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Neue Aerosol-Studie macht Hoffnung Praktisch keine Gefahr im Konzertsaal

Mund-Nasen-Schutz und Belüftungsanlage – und schon ist eine Infektion so gut wie ausgeschlossen. Zu dem Ergebnis kam eine Studie des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt. Drei Tage lang untersuchten sie die räumliche Ausbreitung von CO2 und Aerosolen im Zuschauerraum des Konzerthaus Dortmund. Das Ergebnis ist eine echte Perspektive für die Wiedereröffnung der Kulturstätten nach dem Lockdown. Theoretisch kann dann sogar wieder jeder Platz besetzt werden. In der Praxis bleibt das "Schachbrettmuster" im Zuschauerraum das Mittel der Wahl.

Dummy Oleg mit Mund-Nasen-Schutz bei Studie im Zuschauerraum des Konzerthaus Dortmund | Bildquelle: Simeon Klein

Bildquelle: Simeon Klein

Oleg atmet – wie ein Mensch. Oleg heißt der Zuschauer-Dummy, den Forschende des Fraunhofer-Heinrich-Hertz-Instituts drei Tage lang im Saal des Konzerthaus Dortmund Platz nehmen ließen. Er kann menschliches Atmen simulieren und dabei Aerosole verbreiten. Und genau das hat er im Auftrag des Forschungs-Teams auch getan – an verschiedenen Positionen. Und zwar mal mit, mal ohne Maske. Dabei wurden ausgiebig Daten gesammelt. Die Ergebnisse der Studie bezeichnet Heinz-Jörn Moriske, Direktor des Umweltbundesamtes als erfreulich.

Politik braucht wissenschaftliche Studien

Ziel der Studie war, wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, erklärt Konzerthaus-Intendant Raphael von Hoensbroech. Denn die benötigt die Politik dringend, um über Maßnahmen beim Infektionsschutz in Kulturstätten zu entscheiden.

Wir wollen dazu beitragen, dass Konzerthäuser und Theater bei Öffnung wieder hinreichend Publikum zulassen können.
Raphael von Hoensbroech, Intendant des Konzerthaus Dortmund

Dummy Oleg ohne Maske im Zuschauerraum im Konzerthaus Dortmund bei der Studie zur Aerosolverteilung im Publikum im November 2020 | Bildquelle: Simeon Klein Dummy Oleg - hier ohne Maske | Bildquelle: Simeon Klein Das Ergebnis der Studie ist verblüffend: Vor allem die vorhandene zentrale Lüftungsanlage sowie das Tragen eines Mund-Nasenschutzes verringern die Aerosol- und CO2-Belastung so stark, dass theoretisch eine Vollbesetzung im Saal denkbar wäre. Empfohlen wird aber dennoch eine Saalbelegung im Schachbrettmuster, wenn man Zuwege und Foyers miteinbezieht. Das heißt: 50 Prozent des Saals dürfte ohne weiteres besetzt werden. Der Vorteil des Schachbrettmusters besteht auch darin, dass die Masken im Zuschauerraum abgenommen werden können. Denn dann gibt es keinen Vordermann, der gefährdet werden könne, so das Ergebnis der Studie.

Konzerthäuser und Theater sind keine Infektionsorte.
Raphael von Hoensbroech

Die Ergebnisse im Detail

  • Mit Maske sowie mit ausreichend dimensionierter Frischluftzufuhr über die vorhandene raumlufttechnische Anlage (RLT-Anlage) gab es bei den Untersuchungen praktisch keine Beeinflussung durch Prüfaerosole auf allen Nachbarplätzen eines emittierenden Probanden.
  • Bereits das große Raumvolumen sorgt für eine starke Verdünnung von belasteten Aerosolen, durch den Zu- und Abluftbetrieb der RLT-Anlage ohne Umluftfunktion werden Aerosole in allen Bereichen effektiv abtransportiert und können sich nicht anreichern.
  • Ohne Maske sollte man jeweils den direkten Vorderplatz freihalten, mit den restlichen Nachbarplätzen ist eine Infektion aufgrund der Untersuchungen sehr unwahrscheinlich. Eine Schachbrett-Besetzung des Saales ohne Maske nach Einnahme des Sitzplatzes ist in jedem Fall zu empfehlen.
  • Besetzung des Konzerthauses mit vielen Personen stört den Luftaustausch nach oben nicht, sondern fördert diesen eher durch zusätzliche thermische Effekte.
  • Das Tragen von Masken ist auf Gängen, im Pausenbereich und in den Foyers grundsätzlich notwendig, da hier die Lüftung anders als im Konzertsaal arbeitet (u.a. Luftaustritt aus der Decke) und zudem enge Kontakte nicht auszuschließen sind. Während der Pausen bleiben zudem alle Türen zum Konzertsaal geöffnet, um eine zusätzliche Querstromlüftung zu ermöglichen.
  • Das Konzerthaus kann bei vorhandenem Lüftungskonzept (kompletter Luftaustausch mit Außenluft alle 20 Minuten) kein Superspreading-Event auslösen.
  • CO2-Messungen im laufenden Betrieb können dazu beitragen, die Ausbreitung von luftgetragenen Partikeln im Saal besser zu beurteilen.

Politik und Behörden begeistert

Die NRW-Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen zeigt sich erfreut über die Studie und nennt sie einen "wertvollen Baustein für die Bemühung, den Spielbetrieb auch in Pandemiezeiten zu ermöglichen". Sie würdigt das "große Verantwortungsbewusstsein mit dem die Kultureinrichtungen dem Publikum gegenüber handeln". Auch Heinz-Jörn Moriske, der Direktor des Bundesumweltamtes, ist begeistert: "Ich kann mich dem Fazit vollumfänglich anschließen." Die Untersuchung liefere genau die Informationen, die benötigt würden. (Hier können Sie das komplette Interview lesen und hören.)

Hervorragende Untersuchung mit viel Aussagekraft!
Heinz-Jörn Moriske, Direktor Umweltbundesamt, Beratungsstelle Umwelthygiene

Perspektiven für differnzierte Regeln zur Wiedereröffnung

Konzerthaus Dortmund | Bildquelle: Annika Feuss Großes Raumvolumen hilft, die Aerosole zu verdünnen: Konzerthaus Dortmund | Bildquelle: Annika Feuss Das Ergebnis bedeutet auch eine Perspektive für Theater und Veranstaltungsorte, in denen vergleichbare Rahmenbedingungen herrschen. An Häusern, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, könnten durch das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut zusätzliche Studien mit relativ wenig Aufwand durchgeführt werden. Das wurde von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens bereits begonnen. Ministerin Pfeiffer-Poensgen erklärte bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt zu haben, die "mit Blick auf die große Relevanz der Belüftung auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen derzeit eine differenzierte Öffnungsstrategie erarbeitet." Teil dessen sei eine breit angelegte Analyse der Wirksamkeit von Belüftungssysteme seit Ende des letzten Jahres.

Sendung: "Leporello" am 12. Januar 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (9)

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Montag, 18.Januar, 14:08 Uhr

Dr. Eckard Heintz

Aerosol-Studie Konzerthaus Dortmund

Für Säle mit guter Frischluft-Zufuhr (maschinell oder via geöffneter Fenster) mag die Studie zutreffend sein. Vergessen wird m.E. aber, dass sich Besucher vor dem Konzert, an Garderoben, in der Pause in den Foyers, in WC's etc. im Zweifel keinen genügenden Abstand halten. Wie will man dies verhindern?

Donnerstag, 14.Januar, 12:43 Uhr

Michael Ernst

Aerosol Studie

Ich befürchte, dass Hr. Schneider mit seiner Aussage richtig liegt …

Dennoch vielen Dank für diese Studie!

Donnerstag, 14.Januar, 09:21 Uhr

Marcus Freisem

Anwendung nur für ähnliche Säle und Häuser

Prof. Jörn Moriske bestätigt im Gespräch mit Sylvia Schreiber, dass diese Studie im Prinzip nur anzuwenden ist auf architektonisch ähnliche Konzertsäle mit technisch ähnlichen und Bauart bedingt vergleichbaren Be- und Entlüftungsanlagen.
Moriske betont ja sogar explizit, dass die Studie auf Säle und Räume, wie beispielsweise die Philharmonie (welche immer er jetzt auch meint) wegen abgehängten Decken, Akustiksegeln, Nischen und Sicken etc. definitiv nicht anzuwenden ist, was ja grundsätzlich auch logisch ist.
Auch für historische Säle oder insbesondere alt ehrwürdige Opernhäuser mit niedrigen Balkonen, Logen, Brüstungen und Galerien ist diese Studie völlig ungeeignet.
Insofern mögen diese Erkenntnisse für bestimmte und mit Dortmund vergleichbare Säle und Locations ein Lichtblick sein und Möglichkeiten bieten, können jedoch keinesfalls pauschal eine wegbahnende Anwendung für die gesamte Branche finden.

Donnerstag, 14.Januar, 09:14 Uhr

Andreas Röhner

der Tatsache ins weinende Auge sehen

100% Impfung
(bei endgültig bewiesener Wirkung) + negativen Test = Kultur ohne Gefahr...
Eine 100% Impfung ALLER Interressenten wird sehr sehr schwierig, auch in einem langen Zeitraum, geschweige denn 2021...
Ein gesunder Menschenverstand kann sich das restliche, damit Verbundenen Ausmaß leider selbst ausmalen oder auch nicht nur annähernd das Leid der Kultur vorstellen... ??
MfG

Donnerstag, 14.Januar, 00:28 Uhr

A. Peter

Das gibt doch Hoffnung. Jetzt wäre noch sehr interessant, wie es z. B. in kleineren Clubs umsetzbar wäre, da die Musik- und Veranstaltungsbranche extrem leidet.

Mittwoch, 13.Januar, 12:21 Uhr

Wilfried Schneider

Praktisch keine Gefahr im Konzertsaal

Das wird in Bayern nicht helfen! Der Bayerische Staatsregierung und insbesondere Herrn Söder ist Kultur, welcher Richtung auch immer, ein Gräuel! Je weniger in einen Saal hereingelassen werden, desto besser, am besten ist die Null! Ich fürchte, wenn in allen Bundesländern Theater, Konzert- und Opernhäuser wieder geöffnet sind, bleiben in Bayern die Häuser zu! Fußball und Oktoberfest ist viel wichtiger, und davon versteht sogar unser Sonnenkönig etwas.

Mittwoch, 13.Januar, 10:38 Uhr

Dagmar Taliaferro

Aerosol Untersuchung

Großen Dank!

Mittwoch, 13.Januar, 10:37 Uhr

Dagmar Taliaferro

Aerosol Untersuchung

Vielen vielen Dank !

Mittwoch, 13.Januar, 08:15 Uhr

Tom

Schachbrett und Abstand?

Die Sitzreihen sind doch so angeordnet, dass man zwischen die Köpfe der Besucher in der Vorderreihe durchschaut. Wenn bei Schachbrett einer der beiden Plätze in der Vorderreihe nicht belegt ist, dann habe ich doch immer noch einen Vordermann dem ich in den Nacken atme? Und einen in der Reihe hinter mir, der mir in den Nacken hustet! Oder was habe ich nicht verstanden?

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