie Vogel auf eine Arbeitszeit von neun Stunden komme, so Hübsch. Auf eine Anfrage von BR-KLASSIK, gibt die Stadt an, dass damit die Zeit gemeint sei, die das Orchester pro Woche mit Konzerten verbringe.
Das verkenne die Arbeitsrealität der Musikerinnen und Musiker erwidert Hübsch: "Da sind sämtliche Komponenten, die drumherum betrachtet werden müssen ausgeklammert: dazu gehört das häusliche Fithalten, das häusliche Üben, was ungefähr 20 bis 40 Prozent der Arbeitszeit ausmacht. Und dann haben wir hier die Besonderheit der organisatorischen Hilfstätigkeiten, die zu Buche schlagen."
Und noch ein zweiter grundsätzlicher Dissens zwischen Stadt und DOV zeichnet sich ab – einer, der die Aufgabe und den künstlerischen Stellenwert des Orchesters betrifft. Als Kurochester, so Vogel, sei die Staatsbad Philharmonie eben kein professionelles Orchester oder Kammerorchester, auf das der TVK anwendbar wäre. Zwar betont er, dass sich "Kurorchester und Qualitätsanspruch" nicht ausschlössen, die vorrangige Aufgabe der Staatsbad Philharmonie sieht Vogel jedoch in der "musikalischen Begleitung der Trinkkur", also in "Entschleunigung, Steigerung der Resilienz, 'Erbauung' durch Musik und 'Hebung' der Stimmung."
Dem hält die DOV wiederum entgegen, dass die Staatsbad Philharmonie ein "extrem anspruchsvolles Programm" absolviere. Sämtliche der Musikerinnen und Musiker hätten ihr Instrument studiert, einige könnten Wettbewerbserfolge vorweise. Zudem sei der Klangkörper einzigartig, weil er als "einziger professioneller Klangkörper Deutschlands in der Großen Berliner Salonorchester-Besetzung" eine Tradition repräsentiere, "die wichtiger Baustein der bundesweiten Theater- und Orchesterlandschaft ist."
Die Musikerinnen und Musiker der A-Orchester in Nürnberg, Frankfurt oder Berlin scheinen jedenfalls der Meinung zu sein, dass die Kolleginnen und Kollegen in Bad Kissingen auf Augenhöhe musizieren. Es ist ihr Engagement, das Jan-Christian Hübsch weiter zuversichtlich stimmt, auch wenn die Tür der Stadt derzeit zu sei. "Die breite Solidarisierung gibt uns Kraft und ermutigt uns auf diesem Pfad weiterzumachen."
Derweil sieht sich die Stadt schon auf der Zielgeraden. Ohne DOV. So äußerte sich am Donnerstag zumindest der Kissinger Pressesprecher Thomas Hack: "Aktuell erarbeiten wir den Musikerinnen und Musikern die zukünftige Ausrichtung des Orchesters in vertrauensvollem Miteinander. Wir werden bald schon über das Ergebnis der Gespräche und das weitere Vorgehen berichten können."
Sendung: "Leporello" am 28. Oktober 2021 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)