Die Prognose ist düster: Etwa 30 Milliarden Euro könnte die Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr 2021 infolge der Corona-Pandemie verlieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Analyse des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. "Wir werden sehr lange brauchen, um auf ein Niveau von 2019 zurückzukehren", prophezeit Projektleiter Johannes Tomm im Interview mit BR-KLASSIK. Wie hoch die Einbußen in diesem Jahr tatsächlich sein werden, hängt von drei möglichen Szenarien ab.
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Die Kultur- und Kreativszene werde "länger als andere Branchen brauchen, um aus der Krise herauszukommen", heißt es in der kürzlich in Berlin veröffentlichten Analyse des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Die Umsatzverluste für 2021 werden auf 11,5 bis 31,8 Milliarden Euro geschätzt. In einigen Bereichen werden bis zu 69 Prozent Minus erwartet.
Die Umsätze der darstellenden Künste sind im Jahr 2020 um 85 Prozent zurückgegangen, verglichen mit dem Vorkrisenjahr 2019. | Bildquelle: © Monika Rittershaus "Wir müssen damit umgehen, dass dieses Jahr ein verlorenes Jahr ist", fasst Johannes Tomm im Gespräch mit BR-KLASSIK die Ergebnisse der Analyse zusammen. Der Wirtschafts- und Kulturwissenschaftler ist seit 2020 als Projektleiter am Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft. Das Kompetenzzentrum ist Teil der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes und für elf Teilbranchen zuständig, dazu zählen beispielsweise die darstellenden Künste, der Musikmarkt, der Buchmarkt und der Software- und Gaming-Markt. Jedes Jahr lässt das Kompetenzzentrum die Umsätze der einzelnen Kultur- und Kreativbereiche berechnen.
Im Vorkrisenjahr 2019 lagen die Umsätze der Branche bei insgesamt 173,4 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr sind der Analyse zufolge die Umsätze um 13 Prozent zurückgegangen – das entspricht 22,4 Milliarden Euro. Besonders betroffen waren im Jahr 2020 die darstellenden Künste mit einem Umsatzverlust von 85 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Buchmarkt hingegen hatte einen vergleichsweise geringen Umsatzrückgang von 6 Prozent.
Wir werden sehr lange brauchen, um auf ein Niveau von 2019 zurückzukehren.
Sollte es im April einen neuen Lockdown geben, würde die Kultur- und Kreativwirtschaft wohl Umsatzverluste von 31,8 Milliarden Euro erleiden. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Wie hoch die Einbußen im Jahr 2021 in den einzelnen Teilbranchen sein werden, hängt unter anderem von der Länge des Lockdowns ab, erklärt Johannes Tomm. Sollte der harte Lockdown bis Anfang März dauern und es anschließend sukzessive Öffnungen für die Kultur geben, würde das einen voraussichtlichen Umsatzeinbruch von 11,5 Milliarden Euro bedeuten. Im zweiten Szenario würde der harte Lockdown bis Ende März dauern. Das dritte Szenario geht davon aus, dass der Lockdown im März zwar aufgehoben wird, die Infektionszahlen aber wieder steigen und es im April zu erneuten Schließungen kommen wird. Die Umsatzrückgänge lägen im letzten Fall bei 31,8 Milliarden Euro. Das entspräche Einbußen von fast 20 Prozent im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019.
"Das ist natürlich ein sehr düsteres Bild", kommentiert Johannes Tomm die Prognose. Er selbst hält das zweite Szenario – also einen Lockdown bis Ende März – für wahrscheinlich. "Wir gehen davon aus, dass wir einen Umsatzeinbruch von knapp 13 Prozent haben. Das entspricht ungefähr 22,4 Milliarden Euro."
Wir haben eine starke Unterbrechung der Wertschöpfungskette.
Streaming statt Livekonzert: Das Konsumverhalten des Publikums hat sich durch die Pandemie stark verändert. | Bildquelle: stock.adobe.com/Nikolay N. Antonov Doch selbst wenn ab April Kultureinrichtungen wieder öffnen dürfen, stünde die Branche vor großen Herausforderungen, meint Johannes Tomm. "Wir haben eine starke Unterbrechung der Wertschöpfungsketten: Es wurde nicht viel Content produziert, das muss jetzt erst wieder anlaufen." Auch das veränderte Konsumverhalten des Publikums müsse man bedenken. "Selbst wenn alles wieder öffnet – wer weiß, ob gleich wieder alle kommen oder ob noch starke Ängste bestehen? Ich glaube, da muss es auch eine große Aufbereitung geben: Wie gehen wir mit diesen Ängsten um? Was können wir mit dem Image von Veranstaltungen machen?"
Johannes Tomm sieht noch ein weiteres Problem für die kommenden Jahre: den fehlenden Nachwuchs. "Viele Kulturschaffende sind in die Insolvenz gegangen. Viele Studierende, die vielleicht die Absicht hatten, in den Kultur- und Kreativbereich zu gehen, haben sich jetzt erst mal anders orientiert."
Auf der anderen Seite beobachtet Johannes Tomm eine beschleunigte Digitalisierung in der Kulturbranche: "Eine neue Verbindung zwischen Analog und Digital, Streaming, digitalisierte Geschäftsmodelle, Virtual Reality – da hat auch durch die Krise sehr viel stattgefunden im letzten Jahr." Doch das habe auf die massiven Umsatzrückgänge keinen großen Einfluss. Bis die Kultur- und Kreativwirtschaft auf ein Niveau von 2019 zurückgekehrt sei, werde es noch sehr lange dauern", prophezeit Johannes Tomm.
Sendung: "Leporello" am 24. Februar 2021 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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