"Privatsache / Private Matter" lautet das Motto der Münchner Biennale 2018, die am 2. Juni startet. Kein uninteressantes Thema in einer Zeit, in der die Grenzen zwischen privat und öffentlich fließend sind wie selten zuvor. Der Komponist Daniel Ott, einer der beiden Künstlerischen Leiter der Biennale, erläutert das Konzept und gibt eine Vorschau auf das Programm.
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BR-KLASSIK: Das neue Musiktheater soll Dialoge anzetteln, darf Streitgespräche entfachen und auch befremdlich sein. Jetzt lautet das Motto für die Münchner Biennale 2018 "Privatsache / Private Matter". Für wessen Privatangelegenheiten interessieren Sie sich da besonders?
Daniel Ott: Uns interessiert bei der Münchner Biennale 2018 dieser riesige Diskussionsraum, der sich zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen auftut. Die Grenze, was privat ist und was öffentlich, hat sich ja ganz stark verschoben in den letzten Jahren - und auch die Diskussion hat sich verschoben. Manchmal haben wir ja quasi Angela Merkel im Wohnzimmer - in einem kleinen Gerät. Früher musste man noch auf einen Marktplatz gehen, um zum Beispiel König Ludwig zu sehen. Oder Stichwort 1984, George Orwell, der gläserne Bürger: Wir wissen teilweise gar nicht mehr, wie viel von unserer Privatsache schon öffentlich, gläsern geworden ist, durch andere gesehen werden kann. Dieser riesige Raum zwischen privat und öffentlich - der hat uns sehr interessiert, und wir hatten das Gefühl, dass dieses Thema im Musiktheater bisher nicht so eine große Rolle gespielt hat. Dabei ist es - aufgrund der enormen Vielschichtigkeit des Musiktheaters - eine Steilvorlage, um sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.
Uns hat die Bedeutung des Begriffs Privatsache in unterschiedlichen Kulturen interessiert.
BR-KLASSIK: Waren das auch Vorgaben, die Sie den Komponistinnen und Komponisten gegeben haben?
Daniel Ott: Wir haben im Vorfeld verschiedene Konferenzen, verschiedene Workshops, aber auch Plattformen in verschiedenen Teilen der Erde dazu angezettelt, weil uns gerade die Bedeutung des Begriffs "Privatsache" in unterschiedlichen Kulturen sehr interessiert hat. Wir waren sehr überrascht, wie unterschiedlich das wahrgenommen wird.
BR-KLASSIK: Können Sie da ein Beispiel nennen?
Daniel Ott und Manos Tsangaris, Leiter Münchener Biennale | Bildquelle: Manu Theobald
Daniel Ott: Ja, zum Beispiel die Plattform in Hongkong, die mein Kollege Manos Tsangaris geleitet hat. Im Chinesischen gibt es, soviel ich weiß, kein Wort für "Privatsache". Zuerst einmal kam dort die Frage: "Was ist privat?" Ich habe parallel dazu eine Plattform in Buenos Aires geleitet und bin in Lateinamerika damit konfrontiert worden, dass das Private gar nicht so interessant ist wie in Europa. Die meisten Menschen, die ich dort kennengelernt habe, gehen ganz anders mit dem Begriff "privat" um. Das heißt, sie leben viel öffentlicher; die Gemeinschaft ist einfach so viel wichtiger als das Private, dass die uns tatsächlich gefragt haben: "Was ist denn an dieser Thematik so interessant?"
Gleichzeitig ist in Buenos Aires ein Projekt entstanden, das mit "privare", mit "rauben" zu tun hat - was die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ist. Da geht es um das fiktive Leben eines Komponisten, der in der Militärdiktatur verschwunden ist, und die ebenso fiktive Annahme: Wenn er weiter gelebt hätte, was wäre passiert, was hätte er für Musik geschrieben? Und das geht nochmal auf eine andere, politisch-historische Weise mit der Idee "Privatsache" um.
Die Biennale 2018 hat aus unserer Sicht einen starken Expeditionscharakter.
BR-KLASSIK: Und die Ergebnisse oder Erkenntnisse aus den Plattformen, die Sie geleitet haben, wird es dann bei der Biennale zu sehen und zu hören geben?
Daniel Ott: Richtig. Es gibt eine Produktion aus Buenos Aires, die ich gerade erwähnt habe, sowie eine Produktion aus Hongkong. Die Biennale 2018 hat aus unserer Sicht auch einen ganz starken Expeditionscharakter - in dem Sinn, dass wir neue Aufführungsräume gesucht haben, aber eben auch Räume, die sich durch unsere Thematik "Privatsache" angeboten haben. Dazu zählen beispielsweise Privatwohnungen. Und was noch stärkeren Expeditionscharakter trägt: Es gibt eine Überquerung des Starnberger Sees mit einem Schiff. Das beginnt erst mal mit einer privaten Expedition - zur Villa Waldberta, die auch eine ganz interessante Geschichte hat. Das war der Ort, wo Willy Brandt während der Olympiade 1972 gewohnt hat. Dieses Haus erzählt ganz viel über das Verhältnis und die Ambivalenz von Privatheit und Öffentlichkeit. Und die dritte große Expedition, das ist die Norwegian Opera aus Oslo, die Skandinavien verlassen wird und die Münchner Biennale besucht. Drei Wochen lang fahren die Mitarbeiter der Oper mit einem Gefährt durch Osteuropa - Ukraine, Polen und Rumänien - in Richtung München. Sie werden für uns sowohl diese Reise dokumentieren als auch deren Ergebnisse in München zeigen: in einer großen Oper, die unterwegs entstanden ist.
Die Münchener Biennale 2018 findet vom 2. bis 12. Juni statt.
Informationen zu Programm und Vorverkauf gibt es auf der Homepage des Festivals.
Sendung: "Leporello" am 22. Februar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK