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Christian Thielemann zu Bayreuth 2020 "Wir vergessen den Richard nicht"

Normalerweise dirigiert Christian Thielemann im Juli und August das üppig besetzte Festspielorchester im mystischen Bayreuther Graben. Coronabedingt fallen die großen Wagner-Opern heuer aus, stattdessen setzt man auf Wagner im Kammermusikformat. Ob und wie das funktioniert, verrät Thielemann im Interview mit BR-KLASSIK. Am 25. Juli dirigiert er ein Wagner-Konzert an einem ganz besonderen Ort.

Der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle, Christian Thielemann | Bildquelle: imago/ Manfred Siebinger

Bildquelle: imago/ Manfred Siebinger

BR-KLASSIK: Normalerweise platzt Bayreuth Ende Juli aus allen Nähten: Touristen und Künstler mischen sich im Eiscafé und in den Restaurants. In diesem Jahr ist es eher leer. Macht sich bei Ihnen Melancholie breit?

Christian Thielemann: Ja, sehr! Die Stadt wirkt wie ausgeleert, irgendwie aber nicht unsympathisch. Also Melancholie ja, aber das ist nicht die Stadt, sondern natürlich die Tatsache, dass wir alle gerne etwas ganz anderes machen wollten. Und dann können wir auch – von den Wagner'schen Klängen narkotisiert – im Eiscafé unser Heil suchen ... Das gibt es jetzt nicht. Und das ist natürlich eine sehr bittere Pille.

LIVE AUS DER FESTSPIELSTADT

Auch wenn die Bayreuther Festspiele 2020 stark aus dem Archiv leben – ein paar Live-Veranstaltungen sind geboten: Am 25. Juli, traditionsgemäß der Eröffnungstag der Festspiele, dirigierte Christian Thielemann ein Wagner-Konzert mit Mitgliedern des Festspiel-Orchesters und den Sängerstars Camilla Nylund und Klaus Florian Vogt. BR-KLASSIK übertrgu live. Das ganze Konzert gibt es hier noch bis zum 31. August zum Nachhören.

BR-KLASSIK: Hätten Sie sich denn auch so eine Art Schmalspur-Festival vorstellen können – entweder als Videostream oder eben nur mit 200 Leuten live im Saal?

Es muss eine Lösung her, sonst kann man Chor-Opern bis auf weiteres vergessen.
Christian Thielemann, Dirigent

Semperoper Dresden, Verdi-Requiem, Konzertprobe, Sächsische Staatskapelle Dresden, 11. Februar 2014 | Bildquelle: © Lois Lammerhuber / Edition Lammerhuber Bildquelle: © Lois Lammerhuber / Edition Lammerhuber Christian Thielemann: Nein, das geht allein schon wegen des Orchesters nicht. Den Bayreuther Zauber macht aus, dass alle an ihrem Platz sitzen. Das Orchester sitzt hier bekanntlich sehr eng, quasi geschichtet. Deshalb hoffe ich, dass die Abstandsregeln jetzt gelockert werden. Aber selbst wenn man es in Bayreuth durchbekäme, dass sich alle im Orchester testen lassen... wir haben immer noch das Problem mit dem Chor: Stichwort Aerosol. Wenn der Chordirektor oder Dirigent sagt: "Jetzt müsst ihr diese Stelle noch mal ganz besonders intensiv aussprechen", dann spritzt schon so manches kleine Tröpfchen in Richtung Kollege oder Kollegin. Da muss eine Lösung gefunden werden, sonst kann man Chor-Opern bis auf Weiteres vergessen. Ich sehe das in Dresden. Da darf der Chor nicht mehr im Chorsaal proben.   

Wir zeigen zumindest, dass wir alle wollen.
Christian Thielemann, Dirigent

BR-KLASSIK: Es gibt heuer am 25. Juli in Bayreuth ein Eröffnungskonzert, das gleichzeitig auch so etwas wie ein Abschlusskonzert ist. Ist das der kleinstmögliche Nenner, so eine Art Symbol?

Christian Thielemann: Wir spielen trotzdem. Wir haben lange hin und her überlegt: was, wie und wo? Ich finde die Lösung mit der Villa Wahnfried jetzt sehr, sehr schön. Wir spielen das Siegfried-Idyll und die Wesendonck-Lieder, in der kammermusikalischen Fassung. So besteht auch nicht die Möglichkeit, dass die Sängerin übertönt wird. Alle können gut aufeinander hören. Ich habe das Siegfried-Idyll schon mal in der Villa Wahnfried dirigiert. Damals wurde der abhandengekommene Taktstock zurückgegeben, mit dem Wagner das Stück selbst dirigiert hatte. Also: Wir zeigen zumindest, dass wir alle wollen. Ich freue mich, dass die Musiker so schnell mit dabei waren – darunter etliche aus meiner Sächsischen Staatskapelle und auch Camilla Nylund.

Wagner kammermusikalisch

BR-KLASSIK: Das heißt, Sie gehen dann mit 14 Musikern und Musikerinnen und zwei Sängern in Wagners private Gemächer und sind da zu Gast.

Christian Thielemann: Das ist doch irgendwie sehr intim! Es wird dann nach draußen übertragen. Wir setzen zumindest ein Zeichen, dass wir den Richard nicht vergessen – trotz Corona. Er darf trotzdem kurz sein Haupt erheben. Und das alles mit Blick auf sein Grab dort hinten... Ich bin eigentlich kein Grab-Fetischist, aber bei Wagner ist halt eben alles anders.

Wir vergessen den Richard nicht – trotz Corona.
Dirigent Christian Thielemann

BR-KLASSIK: Wie probieren Sie denn die Wirkung im Salon aus? Machen Sie das mit jedem Musiker einzeln oder lassen Sie kleine Grüppchen anspielen?

Christian Thielemann: Nein, wir müssen ja zusammenspielen. Wir schauen mal, wie weit die Musiker auseinander sitzen, wie sie mich sehen und wie es klingt. Und es kann durchaus sein, dass ich dann auch mal weggehe und mir das anhöre, vielleicht dirigiert auch mal kurz ein Assistent oder Kollege. Und das Konzert ist in dem Sinne nicht fürs Publikum im Saal gemacht. Das heißt: Wichtig ist, dass es am Mikrofon besonders gut klingt.

BR-KLASSIK: Dieses wahnsinnige Management, das Sie sonst betreiben mit einem riesigen Orchester, mit Chor und Solisten, die Sie zu einem Gesamtklang vereinen, das fällt jetzt bei nur 14 Leuten weg. Wie denken Sie da um? Oder müssen Sie das gar nicht?

Dirigent Christian Thielemann | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa Christian Thielemann: Genau deswegen probieren wir. Und ich habe auch darum gebeten, dass Musiker mitspielen, die ich gut kenne und die mich gut kennen. Sehr oft sind große Stücke auch Kammermusik. Denken Sie nur an die "Meistersinger", ans "Rheingold" oder an "Siegfried". Es gibt eine Fülle von Stellen, die auch im "Lohengrin" und im "Tannhäuser" doch sehr kammermusikalisch sind. Da müssen die Musiker ziemlich aufeinander hören. Bei der Kammermusik wird das auf die Spitze getrieben. Ich dirigiere das Siegfried-Idyll in dieser kleinen Besetzung wahnsinnig gern. Und das muss auch mit einem Dirigenten stattfinden. Dann ergibt es einen Zusammenklang, der sonst nicht so zustande käme.

Wir leiden alle zusammen.
Christian Thielemann, Dirigent

BR-KLASSIK: Die Musik von Wagner hat aber doch etwas unglaublich Berauschendes. Kommt da noch irgendwas von dieser Wirkung rüber?

Christian Thielemann: Ja, im Siegfried-Idyll gibt es so viele Andeutungen, dass Sie das erfahren. Und bei den Wesendonck-Liedern gibt es zwei Tristan-Lieder – ich denke, da braucht man weiter nichts dazu sagen. Die haben einen derartigen Zauber, dass sich diese Atmosphäre einstellt. Und dann dieser Ort! Das Markgräfliche Opernhaus wäre auch interessant gewesen, aber das hat mit Wagner natürlich nicht so viel zu tun wie sein Wohnzimmer. Da wird man noch lange daran zurückdenken. Und dann haben wir auch noch das Jahr 2020 – das Beethoven-Jubiläum, 100 Jahre Salzburger Festspiele. Und alles fällt irgendwie ins Wasser. Wir leiden alle zusammen. Und ich stehe dann da, praktisch mit dem Rücken zu Wagners Grab. Das ist auch mal was anderes.

BR-KLASSIK: Sie sind dann sozusagen mit Wagner Rücken an Rücken.

Christian Thielemann: (lacht) Mit Wagner bin ich auf "du und du".

Sendung: "Leporello" am 24. Juli ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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