Zwei erfahrene Wagner-Sängerinnen tauschen in Bayreuth die Rollen. Die Schwedin Iréne Theorin – bekannt als Isolde – gibt auf dem grünen Hügel nun die Brünnhilde. Ihre britische Kollegin Catherine Foster wechselt hingegen vom "Ring" zum "Tristan". Gesangliche Höchstleistungen verlangen beide Partien.
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Gehorsam? Nein, danke. Einen König heiraten, den sie nicht kennt? Isolde gruselt es davor. Den väterlichen Befehl befolgen, obwohl er nur widerwillig gegeben wurde? Fällt Brünnhilde gar nicht ein. Die beiden Opernfiguren strotzen vor Widerstandsgeist – Isolde und Brünnhilde haben ihren eigenen Kopf. Beide fragen sich, welche Konsequenzen sie aus ihrem Konflikt ziehen müssen, wie sie alles mit ihrem Gewissen und vor allem ihren Gefühlen vereinbaren können. Und wenn am Ende alles anders kommen sollte, als sie es sich gedacht haben? Dann müssen Isolde und Brünnhilde eben die Folgen ihrer Entscheidungen tragen – gelassen und geduldig. Sie tun es dann sogar tatsächlich, sogar mit überraschend viel Liebe im Herzen. Was Richard Wagner seinen Heldinnen für den finalen Spurt auf der Zielgeraden ungeniert zumutet: Sie müssen tapfer vom toten Geliebten Abschied nehmen. Eine Herausforderung, die sie wild entschlossen annehmen: "Selig grüßt Dich Dein Weib", singt die eine. "Unbewusst, höchste Lust", empfindet die andere.
Sängerin Catherine Foster. | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Angelika Warmuth Was Isolde und Brünnhilde gesangstechnisch miteinander verbindet, erklärt sich aus dem hochdramatischen Sopranfach, dem sie beide angehören. Wer sich daran wagt, muss Kondition haben. "Man braucht gute Schuhe", wie ein Bonmot besagt. Über vier Stunden Stückdauer haben Isolde und Brünnhilde jeweils den Kampf mit den Wogen eines brodelnden Riesenorchesters aufzunehmen. In Bayreuth lassen sich wenigstens – dem Klangdeckel sei Dank – schwere Blechbläser akustisch herunterdimmen. Stimmlich müssen die beiden Damen dagegenhalten, nachdrücklich Phonstärke entwickeln, nicht etwa nur in der Höhe viel Volumen entfalten. Ihre möglichst tragfähigen Instrumente sollten eine breite Mittellage ins Feld führen, punktuell sogar in tiefe Register hinabsteigen. Deutlich zu artikulieren, ist in jedem Bereich der Tonskala gefordert. "O sink hernieder, Nacht der Liebe!"
Eine überzeugende Interpretin der Isolde gilt in der Regel als überzeugende Interpretin der Brünnhilde. In Bayreuth tauschen Catherine Foster und Iréne Theorin Rollen, die sie dort schon längst zur Diskussion gestellt haben. Über sechs Jahre (2013-18) hießen alle drei Brünnhilden der "Ring"-Tetralogie auf dem Hügel Catherine, über vier Jahre (2008-12), mit kurzer Unterbrechung, hörte Isolde auf den Namen Iréne. Jetzt also verschmelzen Catherine und Isolde, Iréne und Brünnhilde. Der Altersunterschied zwischen den Sopranistinnen beträgt zwölf Jahre, und so verdient die 1963 geborene Schwedin Theorin für den Kraftakt möglicherweise deutlich mehr Respekt als die Engländerin Foster, geboren 1975. Genau genommen: Es liegen nur zwei der drei Brünnhilden in einer Hand! Die von Siegfried wach geküsste, nach innerem Kampf euphorisch über den Erwecker jubelnde Frau ist einer Hügel-Debütantin anvertraut, der Karlsruherin Daniela Köhler. "Leuchtende Liebe, lachende Lust".
Neben den "Ring"-Neuinszenierungen "Rheingold", "Walküre", "Siegfried", "Götterdämmerung" und den Wiederaufnahmen "Holländer", "Tannhäuser", "Lohengrin" kommt dieses Jahr ein neuer "Tristan" als Eröffnungspremiere. Was Sie dieses Jahr in Bayreuth erwartet, lesen Sie hier.
Regisseur Valentin Schwarz | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Daniel Karmann "Götterdämmerung" – und nur sie – ist neu für Theorin in Bayreuth, denn die Titelrolle der "Walküre" hat sie schon vergangenes Jahr zum Besten gegeben. Es waren drei überraschend und ungewöhnlich konzipierte Vorstellungen des Stücks, das von Wagner als "Erster Tag des Bühnenfestspiels" bezeichnet wird, obwohl es den zweiten Teil der Tetralogie darstellt (nach "Rheingold" als "Vorabend"). Beim damals 82-jährigen, inzwischen verstorbenen Aktionsveteran Hermann Nitsch liefen theaterblutgesättigte Bühnenaktionen spezieller Art ab, völlig anders als heuer in der Inszenierung des 33-jährigen Valentin Schwarz. Erst jetzt gibt es ja wieder den betrieblichen Normalfall: eine Regie-Arbeit im eigentlichen Sinn und keine semi-konzertante Aufführung. Insofern ist es für Theorin zwar nicht das musikalische, wohl aber das szenische Hausdebüt als Wunschmaid Wotans: "Hojotoho!"
Um es dick zu unterstreichen: Weder für Catherine Foster noch für Iréne Theorin handelt es sich um Haus- oder Rollendebüts, das Aufregendste also, das es für Sänger*innen gibt. Andere Opernmetropolen, andere Opernfans haben ihre jeweiligen Interpretationen schon erlebt, im Fall der Schwedin öfter noch als im Fall der Engländerin. Insofern wird sich die Nervosität bei ihnen selber in Grenzen halten. Und doch: Traditionell erregt es in der Fachwelt und unter Wagnerianer*innen potenzierte Aufmerksamkeit, sobald bei den ältesten Opernfestspielen der Welt Premieren von Neuproduktionen anstehen. Mikrofone, teilweise auch Kameras sind hier obligatorisch, während anderswo sozusagen im Raum bleibt, was auf der Bühne geschieht. "Höre ich nur diese Weise?
Iréne Theorin ist als Mutter dreier Kinder relativ spät zur Musik gekommen. Ihre Lehrjahre in Kopenhagen stuft sie als Sprungbrett zur Karriere ein. Beim Aufbau des Repertoires hat sie dort auf eine gesunde Mischung aus Partien Wagners und solchen des italienischen Antipoden Verdi geachtet. Wichtig war für sie die Begegnung mit Landsfrau Birgit Nilsson, einer der größten Wagner-Heroinen der 1960er-Jahre. Ihre erfolgreiche Schülerin liebt übrigens Kammerspiel-artige Regiearbeiten wie etwa Christoph Marthalers Bayreuther "Tristan", bei der sie als Isolde dabei war. "Große Gefühle müssen nicht immer mit großen Bewegungen auf der Bühne zu tun haben – less is more!"
Gesang hat viel mit Selbstvertrauen zu tun!
Catherine Foster kennt operntypisch extreme Emotionen, seit sie in ihrer Heimat als Hebamme gearbeitet hat. Sie half mehr als 250 Babys auf die Welt! Den Wunsch, ihren Beruf zu wechseln und Sängerin zu werden, erfüllte sie sich in Deutschland. Am Theater in Weimar, der Stadt Franz Liszts, dem Schwiegervater Wagners, durfte diese Sopranistin sich viel Repertoire erarbeiten: von Königin der Nacht bis Sieglinde. Im Vergleich dazu sind die drei Brünnhilden so etwas wie Achttausender. Jede von ihnen fordert stimmlich der Interpretin wesentlich mehr Bodenhaftung, also "Erdung" ab – schließlich ist Brünnhilde die Tochter von Urmutter Erda. Und wenn Catherine Foster meint: "Wie Butter auf der Stimme für mich", dann gilt das für Isolde sicher erst recht.
Da die Geliebte Tristans der Geliebten Siegfrieds in mancher Hinsicht ähnelt, stellt Isolde für Catherine Foster wohl nur lösbare Aufgaben – wie früher Brünnhilde. Die Ehebrecherin aus der "Handlung in drei Aufzügen" driftet im Liebestod mental ab: Richtung Weltall, Richtung Universum. Bei der Erlöserin im "Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend", Brünnhilde also, gibt es für Iréne Theorin auf den letzten Metern erstmals im Mekka der Wagner-Freaks einen Abschied vom Leben zu bewältigen. Eine Steilvorlage für Gänsehaut: dies- und jenseits des Orchestergrabens. Und wer fragt: Pardon, geht’s vielleicht auch eine Nummer kleiner? Der muss sich den Meister in Erinnerung bringen, wie er verschmitzt notiert: "Ich sage nichts weiter!"
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