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Kritik - "Alexander in Indien" in Bayreuth Bollywood-Bombastisch!

Begeisterter Applaus für ein fünfstündiges Barock-Spektakel mit opulentem Exotik-Flair. Regisseur Max Emanuel Cenčić zeigt Leonardo Vincis "Alexander in Indien" als rasante Satire auf europäische Sehnsüchte und spart weder an Kostümprunk noch an Elefanten und Kamelen. Ein gelungener Auftakt zum Festival "Bayreuth Baroque".

Szenenbild aus der Inszenierung von "Alexander von Indien" | Bildquelle: Falk von Trauenberg/ Bayreuth Baroque Festival

Bildquelle: Falk von Trauenberg/ Bayreuth Baroque Festival

Hier ist garantiert nichts echt. Nicht die Frauen, nicht die Männer, nicht die Tänzerinnen, nicht die Raubtiere, nicht der ganze indische Pomp und nicht mal der Titel, denn es geht eigentlich weder um Alexander den Großen, noch um seinen Feldzug nach Indien. Aber das alles ist auch gar nicht wichtig: Was zählt, ist ein fünfstündiger Opernabend, der von der ersten bis zur letzten Minute in den Bann schlägt und verblüffend unterhaltsam und aktuell ist, dafür, dass die letzte Aufführung dieses Werks knapp 300 Jahre zurückliegt.

Max Emanuel Cenčić inszeniert die Oper wie einen Bollywood-Film

Alle Achtung, wie imposant Intendant und Regisseur Max Emanuel Cenčić (45), selbst als Countertenor gefragt, sein Festival "Bayreuth Baroque" eröffnet hat, mit einem Bollywood-Bombast, der seines Gleichen sucht, ohne dabei je flach und dekorativ zu werden. In der Oper "Alexander in Indien" von Leonardo Vinci (1690 - 1730, nicht zu verwechseln mit dem fast gleichnamigen Universalgenie) geht es, wie im Barock üblich, um allerlei Emotionen: Liebe, Eifersucht, Trauer und Hass, alles in buntem und schnellen Wechsel.

Weil das Werk seinerzeit in Rom aufgeführt wurde, durften natürlich nur Männer auf der Bühne stehen, auch in den Frauenrollen. Der Papst wollte es so. Folglich sind auch in Bayreuth ausschließlich Männer besetzt. Und was für welche! So täuschend authentisch singen und tanzen einige von ihnen die Frauenrollen, dass das Ganze nie zur Travestie ausartet.

Männer spielen Frauenrollen - ein Kommentar zur Genderdiskussion?

Ganz im Gegenteil: Das ist ein durchaus ernsthafter und doch vergnüglicher Kommentar zur Genderdiskussion, zu neuzeitlichen Geschlechteridentitäten. Mit voller Absicht schrieb der berühmte Textdichter Pietro Metastasio (1698 - 1782) eine Satire auf die patriarchale Welt, lässt die Machos feminin aussehen und die Frauen die eigentliche Macht an sich reißen. Umgekehrte Welt also, keineswegs "verkehrte Welt", und wegen des exotischen Schauplatzes irgendwo an Indiens Grenzen ist es auch noch ein Kommentar zur Kolonialismus-Debatte.

Seine Inspiration holte sich Max Emanuel Cenčić dort, wo Indien nur als Wohlstands-Lieferant und exotische Kulisse verstanden wurde: im kolonialen Mutterland Großbritannien. "Es ist ein Indien, wie sich die Europäer des 18. Jahrhunderts das so vorgestellt haben, was aber in der Realität nie existierte", so Cenčić zum BR: "Wenn man so will, könnte man sagen, das Barock an sich schon Kitsch ist, zum Beispiel in der Wahrnehmung eines Bauhaus-Fans. Das ist Ansichtssache. Daher haben wir auf jeden Fall eine fulminante Szene. Wir haben uns an das Royal Pavilion im englischen Seebad Brighton herangetastet und wollten das Interieur einer imaginierten indischen Welt auf der Bühne haben. Das Royal Pavilion ist ein wunderbares Beispiel für europäisch imaginiertes Indien, das aber architektonisch gar nicht korrekt ist, jetzt aber auf der Bühne in Bayreuth gezeigt wird."

Inszenierung spielt mit kolonialistischen Fantasien

Kostümbildner Giuseppe Palella und Ausstatter Domenico Franchi schwelgen in Bollywood-Opulenz, wie sie nur ganz selten so üppig zu erleben ist. Der Brokat glitzert, die Elefanten-Stickereien gleißen, die Seide wogt, der Chiffon prunkt. Was für ein Augenschmaus, was für eine intelligente Ironie! Ja, hier werden europäische Sehnsüchte von fernen Ländern als Märchen entlarvt, aber nicht verkrampft und verkopft, sondern poetisch und humorvoll.

Was tut sich auf dem Grünen Hügel?

Bahnt sich bei den Bayreuther Festspielen ein Machtkampf an? Lesen Sie hier unseren Artikel dazu.

Unter ihren Masken sind alle diese Helden und Heldinnen nämlich verletzliche, eitle, intrigante, narzisstische und alles in allem doch liebenswerte Menschen, die sich ihren turbulenten Weg durch den falschen Prunk bahnen. An nichts wird gespart: Schlangentanz und Raubtiernummer wie aus Fritz Langs "Tiger von Eschnapur", Kamasutra-Statue mit goldenem Phallus, jede Menge ornamentales Ballett, Bauchtanz und Palmwedel, Messerkämpfe und Kriegsspiele (spektakuläre Choreographie: der in Athen lebende Bollywood-Kenner Suman Rudra), als ob sich James Bond nach Indien verirrt hat und es die Tourismusbehörde mit der Folklore übertrieben hat.

Prächtig, prächtig, zumal das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth, eröffnet fast genau zu der Zeit, als diese Oper herauskam, nämlich um 1740, natürlich eine Hauptrolle spielt. Erfreulich übrigens, dass sich der titelgebende Alexander der Große hier nicht als martialische Führungskraft entpuppt, sondern im Gegenteil eher entscheidungsschwach und verspielt ist. Optisches Vorbild ist der britische König George IV. (1762 - 1830), der mit seinen Ausschweifungen wie seiner Spielsucht in die Geschichte einging, weniger mit seinen Eroberungen.

Countertenor Franco Fagioli überzeugt auf ganzer Linie

Alle Solisten glänzten gleichermaßen, allen voran der argentinische Countertenor Franco Fagioli als liebeskranker indischer König Poro, Maayan Licht als Alexander, der männliche Sopran Bruno de Sá aus Brasilien als Königinnen-Diva und der britische Countertenor Jake Arditti als lebens- und liebespralle royale Schwester. Das wäre Futter für die Klatschpresse! Und das Tanz-Ensemble könnte jederzeit in der Zirkus-Hochburg Monte Carlo für satirischen Biss sorgen.

Begleitet wurde das Ganze von der aus Oberschlesien stammenden polnischen Dirigentin Martyna Pastuszka, die gleichzeitig mit der Violine Ton und Rhythmus vorgab. Schade, dass der Abend nur noch zwei Mal zu erleben ist, schon wegen der Kamele und Elefanten, aber Sie ahnen es gewiss: Die sind auch nicht echt!

Sendung: "Allegro" am 8. September 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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Dienstag, 13.September, 19:23 Uhr

Martin Reichert

Alessandro nell‘Indie

Nach „Carlo il Calvo“ von 2020 wieder ein Ausnahmeereignis am Barock-Himmel, dank Bayreuth Baroque von Max E. Cencic. Der Überschwang an Prunk, Farbe, exotischen Kostümen und Bühnenbild brilliert und konkurriert mit dem Weltkulturerbe Marktgrafen-Theater. Heutiges Regie-Theater lässt sich hier entbehren. Die Sängerelite getragen vom Orchesterklang alter Instrumente fasziniert traumhaft einschließlich schauspielerischer Leistung.
Wir lieben die Wagner-Festspiele! Bayreuth Baroque bietet musikgeschichtlich lehrreichen Kontrast, wird nicht Konkurrenz, sondern ein weiterer Edelstein der Residenzstadt.

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