Von Schweizer Trommelkunst über swingende Becken bei Benny Goodman bis hin zu bedingungsloser "Jazz Power": Der Schlagzeuger Charly Antolini hat den Jazz auf unnachahmliche Art geprägt. Am 24. Mai 2022 feiert er seinen 85. Geburtstag.
Bildquelle: Charly Antolini
Ein roter Boxhandschuh trifft mit voller Wucht auf das Fell einer Trommel, man glaubt den lauten Rums schon beim bloßen Zuschauen zu hören. "Knock out 2000" heißt das Album, dessen Cover der Handschuh und die Trommel zieren.
Charly Antolini - Knock Out 2000 | Bildquelle: In-Akustik Auf der Rückseite ist ein kerniger Mann abgebildet, der den Bizeps anspannt und die Hand zur Faust ballt. Er blickt herausfordernd in die Kamera, darunter steht auf Englisch ein "Warning": Hierbei handle es sich nicht um eine Kindergeburtstagsparty, dieser Tonträger könne nur auf eigenes Risiko abgespielt werden, und zu hohe Lautstärke könnte Schäden an den Lautsprechern verursachen. Charly Antolini war und ist einfach nicht der Typ für halbe Sachen und mit dieser konsequenten Einstellung ist er zu einem der einflussreichsten Menschen auf dem Schlagzeugstuhl im Jazz geworden.
Am 24. Mai 1937 wurde Charly in Zürich geboren. Mit neun Jahren begann er seine musikalische Laufbahn in einer Tambourenschule und zwar auf der Basler Trommel. Diese Zwei-Fell-Trommeln werden bei der Basler Fassnacht von Tambourengruppen gespielt. Wohl schon hier wurde der Grundstein gelegt für Antolinis virtuoses und präzises Schlagzeugspiel.
Erst als Jugendlicher besorgte er sich ein Drumset und lernte es autodidaktisch zu spielen. Schon kurze Zeit später öffnete sich für Charly die Tür in die Jazzwelt. Mit nicht mal 20 ging er nach Paris und spielte dort in den späten 50er-Jahren mit den Jazzlegenden jener Zeit. Antolini begleitete den Saxophonisten Sidney Bechet, den Trompeter Bill Coleman oder den Klarinettisten Albert Nicholas. Aber Paris wurde nicht zu seiner festen Heimat. Nach ersten Tourneen und Erfolgen ging Charly Antolini 1962 nach Stuttgart und wurde Schlagzeuger in der SWR Big Band unter der Leitung von Erwin Lehn. Sein kompromisslos präzises und präsentes Spiel und seine klaren Akzente machten den jungen Charly zu einem gefragten Bigband-Drummer. In den Jazz-Großensembles von Peter Herbolzheimer, Kurt Edelhagen, Max Greger und in der NDR Bigband gab Antolini auch den Takt an.
1976 war dann die Geburtsstunde seiner Band "Charly Antolinis Jazz Power" und hier öffnete sich der musikalische Horizont auch hin zum Rockjazz und Fusion. 1979 veröffentlichte Antolini im Duo mit Bassist Wolfgang Schmid die Platte "Knock out" und sie wurde zum Kult. Bis heute wird dieses Album bei Lautsprechertest eingesetzt, um deren Belastungsfähigkeit zu testen. So mancher Lautsprecher soll unter den heftigen Klängen von "Knock out" schon in die Knie gegangen sein.
Auch als Sideman war der Schweizer Drummer aktiv, jahrelang begleitete er etwa Pianist Eugen Cicero bei dessen jazzigen Ausflügen ins klassische Repertoire. Auch in den Bands des amerikanischen Akkordeonisten Art van Damme spielte Antolini Schlagzeug.
Aber bei aller Offenheit für die rockige Seite des Jazz, steckte doch der Swing immer noch tief drin in Charly Antolini und so war es wie ein Ritterschlag für ihn, als er im Jahr 1981 von dem "King of Swing", Klarinettist Benny Goodman, für Gastspiele in Deutschland, Italien und Dänemark engagiert wurde.
Es gibt ein Konzertvideo aufgezeichnet an einem Veranstaltungsort im Kopenhagener Freizeitpark Tivoli. Goodman steigt gut gelaunt auf die Bühne, nimmt seine Klarinette in die Hand, ruft seinen vier Mitmusikern zu, dass als erstes George Gershwins Komposition "Lady be good" gespielt wird, bedankt sich dann für den freundlichen Applaus: "Sehr freundlich, es ist schön hier zu sein", dann blickt er zum Pianisten und fragt, "Where are we?", "Wo sind wir?" und schon hat er die ersten Lacher auf seiner Seite. Rechts versetzt hinter Goodman sitzt ein breitschultriger Mann am Schlagzeug, sein Lächeln ist eingerahmt von einem Vollbart und er strahlt den "King of Swing" an.
Im weiteren Verlauf des Konzertvideos ist natürlich meistens Benny Goodman im Bild, aber immer wieder streift die Kamera auch den Schlagzeuger und man sieht Charly Antolini, wie er strahlend und heftig mitwippend, mit kraftvollen Bewegungen die Becken und Trommeln zum Swingen bringt. Diese Zeit mit Goodman sollte Antolini nachhaltig prägen und immer wieder in Interviews und Bühnenansagen erzählt er davon.
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Benny Goodman At The Tivoli Gardens, Copenhagen Denmark 1981
Drummer Charly Antolini | Bildquelle: Charly Antolini Ein Markenzeichen des Drummers ist die kraftvolle Emotion. Nicht umsonst auch der Bandname "Jazz Power". Bei Antolini kann es auf der Bühne richtig krachen und zur Sache gehen. Seine Solisten sollten schon deswegen auch einen druckvollen und durchsetzungsfähigen Ton haben. Auch seine Interpretationen von bekannten Jazzstücken haben oft einen straffen Zug, etwa seine Version der Komposition "Sweet Emma" von Nat Adderley: Ursprünglich ein ziemlich langsames, lässig schleppendes Souljazz-Stück, legt Antolini einen bedingungslos trockenen und beinharten Beat unter das Thema und er spielt das Stück fast doppelt so schnell. Ebenso die Adderley-Komposition "Sermonette", die im Original ganz ohne Schlagzeug auskommt. Sie wird von Charly Antolini und seinen Mitspielern zu einem Paradestück des vorantreibenden Swings geformt.
Charly Antolini ist seit Jahrzehnten in München zuhause und hat dort auch Musikerinnen und Musiker um sich geschart. Im Jahr 2010 spielte er in der Reihe "Jazz im Gärtnerplatz" im Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz bei einem Generationentreffen von in Bayern lebende Jazzlegenden mit Trompeter Dusko Goykovich (damals 79) und großartigen jungen Jazztalenten: Pianist Christian Elsässer (damals 26), Bassist Andreas Kurz (damals 31) und Saxophonist Lutz Häfner (damals 39). Bei den herrlichen Balladen, die Goykovich damals spielte, zeigte auch Antolini, wie feinfühlig und subtil er begleiten kann.
In den letzten Jahren war Charly Antolini oft mit seiner neugegründeten Band "Charly Antolini & The Ladies of Jazz" unter anderem mit Saxophonistin Stephanie Lottermoser und Pianistin Andrea Hermenau zu erleben. Darüber hinaus ist er künstlerischer Leiter der Jazzreihe "Moosach swingt" des Kulturvereins "Linie 1" im Münchner Stadtteil Moosach. Einer, der die Kraft des Jazz am Schlagzeug lebt, wie kaum ein anderer: Charly Antolini und seine Jazz Power. Seit Februar 2022 sind keine Konzerte mehr geplant, kann man auf Charly Antolinis Website lesen.
BR-KLASSIK: Classic Sounds in Jazz am 25. Mai 2022 ab 19.05 Uhr
Cool-swingende und luftig-schwebende Jazzklänge von Schlagzeuger Charly Antolini, Saxofonist Art Pepper, Sängerin Lilly-Ann Hertzman und anderen
Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer
Bayern 2: radioJazznacht auf Sonntag den 29. Mai 2022 ab 0.03 Uhr
Charly Antolini zum 85. Geburtstag
Moderation und Auswahl: Marcus A. Woelfle
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