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Branford Marsalis im Interview "Deutschland ist DAS Land der klassischen Musik"

Die Trennung zwischen Jazz und Klassik gilt für Branford Marsalis nicht. Der Klang soll die Menschen berühren. Der Rest ist eine Frage der Technik. Zusammen mit dem Bayerischen Staatsorchester unter Kristjan Järvi gastiert der US-amerikanische Saxophonist in München mit einem Programmix aus beiden Welten.

Bildquelle: Branford Marsalis

Zu Gast in München

Branford Marsalis im Interview

BR-KLASSIK:  Herr Marsalis, Sie spielen seit langer Zeit klassische Musik neben dem Jazz. Was bedeutet es für Sie, im Nationaltheater in München zu spielen?

Branford Marsalis: Deutschland ist das Land der klassischen Musik. Franzosen und Russen werden natürlich sagen: Aber wir haben doch auch geniale Komponisten! Das stimmt ja auch. Aber wenn man klassische Musik studiert, trifft man immer wieder auf Deutschland. Hier spielte und spielt sich alles ab. Es gehört zu den wenigen Ländern, wo das ganz normale Konzertpublikum eine emotionale Beziehung zur Instrumentalmusik hat. In vielen anderen Ländern gibt es das nicht. Dort sieht man ein Konzert eher als dass man es hört. Aber hier wissen die Leute, wie man ein Konzert hört.

BR-KLASSIK: Das merken Sie auch auf der Bühne, wenn Sie spielen?

Branford Marsalis: Ich spüre das vor allem am Ende eines Stücks. An der Reaktion des Publikums merkt man, dass sie genau das Gleiche fühlen wie ich. Das passiert nicht sehr oft - es ist eher ungewöhnlich.

BR-KLASSIK:  Sie sind Teil einer sehr berühmten Jazz-Familie, aber welche Rolle spielt klassische Musik in Ihrem Leben?

Branford Marsalis: Wir haben schon als Kinder klassische Musik gespielt - im Jugendorchester.  Ich habe sieben Jahre lang Klarinette gespielt. Das war mein erstes Instrument. Beim Jazz spielt der persönliche Ausdruck eine große Rolle. Das kann gut sein, aber auch sehr schlecht. In der klassischen Musik ist der individuelle Ausdruck auch wichtig, aber da stehen die Noten schon fest. Man kann sie nicht verändern - man kann nicht mit ihnen machen, was man will. Man muss mit großer Disziplin an so eine Musik herangehen, gleichzeitig muss man einen Weg finden, sie fühlbar zu machen.

BR-KLASSIK:  Wie finden Sie Ihre persönliche Note, Ihren eigenen Ton in der klassischen Musik?

Branford Marsalis: Ich habe als Musiker im Jazz oder im R&B nie sehr viel über Harmonien nachgedacht. Wenn wir R&B spielen, geht es uns um den Sound. Das ist in der Musik überhaupt das Wichtigste. Klang berührt die Menschen. Informationen sind für Musiker da. Die Leute müssen darüber nichts wissen. Wenn sie erst wissen müssen, was wir genau machen, um es gut zu finden, haben wir versagt. Als ich anfing, klassische Musik zu spielen, war das Schwierigste für mich, einen entsprechenden Ton zu finden. Und eine Technik zu entwickeln, mit der ich die schwierigen Passagen meistern konnte. Es ist eine komplett andere Erfahrung. Spektakulär. Aber es kann einen ganz schön fertig machen.

BR-KLASSIK: Also sind Jazz und klassische Musik zwei völlig unterschiedliche Welten?

Branford Marsalis: Für mich sind sie eine Welt. Die Art der Darbietung ist anders. Sie sprechen zum Beispiel Deutsch und Englisch. Sie sprechen gut Englisch. Sie versuchen, denselben Inhalt in zwei verschiedenen Sprachen auszudrücken. Die Fragen der Menschheit sind immer die gleichen, aber sie werden unterschiedlich in Worte gefasst. Im Deutschen gibt es bestimmte Ausdrücke für Gefühle, die wir im Englischen nicht haben. Gewisse Begriffe werden nur im jeweiligen Kulturkreis verstanden, man kann sie nicht in andere Sprachen übertragen. Ich, als Amerikaner, muss also lernen, sie einfach zu verstehen. Man muss es einfach verstehen, weil es keine Definition davon gibt. Wir Musiker wollen aber immer alles definieren. Das ist die negative Seite unseres Berufs. Wir sind besessen von Definitionen. Es geht aber nicht um die Definition, es geht einfach um die Sache selber. Wenn man das kapiert hat, ist es völlig unwichtig, woher man kommt.

BR-KLASSIK: Eine Frage zu einem der Stücke, das Sie zusammen mit dem Bayerischen Staatsorchester spielen: dem "Tallahatchie Concerto" von Jacob ter Veldhuis. Der Dirigent Kristjan Järvi sagt, das sei ein Stück, das das Leben und die Schönheit feiert. Auf welche Art hat das Stück Sie besonders berührt?

Branford Marsalis: Es gibt nur sehr wenige zeitgenössische Komponisten, die Melodien schreiben können. Meistens kreieren sie akustisch interessante Klänge oder Klanglandschaften, wie ich das nenne. Die Melodie im ersten Satz ist wunderschön und sehr melancholisch. Der Komponist hat als Jugendlicher Keyboard in einer Popband gespielt. Im zweiten Satz basiert alles auf c-Moll. Im zweiten Satz gibt es sehr viele tolle Variationen in den Tempi und in den musikalischen Motiven. Es ist wirklich schwer zu spielen. Ich spiele es sehr gern. Bisher habe ich es noch nicht richtig gut gespielt, es ist also an der Zeit. Dieses Mal werde ich es gut spielen.

Infos zum Konzert

11. und 12. Januar 2016, 20.00 Uhr
München, Nationaltheater

Leonard Bernstein:
Ouvertüre zu "Candide"
"On the Town"
Darius Milhaud:
"
Scaramouche" für Saxophon und Orchester op. 165c
Jacob ter Veldhuis:
"Tallahatchie Concerto" für Saxophon und Kammerorchester
Peter I. Tschaikowsky:
Suite aus "Schneeflöckchen" op. 12

Branford Marsalis (Saxofon)
Bayerisches Staatsorchester
Dirigent: Kristjan Järvi

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